Porträt von Georges Oltramare, 1931.
Georges Oltramare oder der Wandel vom kulturellen Schriftsteller zum rechtsradikalen Journalisten. notrehistoire.ch / Bibliothèque de Genève

Rechter Kultur­schaf­fen­der

Wie der Genfer Autor und Schauspieler Georges Oltramare (1896–1960) immer mehr in die rechte politische Ecke rutschte und von dort aus Stimmung machte.

David Alliot

David Alliot

David Alliot ist Autor und freier Journalist in Paris.

Georges Oltramare, Sohn italienischer Einwanderer, die in Genf Zuflucht gesucht hatten, verschreibt sich schon sehr früh einer Karriere als Journalist. Er schreibt zuerst regelmässig für das Journal de Genève und die La Suisse, bevor er mit der Gründung des klar antisemitisch ausgerichteten Blattes Le Pilori politisch Stellung bezieht. Dort hetzt er gegen «Geschäftemacher» jeder Couleur und ruft dazu auf, in der Schweiz eine faschistische Partei nach mussolinischem Vorbild zu gründen. Der Autor von Unterhaltungsromanen und Theaterstücken ist in den späten 1920er-Jahren in einigen Filmrollen zu sehen, bevor er Anfang der 1930er-Jahre die politische Arena betritt. 1933 wird er in den Genfer Grossrat gewählt. Im selben Jahr gründet er die faschistische Partei «L’Union nationale» und knüpft Beziehungen mit den Anführern verschiedener faschistischer Bewegungen jener Zeit, beispielsweise mit Léon Degrelle in Belgien oder dem Kroaten Ante Pavelić. 1937 wird Oltramare von Mussolini empfangen und schliesst sich 1938 schliesslich der Nazibewegung an.
L'escalier de service, Theaterstück von Georges Oltramare, 1929. YouTube
Zum Zeitpunkt der Kriegserklärung im September 1939 agitiert seine Zeitung für die deutsch-französische Annäherung und bekommt die Schweizer Zensur zu spüren. Oltramare flieht im Mai 1940 nach Berlin und lässt sich dann im Gefolge der deutschen Besatzer in Paris nieder. Auf Bitte des deutschen Botschafters Otto Abetz leitet er die Redaktion von La France au Travail, der «grossen Tageszeitung im Dienst des französischen Volkes». Das Blatt begreift sich als «antikapitalistisch, antiparlamentarisch und antisemitisch» und richtet sich ursprünglich an die Leserschaft der kommunistischen Tageszeitung L’Humanité. Unter dem Pseudonym Charles Dieudonné verfasst Oltramare bissige Artikel und überlässt die Zeitungsspalten auch häufig seinen Freunden, Anhängern der herrschenden «neuen Ordnung» der Deutschen, darunter sein Landsmann, der Arzt und Rassenideologe George Montadon. Im Juli 1941 verlässt er La France au Travail, um für Radio Paris, das bekannterweise von der BBC mit dem Refrain «Radio Paris ment, Radio Paris ment, Radio Paris est allemand» (Radio Paris lügt, Radio Paris lügt, Radio Paris ist deutsch) verspottet wurde, zu arbeiten. Dort moderiert er politische Sendungen, etwa «Un neutre vous parle» (Hier spricht ein Neutraler), in denen er wenig überraschend die Kommunisten, die Gaullisten und Freimaurer angreift, und andere antisemitische Formate wie «Les Juifs contre la France» (Die Juden gegen Frankreich), wo unter anderem der Schauspieler Robert Le Vigan, mit dem er seit den 1930er-Jahren befreundet ist, zu hören ist.
Porträt von Georges Oltramare, 1923.
Porträt von Georges Oltramare, 1923. notrehistoire.ch / Bibliothèque de Genève

Verurtei­lung in der Schweiz

Oltramare wird Mitglied der antisemitischen Berufsvereinigung «Association des journalistes antijuifs» und bleibt enger Freund von Otto Abetz. Am 1. April 1944 richtet er das berühmte Bankett aus, das gemeinhin als «Le banquet des condamnés à mort» (Das Festmahl der zum Tode Verurteilten) bezeichnet wird – eine letzte Demonstration der Ambitionen der «Ultras» der französisch-deutschen Zusammenarbeit vor der Landung der Alliierten in der Normandie. Während der Besatzungszeit pflegt Oltramare Umgang mit zahlreichen französischen Künstlern, etwa jenen im Montmartre, darunter der bekannte Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline, der Schauspieler Robert Le Vigan und der Maler Gen Paul, mit denen er sympathisiert. Im Sommer 1944 setzt er sich auf Ersuchen seines Landsmannes Conrad Moricand für den Künstler Max Jacob ein, den man verhaftet hat. Oltramares Bemühungen sind allerdings vergeblich, denn Jacob stirbt im Sammellager Drancy. Wie zahlreiche andere «Gefährdete» verlässt Georges Oltramare im August 1944 Frankreich und flieht nach Sigmaringen, wo er auf seine Freunde Céline und Le Vigan trifft, die ebenfalls auf der Flucht sind. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs wird er von amerikanischen Soldaten verhaftet und am 21. April 1945 in die Schweiz abgeschoben. Dort wird er wegen «Angriffen auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft», «Verbrechen gegen den Staat» und «Besoldete Tätigkeit für die deutsche Regierung» angeklagt. Bis zum 19. Oktober 1947 sitzt er in Haft, dann wird er vorläufig freigelassen, während er auf seinen Prozess wartet. Um dem drohenden Urteil zu entgehen, beschliesst Oltramare, sich unter falschem Namen im Berner Oberland zu verstecken. Er wird aber von der Schweizer Justiz schnell wieder gefasst und wandert am 14. November 1947 erneut hinter Gitter.
Georges Oltramare verlässt 1947 den Gerichtssaal in Lausanne.
Georges Oltramare verlässt 1947 den Gerichtssaal in Lausanne. Keystone / STR
Das Bundesgericht verurteilt ihn schliesslich zu drei Jahren Zuchthaus. 1949 kommt er wieder frei. Am 13. Januar 1950 wird in Frankreich ein Abwesenheitsverfahren gegen ihn eröffnet, bei dem er wegen seiner Propagandatätigkeit für die Besatzer zum Tod verurteilt wird. Die 1950er-Jahre verbringt er zuerst im frankistischen Spanien, dann in Ägypten. Nach der Amnestie lässt er sich schliesslich in Paris nieder. 1960 stirbt Georges Oltramare. Er hinterlässt die Erinnerungsbücher Réglons nos comptes (Rechnen wir ab, 1949) und Les Souvenirs nous vengent (Die Erinnerungen rächen uns, 1956) sowie das Pamphlet mit dem unzweideutigen Titel La Peur de se mouiller (Die Angst, sich zu kompromittieren), in dem er die Neutralitätspolitik der Schweiz anprangert und die vermeintliche Feigheit seiner Mitbürger scharf verurteilt.

Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten

Die Geschich­te einer Region oder eines Landes ist die Geschich­te der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persön­lich­kei­ten vor, die den Lauf der Schweizer Geschich­te geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählun­gen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», heraus­ge­ge­ben 2016 von Frédéric Rossi und Christo­phe Vuilleu­mier im Verlag inFolio.

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