Der Traum vom Fliegen
Den Traum vom Fliegen träumten nicht nur die Grossen der Weltgeschichte. Auch im Zürcher Unterland wurde entwickelt und gebastelt. Aus Geldnot und knappen Ressourcen entstanden äusserst kreative Gefährte.
Der 101-jährige Willi Maag aus Niederglatt erinnert sich gut an die Flugtreffen, die immer sonntags stattfanden und die er und eine Handvoll Gleichgesinnter oft per Fahrrad besuchten. Seine Fotoalben dokumentieren die Anfänge der Modellfliegerei in den 1930er-Jahren, aber auch die der Fliegerei in der Schweiz.
In dieser Zeit entstanden die ersten Freiflugmodellflieger Marke Eigenbau. «Es gab damals keine Bausätze in der Schweiz. Die Modelle waren nicht viel mehr, als verleimtes Holz und Stoff», sagt Willi Maag. 1940 war er an den Nationalen Flugtagen in Solothurn dabei und landete mit seinem Segelmodelflieger «Grashüpfer» prompt auf dem ersten Rang. Das Modell fiel durch eine eigenwillige Konstruktion auf. So bestand der Flieger nur aus Flügeln und einem Motor. Er war aber der erste Segelmodellflieger der Schweiz, welcher mit Motor flog.
Boot ist auch ein Schlitten
Der Traum vom Fliegen schien in greifbare Nähe zu rücken, als Willi Maag und seine Freunde einen Hängegleiter der Segelfluggruppe Bülach übernahmen. Was dem Flugapparat noch fehlte, war ein Motor und eine luftundurchlässige Beschichtung der textilen Flügel. Der Motor wurde in Form eines ABC-Boxermotors gefunden, der eigentlich für ein Motorrad gedacht war. Geldmangel liess das Projekt frühzeitig scheitern. Der Traum von Fliegen war ausgeträumt, nicht jedoch die Lust, ein Modell zu bauen. Die Bastler werkelten munter weiter. Vorgängig hatte ein Mitglied der Gruppe das Modell eines Gefährts gezeichnet, welches in seiner Form an einen Zeppelin erinnerte. Dort sollte der Motor für den Antrieb nun hin. Aus Holz und ganz gewöhnlichem Nähstoff entstand ein zerbrechlich aussehendes, zigarrenartiges Fahrzeug.
Der erste Eindruck täuscht: Das Ding fuhr tatsächlich und war äusserst stabil. Mit den auf den Seiten angebrachten Schwimmern tuckerte es mit 20 bis 25 Stundenkilometer über die Gewässer des Zürcher Unterlands. Im Winter ersetzten Kufen die Schwimmer. Auf dem Eis erreichte der Schlitten rund 80 Stundenkilometer. Zwei Personen hatten Platz in dem Boot/Schlitten. Der Kriegsausbruch und die damit verbundene Benzinknappheit machten dem innovativen Treiben ein Ende.
So originell das selbstgebaute Gefährt auch war, den Traum vom Fliegen konnte es nicht ganz vergessen machen. Willi Maag arbeitete zuhause auf dem elterlichen Hof. Die knapp bemessene freie Zeit gehörte den selbst konstruierten Modelflugapparaten und den Ausflügen zu den aus heutiger Sicht oft abenteuerlichen Startplätzen, der bemannten Flugsegler.
Mit dem Katapult in die Luft
Ein solcher Startplatz befand sich ab August 1944 auf der 860 Meter über dem Meer gelegenen Lägern. Am Triangulationspunkt Hochwacht wurde ein einfaches Katapult mit Umlenkrolle und einer Klinkvorrichtung gebaut, von wo aus die Segelfluggruppe Dübendorf (spätere Segelfluggruppe Lägern) die Flieger in Richtung Furttal starten liess. Den nötigen Schwung brachte ein 1200 Kilo schweres Gewicht. Diese Art der Flugzeugstarts wurde nötig, da während der Kriegsjahre der Treibstoff knapp war. Transportiert wurden die Flieger meist mit Pferdewagen und vor Ort zusammengesetzt. Der Flugbetrieb lockte an sonnigen Wochenenden zahlreiche Schaulustige an. Aeronautische Höhepunkte waren der Start der Elfe P2, einem leichten und mit neu entwickelten schmalen Flügelprofilen ausgestatteten Segelflugzeug. Es stellte auch den Schweizer Streckenrekord mit Passagier vom Lägerngrad bis Solothurn auf. Nach dem Krieg wurde es aber wieder ruhig auf dem Berg. Die Segler bezogen schon bald «ihr» neues Flugfeld bei Dällikon im Furttal.
Das Leben hatte sich für Willi Maag, der gern Pilot geworden wäre, etwas anderes ausgedacht. Er übernahm den elterlichen Hof. Fliegen aber, blieb zeitlebens sein Traum und dieser erfüllte sich, wenn er als Passagier mitflog.