Der welsch-deutsche Friedens-Graben
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges spaltete die Schweizerische Friedensgesellschaft zwischen den welschen und den deutschsprachigen Sektionen. Der als «Graben» bezeichnete Konflikt der Sprachregionen stellte die Schweiz vor eine innere Zerreissprobe.
Bereits vor dem Krieg orientierte sich die deutschsprachige Schweiz am nördlichen Nachbar und zahlreiche Intellektuelle hatten an deutschen Universitäten einige Semester ihres Studiums verbracht. Im Westen orientierten sich die welsche Schweiz, ihre Politiker und Kulturschaffenden stark an Frankreich. Nach dem Kriegsausbruch verhärtete sich diese Haltung noch und die Kluft zwischen den Landesteilen vertiefte sich zu einem staatsgefährdenden Konflikt.
Die Verletzung der belgischen Neutralität
Gerade der Bruch der Neutralität Belgiens durch deutsche Truppen führte bei den Pazifisten und Pazifistinnen zu schweren Verwerfungen, die von den führenden Akteuren der Schweizerischen Friedensgesellschaft nur sehr notdürftig überbrückt werden konnten. Die von deutschsprachigen Sektionen an den Bundesrat gerichteten Appelle zugunsten einer Friedensvermittlung wurden von den welschen Sektionen mehrheitlich kritisch betrachtet. Der deutsche Völkerrechtsbruch habe einmal mehr gezeigt, dass die Vernichtung des preussischen Militarismus eine Vorbedingung sei, um den Weltfrieden etablieren zu können. Eine im Januar 1915 im Berner Internationalen Friedensbüro einberufene Sitzung führte schliesslich zum Scheitern der Einigungsbemühungen zwischen den Pazifisten, wobei Meinungsverschiedenheiten bei der Bewertung der belgischen Frage ausschlaggebend waren. Während der Präsident der Schweizerischen Friedensgesellschaft, der Luzerner Grossrat Franz Bucher-Heller, für eine Resolution aus dem deutsch-österreichischen Lager stimmte, befürworteten die welschen Mitglieder allesamt die Sichtweisen der Pazifisten aus den Ententestaaten. Von einem einheitlichen Programm der schweizerischen Friedensbewegung konnte nicht die Rede sein. Die Satirezeitschrift Nebelspalter stellte die «geteilte Schweiz» symbolisch mit einer Jasskarte dar, auf der sich die welsche und die deutschsprachige Schweiz mit ihren kulturellen Eigenheiten frontal gegenüberstehen.
Kriegsmüdigkeit und Friedensinitiativen
Spätestens das Jahr 1916 machte deutlich, dass an rasche militärische Siege nicht mehr zu denken war. Weder fiel entgegen Falkenhayns – dem Chef des deutschen Generalstabs – Erwartungen die Entscheidung zugunsten der Deutschen im blutigen Ringen um Verdun, noch wurde sie von den Soldaten der Entente unter nicht minder entsetzlichen Verlusten in der Schlacht an der Somme herbeigeführt. Auf allen Seiten machte sich eine tiefe Erschöpfung bemerkbar, verstärkt durch eine Verknappung der Lebensmittel.
In diesem Kontext erhielten Friedensinitiativen Aufwind: Die vom amerikanischen Industriellen Henry Ford unterstützte «Fordmission» und die «Stockholmer Konferenz der Neutralen» versuchten, Friedensverhandlungen in Gang zu bringen. Die in der Schweiz im Mai 1916 durchgeführten Friedensdemonstrationen genossen regen Zulauf; die Leute waren offensichtlich froh, nach anderthalb Kriegsjahren endlich einmal ihr Missfallen gegenüber den Krieg öffentlich kundzutun. Franz Bucher-Heller trat am 14. Mai 1916 zusammen mit dem Interparlamentarier Joseph A. Scherrer-Füllemann vor dem Internationalen Kriegs- und Friedensmuseum in Luzern als Redner an einer Friedenskundgebung auf. Sie mobilisierten 1000 Zuhörer und Zuhörerinnen und forderten den Bundesrat gemeinsam zu einer Friedensintervention auf. Diese stiess bei den welschen Sektionen auf ernsthafte Vorbehalte, weil Friedensinitiativen aufgrund des Verlaufs der Fronten vor allem den Mittelmächten zum Vorteil gereichen würden. Als der St. Galler Nationalrat Scherrer-Füllemann in der Parlamentssession vom 28. März 1917 erneut für eine Friedensvermittlung durch den Bundesrat plädierte, warf ihm der Präsident der Genfer Sektion, Louis Favre, sogar explizit vor, er stehe im Dienst der deutschen Propaganda.
Die Grimm-Hoffmann-Affäre
Die grundsätzlich passive Haltung des Bundesrates zu einer Friedensvermittlung wurde im Spätfrühling 1917 durch das Handeln eines Regierungsmitglieds bemerkenswert kontrastiert. Als der sozialdemokratische Nationalrat Robert Grimm auf einen Separatfrieden zwischen Deutschland und Russland hinwirken wollte, wurde dieser von Arthur Hoffmann, dem Leiter des Politischen Departements, unterstützt. Hoffmann handelte jedoch ohne das Einverständnis seiner Regierungskollegen. Nachdem seine Machenschaften an die Öffentlichkeit kamen und die Schweiz in den Verdacht der Parteinahme für Deutschland geraten war, trat Hoffmann zurück. Über seine Motive wird bis heute debattiert. Der Nebelspalter präsentierte ihn als gefallener Achill, dessen einzig verwundbare Ferse mit «Friedensliebe» angeschrieben war. Sein Handeln löste in der welschen Schweiz dagegen Protestaktionen aus. Dieser «Graben» in der Beurteilung von Hoffmanns Motiven verlief auch durch die Schweizerische Friedensgesellschaft: Während einige deutschschweizerischen Sektionen Solidaritätskundgebungen zu seinen Gunsten durchführen wollten, stuften die welschen Hofmanns Handeln als grobe Neutralitätsverletzung und als Versuch zur Begünstigung der Mittelmächte ein.