Panorama des Bieler-, Murten- und Neuenburgersee, ca. 1825.
Panorama des Bieler-, Murten- und Neuenburgersee, ca. 1825. Zentralbibliothek Zürich

Der Traum vom Kanton Biel

Ein imaginäres Gespräch über den Diplomaten, Amtsstatthalter, Soldaten, Archäologen, Maler und Wohltäter seiner Stadt: Georg Friedrich Heilmann (1785–1862).

Philippe Garbani

Philippe Garbani

Ehemaliger Statthalter und ehemaliger Präsident des Rats für frankophone Angelegenheiten des zweisprachigen Amtsbezirks Biel.

Auszug aus der Zeitung Der Seeländer Bote vom 25. Juli 1862: Meldung über den Tod von Herrn Georg Friedrich Heilmann, geboren am 4. Januar 1785, letzter Träger seines Familiennamens. Ein Mann, der sich sehr um Biel verdient gemacht hat, besonders in der Zeit der Vereinigung mit Bern (1814 und 1815). Noch kürzer könnte man den berühmtesten Bieler des Jahrhunderts nicht beschreiben.
Georg Friedrich Heilmann um 1810.
Georg Friedrich Heilmann um 1810. Wikimedia
Der Enkel des Mannes, der in Biel heute als «Kommandant» Scholl bekannt ist, fragt seinen Ahnen aus: – Wer ist dieser Heilmann, der gerade gestorben ist? Noch nie von ihm gehört! – Weisst du, das war ein sehr berühmter Bieler! Ich habe ihn gut gekannt. Ich darf sogar sagen, dass wir ein Leben lang Freunde gewesen sind. Als Kinder wohnten wir direkt nebeneinander. Er wurde schon in jungen Jahren bekannt. Das war die Zeit Napoleons, als Biel noch nicht zu Bern, sondern zu Frankreich gehörte. Georg Friedrich Heilmann war gerade aus Deutschland zurückgekehrt, wo er Wirtschaftspolitik und Recht studiert hatte. Er – als einstiger Bewunderer des Deutschen Adlers – hatte das Kommando über die alte Nationalgarde in Biel übernommen und ein Freiwilligenkorps gegen Napoleon daraus gemacht. Das war in den frühen 1810er-Jahren und er war gerade einmal 25 Jahre alt.
Fähnrich eines Regiments der Stadt Biel, um 1798.
Fähnrich eines Regiments der Stadt Biel, um 1798. Schweizerisches Nationalmuseum
Als Napoleon dann in Leipzig besiegt wurde, die Truppen der alliierten Monarchen in Paris einmarschierten und der Kaiser auf die Insel Elba fliehen musste, war es Frühling im Jahr 1813 geworden und mein Freund Georg Friedrich wurde in die provisorische Regierung von Biel aufgenommen, in der sein Vater, Niklaus Heilmann, die Geschicke lenkte. Das war der Anfang einer Reihe von diplomatischen Missionen, die ihn berühmt gemacht haben. Zuerst wurde er nach Frankreich geschickt, um von General Schwarzenberg, Oberkommandierer der alliierten Streitkräfte, die Anerkennung der Zugehörigkeit Biels zur Schweiz einzuholen, was bedeutete, dass Biel von den antifranzösischen Truppen nicht als Feind behandelt werden durfte. Anschliessend traf er in Basel den österreichischen Kaiser, der das Versprechen Schwarzenbergs absegnete. Dann vertrat er die Stadt Biel im Frühling 1814 bei der Tagsatzung in Zürich. Auch hier war das Ziel, dass seine Stadt in die Eidgenossenschaft aufgenommen würde. Im Sommer 1814 gestaltete er einen Verfassungsentwurf für einen neuen Schweizer Kanton, der Biel sowie den ganzen südlichen (und protestantischen) Teil des früheren Bistums Basel umfassen sollte.
Die Schweiz zur Zeit der helvetischen Republik 1798.
Die Schweiz nach dem Wiener Kongress 1815.
Die Schweiz zur Zeit der helvetischen Republik 1798 und nach dem Wiener Kongress 1815. Aus Wilhelm Oechsli: Schweizergeschichte für Mittelschulen. Zürich 1894. Schweizerisches Nationalmuseum / Schweizerisches Nationalmuseum
Schliesslich begann die wichtigste Verhandlung seines Lebens. Von Oktober 1814 bis März 1815 verhandelte er mit den Botschaftern der Könige und Kaiser am Wiener Kongress über die Neugestaltung Europas. Sein Ziel war stets, für unsere Stadt und unsere Region eine gewisse Autonomie zu bewahren. Die neuen Herrscher Europas entschieden sich schliesslich gegen ein katholisches Fürstentum Pruntrut und teilten Biel mitsamt dem gesamten früheren Bistum Basel dem Kanton Bern zu.
Le gâteau des rois (der Kuchen der Könige). Karikaturistische Sicht auf den Wiener Kongress.
Le gâteau des rois (der Kuchen der Könige). Karikaturistische Sicht auf den Wiener Kongress. British Museum
– Verstehe, er war also Diplomat. Dann überrascht es mich nicht, dass ich noch nie von ihm gehört habe! – Nein, er war kein Diplomat. Hast du zum Beispiel schon einmal von dem grossen Bauprojekt zur Verhinderung von Überschwemmungen im Grossen Moos gehört? – Ja, natürlich! In der Schule haben wir darüber gesprochen. Ein Ingenieur aus dem Kanton Graubünden mit einem komischen Akzent kam vorbei. Sein Name war Herr Nicca, glaube ich. Er hat uns sein Projekt erklärt, mit dem er die Aare in Aarberg direkt in den Bielersee umleiten wollte.
Ortsansicht von Biel im 19. Jahrhundert.
Ortsansicht von Biel im 19. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum
– Genau. Nun war aber Georg Friedrich Heilmann der erste, der nach den schlimmen Hochwassern in der Region 1816 und 1817, als er Amtsstatthalter war, 1820 ein Memorial zur Risikominderung von Überschwemmungen rund um Biel verfasste und ein Projekt dafür ausarbeitete. – Also war er am Ende auch ein Ingenieur, wie dieser Herr Nicca? – Nein, er war Armeeangehöriger, wie ich auch. Das ist schwer zu erklären. Nach seiner Rückkehr aus Wien wurde er zuerst Mitglied des bernischen Grossen Rates. Anschliessend wurde er zum Amtsrichter und Amtsstatthalter des Distrikts Biel ernannt, sogar noch bevor es den Distrikt überhaupt gab. Deswegen nannte man ihn Unteramtsstatthalter. Als er dieses Amt innehatte, erstellte er sein berühmtes Memorial zu den Überschwemmungen. Durch den Vorgeschmack der militärischen Führung, den er mit seinem kleinen Freiwilligenkorps bekommen hatte, begann er bald eine Laufbahn als Hauptmann und nach einigen Jahren als Bataillonskommandeur und Oberst des Militärbezirks Thun. Trotzdem war er noch immer sehr vielseitig interessiert und trieb Initiativen voran. Privat beschäftigte er sich mit Malerei, Literatur und Musik. Er war ausserdem ein passionierter Sammler, genau wie sein Vater. Daneben brachte er sich ausserdem stark in das öffentliche Leben seiner Stadt ein. So gründete er zum Beispiel 1820 die Ersparniskasse Biel. Es gab keine Veranstaltung oder Festivität, an der er nicht teilnahm. Einige erinnern sich noch daran, dass er die Bieler Schützen an das Eidgenössische Schützenfest in Basel geführt hat. 1826 organisierte er eine Sammelaktion von Haus zu Haus zur Unterstützung der Griechen bei ihrem Befreiungskampf gegen die Türken. Als Mitglied der Kantonalen Baukommission förderte er Strassenbauprojekte zwischen Biel und Solothurn sowie Bözingen und dem Jura. Dennoch war ihm vielleicht der Horizont seiner kleinen Stadt zu eng – Biel hatte in den 1820er-Jahren knapp 3000 Einwohner – oder die Adeligen des Ancien Régime an der Spitze der Kantonsregierung in Bern liessen ihn nicht frei atmen. Vielleicht hatte er aber auch durch seine früheren Einsätze und Auslandsreisen Gefallen an Abenteuern oder weiten Horizonten entwickelt. Jedenfalls ging er als 44-jähriger im Rang eines Offiziers mit einem bernischen Regiment nach Neapel und diente dem neuen König des Königreichs beider Sizilien, den er seit seiner Jugend kannte. Etwas über 15 Jahre blieb er dort, weit weg von seiner Familie – er hatte vier kleine Kinder – und seiner Stadt. Diese lange Abwesenheit war zweifellos ein Grund dafür, dass man ihn in seiner Heimatstadt ein bisschen vergessen hat. Als er 1845 zurückkehrte, war er bereits ein betagter Herr von 60 Jahren. Es ist also ganz normal, dass junge Leute in deinem Alter noch nie von ihm gehört haben. Dennoch war er weiterhin aktiv: Er wurde erneut in den Grossen Rat gewählt und du bist ihm ganz sicher mehrmals in der Stadt begegnet. Hast du gewusst, dass er es war, der den Bau des sogenannten «Pavillon Felseck» wenig oberhalb des Sees veranlasst hat? Oder der die Behörden dazu gebracht hat, die Pasquart-Allee hinunter zum Bielersee zu sanieren und den Schüsskanal durch die Stadt zu graben?
Postkarte mit dem Pavillon Felseck, 1906.
Postkarte mit dem Pavillon Felseck, 1906. ETH-Bibliothek Zürich
– Aha, jetzt weiss ich glaube ich, wer er war. Hat nicht auch er die Idee für die Eisenbahnlinie ab Biel angestossen? – Genau. Aber es gibt noch zwei andere Tatsachen, über die man nie spricht, wenn es um Georg Friedrich Heilmann geht. Als er Offizier in Neapel war, hat er in den Pausen zwischen den Militäraktionen archäologische Forschungen unternommen. In Nola bei Neapel hat er sogar die Leitung eines archäologischen Museums übernommen und antike Kunstgegenstände an eine Sammlung in Bern geschickt. Also könnte man, wenn man wie du ganz genau wissen will, wer dieser Mensch gewesen ist, sagen, dass er Archäologe war. Zwar ist das den Leuten nicht in Erinnerung geblieben, doch die Archäologie gehörte wahrscheinlich zu seinen grössten Leidenschaften – wie auch das Zeichnen und Malen. Und vielleicht interessierst du dich eines Tages für Kunstbände und entdeckst die Reproduktion eines grossen Gemäldes von Neapel, signiert mit G.F. Heilmann de Rondchâtel. Das war er.
Der Golf von Neapel, Lithografie einer Zeichnung von Georg Friedrich Heilmann, 1841.
Der Golf von Neapel, Lithografie einer Zeichnung von Georg Friedrich Heilmann, 1841. Schweizerisches Nationalmuseum

Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten

Die Geschich­te einer Region oder eines Landes ist die Geschich­te der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persön­lich­kei­ten vor, die den Lauf der Schweizer Geschich­te geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählun­gen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», heraus­ge­ge­ben 2016 von Frédéric Rossi und Christo­phe Vuilleu­mier im Verlag inFolio.

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