
Der Süsswasserpirat vom Genfersee
Im 18. Jahrhundert trieb ein Pirat sein Unwesen auf dem Genfersee. Sein grösster Coup: Er klaute die Kriegskasse der Franzosen.

Ab April 1703 durften nur noch die eigenen Seeleute Barken und Brigantinen der Stadt mit Waren beladen und entladen, was in erster Linie die Schiffer aus dem Waadtland hart traf. Da die Zahl der vornehmlich aus Orange stammenden Flüchtlinge innerhalb der Stadtmauern rasant zunahm, sahen die Genfer Behörden dringenden Handlungsbedarf.


Dantal kannte sich seit frühester Kindheit mit dem Segeln aus. Da er als Patriot mit den Kamisarden sympathisierte, fasste er im Frühjahr 1704 den Entschluss, sich am Krieg gegen Frankreich zu beteiligen. Er scharte ein paar Männer um sich und stattete sie, so gut es ging, mit Waffen aus. Seine erste Schlacht dürfte er mit nicht viel mehr als einem bescheidenen Fischerboot geführt haben. Hätte er eines der Segelschiffe seines Vaters genutzt, wären Hinweise darauf in den Archiven zu finden.

Die Ruhe vor dem Sturm
Während der folgenden Monate verhielt sich der Korsar ruhig. Erst 1705 machte er wieder von sich reden, nachdem die französischen Truppen des Herzogs von Vendôme im August die Schlacht von Cassano gegen Savoyen gewonnen und die Lombardei besetzt hatten. Dafür mussten die Soldaten natürlich entlohnt werden. Der Transport der Goldmünzen für die Truppen von Vendôme in Norditalien wurde von Genfer Bankiers organisiert. Er sollte zunächst am Ufer des Genfersees entlang und dann über die Alpen verlaufen. Eine ebenso anspruchsvolle wie aussergewöhnliche Aufgabe. Im Oktober 1705 machte sich ein Konvoi mit einer eher dürftigen Eskorte auf den Weg. Die Kutschen mussten entlang des schweizerischen Seeufers fahren, da es als sicherer galt als die andere Seite, wo das Risiko, in einen Hinterhalt savoyischer Partisanen zu geraten, hoch war. Doch irgendwas war offenbar durchgesickert, denn Dantal erhielt Wind von dem Sondertransport und plante einen weiteren Angriff. Den französischen Truppen Gold abzuknöpfen, war für ihn in mehrfacher Hinsicht lohnenswert: einerseits für seine persönliche Bereicherung, andererseits für die Sache Savoyens.

Das kleine Segelboot legte nur eine kurze Strecke bis zu einem nahegelegenen Wald zurück, wo bereits Dantals übrige Anhänger mit Waffen warteten. Mit voller Besatzung steuerte das Boot schliesslich in der Dunkelheit nach Westen, vorbei an den Landorten der Waadt Allaman, Rolle und Nyon. Im Licht der Morgendämmerung legten die Freibeuter gleich hinter dem Hafen von Coppet an. Ihr Ziel war ein verlassener Strand in der Nähe der Konvoiroute. Nun hiess es abwarten. Die Piraten harrten mehrere Stunden geduldig versteckt im feuchten Gras aus. Gegen Mittag des 20. Oktober aber hatten sie das Warten satt und glaubten nicht mehr daran, dass das Gold des Herzogs auf diesem Weg transportiert werden würde. Sie traten den Rückzug an. So leicht wollte Dantal jedoch nicht aufgeben. Er beschloss, den See zu überqueren und das Dorf Hermance einzunehmen, das sich in französischer Hand befand, um sich davon zu überzeugen, dass die Wagen von Vendôme nicht am anderen Ufer entlanggefahren waren.

Also setzten sie Segel in Richtung des savoyischen Dörfchens Yvoire, wo die Ruinen des mittelalterlichen Schlosses Schutz gegen allfällige Angriffe boten. Der dortige Herr von Cinquantod, dessen Sympathie für die Franzosen bekannt war, musste den Platz für die Nacht räumen.
Fette Beute
Was mit dem Gold geschehen ist, weiss man bis heute nicht. Haben die Piraten die Beute unter sich aufgeteilt? Oder hat Dantal die Münzen dem Kamisardenanführer Jean Cavalier übergeben, der sich mit seinen Männern gerade in den Dienst des Herzogs von Savoyen gestellt hatte? Auf jeden Fall wurden Dantal und seine Seeräuber einige Tage später in Bern gesehen, wo sie ihren Sieg in der Herberge «La Cigogne» und im Hotel «Croix-Blanche» feierten, ohne sich von den Berner Bogenschützen verunsichern zu lassen – allen Protesten der französischen Diplomaten zum Trotz. Danach verschwand der Pirat von der Bildfläche. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört...