Ein neuer Blick in die Welt
Jedes Zeitalter hat seine Massenmedien. Im 18. Jahrhundert erfreut sich der Guckkasten mit seinen kolorierten Ansichten ferner Welten grösster Beliebtheit. Er steht am Anfang der Entwicklung moderner Bildmedien.
Im 18. Jahrhundert wird Reisen modern. Es ist aber teuer und gefährlich. Wer zu Hause bleibt, liest Reiseberichte, schaut Stiche an oder betrachtet im Guckkasten Farbbilder von Sankt Petersburg und Rom, von Berlin und Paris, vom Brand des Theaters in Amsterdam, vom Erdbeben in Lissabon, von der Eroberung New Yorks durch britische Truppen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg oder von Naturschauspielen wie dem Rheinfall. Die im Kasten aufscheinenden Bilder öffnen und formen den Blick in die Welt.
Der Farbfernseher des 18. Jahrhunderts
Der Guckkasten ist sowohl auf Märkten als auch, in kleinerem Format, in Bürgerstuben anzutreffen. Ein solcher Guckkasten aus Pappkarton mit einem Set dazugehöriger Guckkastenblätter befindet sich in der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums. Der «Farbfernseher des 18. Jahrhunderts» schafft mithilfe von Linsen und Spiegeln die Illusion räumlicher Tiefe. Seine spiegelschriftlich betitelten Farbbilder berichten in realistischer Weise von fernen Städten und Ländern, von aktuellen Ereignissen und von Katastrophen. Raffinierte Kerzenbeleuchtung erlaubt es, den Wechsel von Tag und Nacht zu imitieren. Fenster, Türen und Gestirne sind auf den Blättern zu diesem Zweck oft ausgeschnitten und mit farbigen Seidenstreifen hinterlegt. Im Zeitalter der elektronischen Medien können wir uns kaum mehr vorstellen, welche unmittelbare Wirkung der vom gesprochenen Kommentar des Guckkastenmanns begleitete Blick in den Kasten hatte.
Zürich im Guckkasten
Die meisten Blätter zeigen Ansichten von berühmten Städten: Sankt Petersburg, Wien, Antwerpen, Genf, aber auch Konstanz, Meersburg, Lindau und Schaffhausen. Zu den berühmten Städten gehört im 18. Jahrhundert auch Zürich. Die beiden Zürcher Blätter aus dem Verlag der «Académie Impériale» in Augsburg zeigen die beliebtesten Ansichten der Stadt: diejenige vom See her und den berühmten Blick vom Wirtshaus Schwert über die Limmat und den See auf die Alpen. Der Aufenthalt in einem Eckzimmer des renommierten Gasthofs mit dem in der Reiseliteratur überall gepriesenen Blick war ein Must auf einer Schweizer Reise. Im «Schwert» stieg alles ab, was Rang und Namen hatte: von Casanova über die Herzogin von Württemberg zu Goethe. Die Namen der Gäste des Hotels Schwert sind auf den damaligen «Nachtzetteln» vermerkt, ihr Aufenthalt wird der interessierten Öffentlichkeit in Inseraten in den «Donnstagsnachrichten» angekündigt.
Übrigens: Casanova berichtet in seinen Memoiren von den amourösen Abenteuern im «Schwert», die in ihm den Entschluss reifen liessen, im Kloster Einsiedeln Mönch zu werden. Hermann Hesse hat die Geschichte gut 110 Jahre nach ihrer Niederschrift unter dem Titel «Casanovas Bekehrung» nacherzählt.