Schokolade entwickelte sich in der Schweiz schnell zum begehrten Leckerbissen für Gross und Klein. Und sogar für Tiere, wie diese Werbung für Chocolat Lucerna von 1893 zeigt.
Schweizerisches Nationalmuseum

Die süsse Seite der Schweiz

Wie hat sich die Schweizer Schokolade vom bitteren Trank zur süssen Versuchung gewandelt? Durch die Vergesslichkeit eines Berner Schokoladenherstellers...

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer ist Historiker und Autor.

Rudolf Lindt war in Eile: Er hatte ein Rendezvous. Hastig verliess er seine Schokoladenfabrik im Berner Matte-Quartier. Draussen quietschte das Wasserrad, drinnen rührte seine Maschine die braune Masse. Das ganze Wochenende lang. Lindt hatte vergessen, sie abzuschalten.

Die Herstellung von Schokolade begann in der Schweiz im frühen 19. Jahrhundert. Was dort produziert wurde, war indes bitter und von eher sandiger Konsistenz. Und es wurde eher getrunken, als gegessen. Mit der Erfindung der Milchschokolade wurde die Sache 1875 schon geniessbarer. Dann kam Lindt. Rudolf war ein Bonvivant, ein hübscher Spross aus gutem Bernburger Haus. Bei Verwandten in Lausanne lernte er sein Handwerk, bevor er einige alte Maschinen und zwei brandgeschädigte Mühlen in der Matte kaufte.

Ob Lindt tatsächlich ein Rendezvous hatte? Die Geschichte klingt so ausgedacht, dass sie sogar wahr sein könnte. Jedenfalls: Als Lindt am Montag die Fabrik betrat, entdeckte er eine zähe, dickflüssige Masse, die angenehm süsslich duftete und im Mund dahinschmolz. Lindts Conchier-Verfahren war ein Meilenstein in der Schokoladengeschichte. Und eine Lizenz zum Geld drucken. Der Berner hängte die Konkurrenz für Jahrzehnte ab; niemand kam darauf, wie er seine Schmelzschokolade machte.

Rudolf Lindt, um 1880.
Wikimedia

Für Lindt war die Schokolade eher Hobby als Beruf und Geld hatte er ohnehin genug. Statt die Produktion auszuweiten, erhöhte er die Preise, wenn die Zahl der Kunden unübersichtlich wurde. Immerhin schickte er den Confiseur Tobler mit seiner Ware auf Tour. Der holte Bestellungen rein und als Rudolf Lindt die Produktion partout nicht aufstocken wollte, kam es zum Bruch: Tobler zog in die Länggasse und machte dort – ohne Originalrezept, dafür mit Honig und Mandeln – seine Toblerone.

Also brauchte Lindt einen neuen Partner. Er verkaufte das Rezept und den Namen dem Industriellen Sprüngli, der in Zürich nun dieselbe Schokolade herstellte. Lindt war für die Berner Filiale zuständig, widersetzte sich den Weisungen aus Zürich aber permanent und ging so weit, dass er seinen Bruder und seinen Cousin keine 100 Meter von der ersten eine zweite Fabrik eröffnen liess. Mit der dort produzierten Lindt-Schokolade konkurrenzierten die Lindts das Lindt & Sprüngli-Produkt, was nicht nur dreist, sondern auch juristisch heikel war. 1908 kam’s zum Prozess. Das Urteil der Bundesrichter fiel erst 20 Jahre später. Rudolf Lindt erlebte die Niederlage seiner Familie nicht mehr, er starb vor der Urteilsverkündung. Bleibt zu hoffen, dass er im Himmel ein Stück gute Schweizer Schokolade bekam. Wenn nicht von Sprüngli, dann sicher von Camille Bloch.

Stelltafel von Lindt & Sprüngli für Verkaufsläden, um 1950.
Schweizerisches Nationalmuseum

Weitere Beiträge