Henry Dunant – tragischer Held
Am 8. Mai 1828 kam Henry Dunant zur Welt. Der Genfer gilt als Vater des Roten Kreuzes. Seine humanistischen Ideen haben die Welt verändert. Eigentlich wollte er mehr Profit mit seiner Firma in Nordafrika machen, doch in Solferino wurde aus dem Kapitalisten ein Idealist.
Henry Dunant war Mitbegründer des Roten Kreuzes (IKRK). Sein Buch «Un souvenir de Solférino» über die Entscheidungsschlacht im Sardinischen Krieg war der Grundstein für ein humaneres Verhalten in Kriegszeiten. Dafür wurde der Genfer 1901 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Wer Dunant nun als vollkommenen Humanisten sieht, der irrt. Der Unternehmer weilte wegen wirtschaftlicher Interessen in Norditalien und wurde dort – eigentlich mehr durch Zufall – Zeuge der Unbarmherzigkeit des Krieges.
Kolonialgesellschaft für Algerien
Nach einer Banklehre gründete Henry Dunant 1856 eine Kolonialgesellschaft. Im von Frankreich eroberten Algerien liess er eine moderne Mühle bauen. Sie sollte später Weizenmehl nach Europa verkaufen. Dunant rechnete mit satten Gewinnen und auch seine Investoren sollten vom Engagement in Nordafrika profitieren. Doch die Franzosen gewährten ihm zu wenig Land und Wasser. Das Projekt war gefährdet. Die zuständige Verwaltung in Paris liess jedoch nicht mit sich reden, deshalb beschloss der Unternehmer, direkt bei Kaiser Napoleon III. vorzusprechen. Dieser weilte jedoch nicht in der Seinestadt, sondern in der Lombardei, wo er mit seinen Truppen gemeinsam mit Piemont-Sardinien gegen die Österreicher kämpfte (siehe Box).
Ein Herz für verletzte Soldaten
Beim Treffen wollte Henry Dunant dem französischen Kaiser eine selbst verfasste Huldigungsschrift übergeben. «Das wiederhergestellte Kaiserreich Karls des Grossen, oder das Heilige Römische Reich, erneuert durch seine Majestät Kaiser Napoleon III.», hiess das Werk und sollte den Monarchen für Dunants Anliegen günstig stimmen. Zum Treffen kam es nicht, hingegen traf der Genfer auf viele verwundete Soldaten, um die sich niemand kümmerte. Dieses Elend drängte die wirtschaftlichen Ambitionen in den Hintergrund. Er begann, den Verletzten zu helfen. Dabei unterschied er nicht zwischen den Kriegsparteien, sondern packte dort an, wo es gerade am nötigsten war. Nach seiner Rückkehr aus Norditalien beschäftigte ihn das Erlebte derart, dass er begann, darüber zu schreiben. «Un souvenir de Solférino» wurde 1862 in einer Auflage von 1600 Exemplaren gedruckt. Für die Kosten kam Dunant selbst auf. Er verteilte und verschickte das Buch an führende Persönlichkeiten aus Politik und Militär. Darin schlug der Genfer die Gründung einer internationalen Verwundetenhilfsorganisation vor. Dunants Idee fiel auf fruchtbaren Boden. Daraus resultierte 1863 das IKRK.
Der Sardinische Krieg von 1859
Im Sardinischen Krieg bekämpfte Österreich Sardinien-Piemont, das von Frankreich unter der Herrschaft von Kaiser Napoleon III. unterstützt wurde. Sardinien-Piemont wollte das Königreich Lombardo-Venetien, das seit dem Wiener Kongress von 1815 zu Österreich gehörte, erobern. Frankreich unterstützte dieses Vorhaben. Einerseits plante Napoleon III. ein geeintes Italien unter französischer Vorherrschaft, andererseits waren ihm Nizza und Savoyen versprochen worden. Im Mai und Juni 1859 kam es in Norditalien, darunter in Solferino, zu mehreren Schlachten zwischen den Kriegsparteien. Die Österreicher verloren und traten die Lombardei im Frieden von Zürich an Napoleon III. ab. Dieser gab das Gebiet an das Königreich Sardinien weiter. Der Sieg gegen Österreich war ein weiterer Schritt für ein geeintes Italien. Österreich hingegen verlor damit einen grossen Teil seiner Macht in Italien.
Privat war Henry Dunant allerdings nicht so erfolgreich. Sein Unternehmen in Algerien musste Konkurs anmelden, auch weil er es wegen seiner «humanistischen Mission» arg vernachlässigt hatte. 1868 wurde er von einem Genfer Gericht wegen betrügerischen Konkurses verurteilt. Bereits ein Jahr zuvor war er als IKRK-Sekretär zurückgetreten. Man hatte ihm diesen Schritt nahegelegt, ihn fast dazu gezwungen. Ohne Geld und ohne Ansehen begann eine langjährige Odyssee durch Europa. Nur dank der finanziellen Unterstützung von Freunden und Bewunderern fiel Henry Dunant nicht ganz in die Armut. Ende der 1880er-Jahre kam der Unglückliche nach Heiden. Eine kleine Rente seiner Angehörigen ermöglichte ihm ein bescheidenes Leben im Appenzellerland. 1895 entdeckte der Ostschweizer Journalist Georg Baumberger Dunant bei einem Spaziergang und berichtete über ihn. Der Artikel verbreitete sich rasend schnell in ganz Europa und sein Status stieg wieder. Viele Leute hatten ihn bereits für tot gehalten und waren erstaunt, dass der Mitbegründer des Roten Kreuzes noch lebte. Die russische Zarenwitwe Maria Feodorowna gewährte ihm eine jährliche Rente, welche die finanzielle Lage des Genfers verbesserte. Sein Ansehen stieg weiter, als er 1901 – gemeinsam mit dem französischen Pazifisten Frédéric Passy – den allerersten Friedensnobelpreis erhielt. Dunant starb 1910 in Heiden.
Trotz einem schwierigen Leben gilt Henry Dunant bis heute als Vater des Roten Kreuzes und wird in der ganzen Welt verehrt. Sein Buch «Un souvenir de Solférino» hat den Anstoss gegeben, den Krieg zu zivilisieren. Soweit das überhaupt möglich ist.