Opulenz und Offenheit
Eine Kulturgeschichte der Oper im Victoria and Albert Museum in London.
Eine Ausstellung zur Oper? Das klingt nach einer bunten Kollektion aufgespiesster Schmetterlinge. Denn was soll man erwarten, wenn die vielleicht prallste Kunstform in Vitrinen wandert? Bestenfalls ausgeschossene Kostüme, vergilbte Notenmanuskripte, Modelle historischer Bühnenbilder, ein paar Hörproben, musikhistorische Belehrungen.
Das komplette Gegenteil einer solchen Zombie-Parade ist die hervorragend inszenierte Ausstellung «Opera – Passion, Power, Politics» im neuen, zurückhaltend eleganten Sainsbury-Wing des Londoner Victoria & Albert Museum. Eine inszenierte Ausstellung? Der Begriff passt, denn die Ausstellungsmacher setzen auf exakt jene Zutaten, die zu einer guten Oper gehören. Das beste Libretto, die besten Solisten sind nichts ohne effektvolle Inszenierung – und natürlich packende Musik.
Nun ist diese normalerweise in Ausstellungen eher ein Problem. Hörstationen, speckige Kopfhörer, Audioguides – nein danke. Für «Opera» bekommt man saubere Kopfhörer ausgehändigt und ein Empfangsgerät. Schaltet man es ein, erklingen automatisch während des Rundgangs von Antonio Pappano, dem Musikdirektor der Londoner Royal Opera Covent Garden, sorgfältig ausgewählte und temperamentvoll kommentierte Opernausschnitte zu den passenden Exponaten.
Der Rundgang ist eine gut strukturierte Zeitreise durch rund vier Jahrhunderte Operngeschichte. Könnte strapaziös sein, funktioniert aber, weil sich die Auswahl auf sieben exemplarische Opern-Uraufführungen beschränkt. Das erleichtert den Zugang auch für ein musikhistorisch weniger versiertes Publikum. Dank des klaren Rahmens und der Kurzeinführungen im Post-it-Stil bleibt die Fülle der erstklassigen Exponate, zu der noch nie gezeigte Partituren, aber auch Fetischobjekte wie ein von Mozart gespieltes Klavier gehören, übersichtlich.
Anhand der sieben Beispiele wird letztlich nicht weniger als eine Kulturgeschichte Europas im Spiegel einer seiner raffiniertesten und komplexesten Kunstformen aufgerollt. Die Oper erscheint dabei – dem Roman nicht unähnlich – als äusserst knetbare Gattung. Die Musikbeispiele unterstreichen die These, dass die Oper das jeweilige gesellschaftliche Klima in musikalische Stimmungen und Atmosphären übersetzt. Am besten illustriert das wohl Strauss' Salome als Symbolfigur eines nervösen Aufbruchs in die Moderne.
Aber da sind wir schon fast am Ende der Ausstellung angekommen. Den Anfang macht Claudio Monteverdis «L'incoronazione di Poppea». Sie wurde 1642 in Venedig uraufgeführt. Hier beginnt die Geschichte der modernen Oper; hier wird sie entworfen als Drama der Passionen, die gesellschaftliche und politische Umbrüche im Seelenhaushalt auslösen können – und als grosse Unterhaltung. Die Republik Venedig hat damals zwar ihren Zenit als Seemacht überschritten. Doch umso mehr inszeniert sie sich nun, in Absetzung vom päpstlichen Rom, als prickelndes Kulturzentrum. Der venezianische Karneval bot den passenden Rahmen für eine spätrömische Skandalgeschichte wie die von Neros machtgieriger Geliebter Poppea. Die Geschichte der modernen Oper als kommerzieller Multimedia-Show – sie konnte nur hier beginnen.
Von Venedig aus gelangen wir zunächst ins London der Frühaufklärung, schon damals die grösste Stadt Europas. Hier reüssiert Georg Friedrich Händel mit «Rinaldo». Faszinierend, wie jedes einzelne Exponat eine wesentliche Facette zu einem anschaulichen Porträt dieser Epoche beiträgt. Da werden die Anfänge einer Kultur der öffentlichen Debatte in den Kaffeehäusern mit Stichen von Hogarth und Teegeschirr aus der Zeit illustriert. Die Stadt boomt nämlich als Zentrum des Kolonialhandels mit der 1708 gegründeten East India Company. Der erfolgreiche Komponist Händel war mit Aktien am Sklavenhandel beteiligt, erfahren wir. Andererseits verweisen feinste Goldschmiedarbeiten auf London als Zufluchtsort, etwa für die religiös verfolgten Hugenotten. Noch heute vermag die Rekonstruktion eines mechanischen Bühnenbilds mit Wogen, Schiff und Seejungfrauen das Publikum zu fesseln. Tricks und Gags aller Art - auch dafür war die Oper schon immer ein Experimentierfeld.
Es folgt Mozarts vom Geist der Aufklärung imprägniertes Wien, in dem er seinen «Figaro» komponiert. Bald darauf wird die Oper in Mailand richtig staatstragend: Verdi ist der Komponist des «Risorgimento», des nationalen Aufbruchs Italiens, zu dem er mit dem berühmten Gefangenenchor aus «Nabucco» den Soundtrack beisteuert. Er hypnotisiert das Land regelrecht, seinTod1905 ist ein nationales Ereignis. Ein anderer Teil dieses Erbes sind die 150 damals gegründeten Opernhäuser, heute eher eine Hypothek für die betreffenden Städte. Sie werden in einer verblüffenden fotografischen Parade vorgeführt.
Das Paris des späten 19. Jahrhunderts wird nicht nur durch grosse politische und urbanistische Transformationen buchstäblich aufgewühlt. Auch Richard Wagners heiss diskutierter «Tannhäuser» trägt dazu bei. Dagegen rücken die beiden letzten Stationen das derzeit wieder brandaktuelle Thema der Kunstfreiheit ins Zentrum. In Dresden, das 1905 ein Hort der Avantgarde war, wird Richard Strauss' Salome – anders als in Wien – nicht zensiert. Doch als 1934 in St. Petersburg/Leningrad Dimitri Schostakowitschs «Lady Macbeth von Minsk» uraufgeführt wird, weht ein anderer Wind. Denn der Genosse Stalin hat gerade gemerkt, dass sich neben dem Film auch die Oper ideal für Propaganda und die Manipulation der Massen eignet. Leider nicht jene von Schostakowitsch. Sie wird 1936 trotz ihres Publikumserfolgs nach einem Opernbesuch Stalins als «musikalischer Wirrwarr» verurteilt. Der Komponist wird zur Marionette der Macht.
Natürlich muss sich die Oper regelmässig Kritik anhören: sie gilt als zu elitär oder zu teuer. Dennoch lebt sie bis heute munter weiter. Und wie! Das demonstriert eine grosszügige, zum Verweilen einladende Videolounge im Zentrum der Ausstellung. Die beiden Qualitäten, denen sie ihren inzwischen globalen Siegeszug verdankt, werden hier nochmals bekräftigt: Opulenz und Offenheit, sogar für scheinbar Unmögliches wie Karlheinz Stockhausens Helikopterquartett.
«Opera - Passion, Power, Politics» – der Titel verspricht viel, aber nicht zu viel. Das Museum empfiehlt siebzig Minuten für den Besuch. Die Zeit kann man locker verdoppeln.
Opera: Passion, Power and Politics
bis 25. Februar 2018
Victoria and Albert Museum London
Elektronische Ticketreservation empfohlen