Das Kreuz mit der Hymne
Erst seit rund 40 Jahren ist der «Schweizerpsalm» die offizielle Hymne der Schweiz. Zuvor konkurrenzierten verschiedene Lieder um diesen Status.
Es muss die rund 30'000 Zuschauer im Hardturm Stadion am 28. Mai 1952 sonderbar angemutet haben, als vor dem Fussball-Länderspiel zwischen England und der Schweiz zweimal die gleiche Hymne abgespielt wurde. Oder doch nicht? Bis in die 1960er Jahre war nämlich das Lied «Rufst du, mein Vaterland» die gebräuchliche Hyme der Schweiz. Ihre Melodie war dem britischen «God Save the King/Queen» abgekupfert. Den Text dazu hatte Johann Rudolf Wyss 1811 verfasst. Erstaunt war man 1952 im Hardturm also wahrscheinlich nicht, wohl aber etwas peinlich berührt ob der Dreistigkeit der Vorfahren, die sich nicht um eine originale Melodie bemüht hatten.
Die Schweizer waren nicht die Einzigen, die das Lied der Briten für ihre Zwecke kopierten. 1745 wurde «God save the King» erstmals gesungen. Im 19. Jahrhundert nutzten fast sämtliche Könige, Herzöge und Fürsten des deutschen Reiches das Lied. Das erklärt, warum die Melodie im Fürstentum Liechtenstein heute noch als Hymne in Gebrauch ist.
In der Schweiz war «Rufst du, mein Vaterland» aber lange nicht das einzige Lied, das als Hymne in Frage kam. Neben der Landeshymne gibt es in der Schweiz noch heute viele Orts- und Kantonslieder, die aber keinen offiziellen Status haben.
Wie die Mythen fördert eine Hymne das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gemeinschaft oder einer Nation. In Bezug auf die Hymne äussert sich dieses Gefühl heutzutage vor allem an Sportveranstaltungen und repräsentativen Anlässen. Dass die Hymne der Schweiz keine original schweizerische Melodie hatte, war daher für Politiker sowie Sänger- und Heimatvereine bereits seit langem ein Problem. Schon früh wurde Kritik laut, dass sich «Rufst du, mein Vaterland» nicht mit der Schweiz identifizieren liess.
Auf entsprechende Postulate reagierte der Bundesrat trotzdem immer wieder ablehnend. 1894 war er der Meinung, dass «die Einführung eines derartigen Gesanges nicht durch Beschluss irgend einer Staatsbehörde dekretiert werden könne, sondern dem Geschmack des singenden Volkes anheimgestellt bleiben müsse». Sogar 1933, zur Zeit der geistigen Landesverteidigung, blieb der Bundesrat trotz zahlreichen Vorstössen von Sänger- und Tonkünstlervereinen bei seiner ursprünglichen Argumentation. Die Vereine krebsten sodann nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gar selbst zurück. Das «Erlebnis der LandesausstelIung» und der ausbrechende Weltkrieg habe das Lied «Rufst du, mein Vaterland» «neu lebendig werden lassen».
In einem Bericht von 1958 wies das Departement des Innern auf den Umstand hin, dass die Schweiz keine offizielle Hymne besitze und mehrere Lieder im Umlauf seien. Dies mache sich bei festlichen Veranstaltungen «stets unangenehm bemerkbar und wird besonders von Ausländern als merkwürdig empfunden». Dass die Melodie des «Rufst du, mein Vaterland» nicht allein der Schweiz gehört, mache sich «immer störender bemerkbar». Der Bericht empfahl den «Schweizerpsalm» als «rein schweizerische Schöpfung».