
«Marcello», die Frau mit vielen Gesichtern
Wie Adèle d’Affry, Herzogin von Castiglione Colonna (1836–1879), als Künstlerin unter dem Pseudonym «Marcello» berühmt wurde und mit den Grossen ihrer Zeit verkehrte.
Zurück in Rom widmet sie sich weiterhin ihren künstlerischen Neigungen und fertigt eine Büste ihres verstorbenen Gatten an. Zwei Jahre später lässt sie sich in Paris nieder, wo sie in der Rue Bayard 1 ein Atelier mietet. Ihre Abstammung und ihre kurze Ehe öffnen ihr die Türen zu den Salons des Second Empire. Sie verkehrt unter anderem mit dem Journalisten und Staatsmann Adolphe Thiers und dem Schriftsteller Prosper Mérimée und trifft den Maler Eugène Delacroix. Ihre künstlerische Tätigkeit setzt sie unter dem wachsamen Auge von Auguste Clésinger fort, dem Schwiegersohn von George Sand, einer Schriftstellerin und Feministin der ersten Stunde. Adèle nimmt Zeichenunterricht und besucht als Mann verkleidet diskret die Anatomiekurse der École de médecine de Paris. In jene Zeit fällt ihr erstes vollendetes Werk, La Belle Hélène (1860). Aber die Kunst hindert sie nicht an einer regen Teilnahme am Pariser Gesellschaftsleben. Wie es ihr Rang gebietet, ist sie an Diners und Bällen anzutreffen. Nachdem im folgenden Jahr die École des Beaux-Arts de Paris ihr als Frau die Immatrikulation verweigert, kehrt Adèle nach Rom zurück, wo sie mit Jean-Baptiste Carpeaux Bekanntschaft macht. Trotz ihres freundschaftlichen Verhältnisses lehnt sie seinen Heiratsantrag ab. Sie geniesst ihre Freiheit.



Adèle erliegt im Juli 1879 im Alter von 43 Jahren der Tuberkulose und hinterlässt mehrere Werke von hoher Qualität, unvollendete Memoiren sowie das Andenken an eine talentierte Künstlerin, eine mondäne und intellektuelle Herzogin ohne Ehegatten.
Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten
Die Geschichte einer Region oder eines Landes ist die Geschichte der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persönlichkeiten vor, die den Lauf der Schweizer Geschichte geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählungen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», herausgegeben 2016 von Frédéric Rossi und Christophe Vuilleumier im Verlag inFolio.


