Fotoporträt Katharina Morel, um 1870.
Fotoporträt Katharina Morel, um 1870. © Historisches Museum Luzern, Andri Stadler

Von der Beresina in die Luxus-Hotellerie

Wie Katharina Morel (1790–1876) die Strapazen des Russlandfeldzugs von 1812 am eigenen Leib erfährt und in Luzern zur Tourismuspionierin wird.

Jean-Jacques Langendorf

Jean-Jacques Langendorf

Studienleiter des Institut de stratégie comparée in Paris.

Zur Welt kommt Katharina Morel in Luzern im Wirtshaus «Zum Stein», das ihrem Vater gehört. Dieser hat sechs Jahre in Gibraltar verbracht und spricht fliessend Französisch und Englisch, im Gegensatz zu Katharinas Mutter, die weder lesen noch schreiben kann. Schon früh hilft Katharina in der Wirtschaft «Zum Kreuz» aus, die ihre Eltern gerade gekauft hatten. Als Schülerin der Klosterschule Mariahilf erbringt sie gute Leistungen. Als sie zehn Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter mit 31 Jahren im Kindbett. Katharina wird nach Kriens zu einer Tante geschickt. Sie soll dort den Beruf der Näherin erlernen. Allerdings muss sie zur Arbeit in den Gastbetrieb «Sauvage», um ihre Lebenskosten zu decken. Sie übernimmt dort nicht nur den Tischservice, sondern kümmert sich auch um den Weinkeller und die Abrechnungen. Nach drei Jahren holt ihre Tante sie zurück und sucht einen neuen Platz für sie. Ab da arbeitet sie als Serviertochter im Gasthaus «La Fleur de Lys».
Überquerung der Berezina im November 1812. Gemälde von Peter Hess, 1844.
Überquerung der Berezina im November 1812. Gemälde von Peter Hess, 1844. Wikimedia
Heinrich Peyer, ein junger Sattler und Sohn eines Schultheissen, verliebt sich in sie, doch seine Familie ist gegen die Heirat mit einem Dienstmädchen. Der Widerstand bröckelt schliesslich dank des Einsatzes eines guten Pfarrers und die Ehe wird 1806 geschlossen. Peyer eröffnet eine Sattlerwerkstatt in Willisau, doch die Geschäfte laufen schlecht und so beschliesst er, sich in französische Dienste zu begeben. Er verpflichtet sich im zweiten Schweizerregiment. Die Truppe ist in Marseille kaserniert und Peyer bittet seine junge Ehefrau, ihn dorthin zu begleiten. Das tut sie mit Freude. Nach einem Jahr wird das Regiment nach Paris geschickt. Die Stadt zieht Katharina in ihren Bann. Der Marsch der Truppe wird anschliessend nach Lüttich und Aachen, fortgesetzt. Die Truppe überquert am 2. Mai 1812 die polnische Grenze und am 22. Juni die Memel. Dank einem Pferd, das Katharina kaufen kann ist die Reise leichter. Anfang August wird sie Zeugin einer brutalen Schlacht in Polozk. Die Soldaten sind krank und ausgehungert, aller Mut ist verloren. Die junge Frau jedoch reisst sich zusammen. Bei einigen Juden findet sie Vorräte, welche sie kaufen kann. Mit dem Erlös aus ihrem kleinen Handelsgeschäft kauft sie Leder für ihren Ehemann, der so seine Arbeit als Sattler wieder aufnehmen kann.
Grenadiere des 1. und 2. Schweizerreigments im Einsatz während der Schlachten bei Polozk 1812. Handzeichnung von Karl Jauslin (1842-1904), 1887.
Grenadiere des 1. und 2. Schweizerreigments im Einsatz während der Schlachten bei Polozk 1812. Handzeichnung von Karl Jauslin (1842-1904), 1887. Schweizerisches Nationalmuseum
Als die Russen Mitte Oktober in den Gegenangriff auf die Stadt Polozk übergehen, flieht Katharina. Ihr Pferd verliert sie in Borissow; anschliessend quert sie die Beresina über eine Brücke inmitten des Menschengewühls der Fliehenden. Zum Teil auf einem Karren, zum Teil zu Fuss erreicht sie Vilnius, danach Königsberg, wo sie schwer erkrankt. Sie schleppt sich weiter bis nach Elbing, wo auch ihr Mann krank wird. Erst am 15. Mai, nach unglaublichen Strapazen – Hunger, Kälte, Brände, Raub, Leid und Kämpfe –, erreichen die Eheleute Peyer Basel. Doch schon bald darauf meldet sich Peyer für den Einsatz in holländischen Diensten. Katharina folgt ihm. In Antwerpen eröffnet sie eine Pension, doch das Land gefällt ihr nicht: Es plagt sie das Heimweh. Sie kehrt schliesslich nach Luzern zurück, wo sie das Hotel «Engel» übernimmt. Heinrich Peyer stirbt 1837. Katharina heiratet erneut, und zwar Joseph Morel, einen Tuchhändler aus Weggis, der allerdings 1844 stirbt.
Frack einer Uniform des Schweizerregiments in Holländischen Diensten (1815-1828).
Frack einer Uniform des Schweizerregiments in Holländischen Diensten (1815-1828). Schweizerisches Nationalmuseum
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Frack einer Uniform des Schweizerregiments in Holländischen Diensten (1815-1828).
Frack einer Uniform des Schweizerregiments in Holländischen Diensten (1815-1828). Schweizerisches Nationalmuseum
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Frack einer Uniform des Schweizerregiments in Holländischen Diensten (1815-1828).
Frack einer Uniform des Schweizerregiments in Holländischen Diensten (1815-1828). Schweizerisches Nationalmuseum
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Ansicht der Stadt Luzern, um 1840.
Ansicht der Stadt Luzern, um 1840. Zentralbibliothek Zürich
Doch damit sind Katharinas Leiden noch nicht vorbei. Sie muss die Schulden bei den Gläubigern ihres verstorbenen Mannes begleichen. Das kleine Mädchen, das sie adoptiert hat, wird ihr wieder weggenommen. Ein neuer Verehrer wird von einem Nebenbuhler getötet. Das von ihr geführte Hotel auf der Rigi fällt einem Brand zum Opfer. Katharina übernimmt schliesslich den «Schweizerhof» und macht daraus ein erstklassiges Hotel.
Hotel Schweizerhof, Luzern um 1850.
Hotel Schweizerhof, Luzern um 1850. Hotel Schweizerhof
1858 überreicht ihr der französische Botschafter in Bern die St.-Helena-Medaille für die Veteranen der Feldzüge Napoleons. Sie wird insgesamt an über 400’000 Personen verliehen, darunter etwa 100t Frauen. Auf Katharinas Urkunde wird sie als «Cantinière» (Marketenderin) vermerkt.
Fotografie von Katharina Morel, um 1870.
Fotografie von Katharina Morel, um 1870 (Rückseite).
Fotografie von Katharina Morel, um 1870. Auf der Rückseite steht: «Madame Morel in erster Ehe Frau Peyer – die ihren Gatten nach Russland begleitete mit Napoleon I.» ZHB Luzern Sondersammlung (Eigentum Korporation)

Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten

Die Geschich­te einer Region oder eines Landes ist die Geschich­te der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persön­lich­kei­ten vor, die den Lauf der Schweizer Geschich­te geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählun­gen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», heraus­ge­ge­ben 2016 von Frédéric Rossi und Christo­phe Vuilleu­mier im Verlag inFolio.

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