Das prachtvolle Glasgemälde im Rittersaal des gotischen Hauses zu Wörlitz zeigt die 18 Bannenträgerscheiben aus dem alten Zürcher Schützenhaus, 1785.
Kulturstiftung Dessau-Wörlitz

Die Shopping­tour von Fürst Franz

Der deutsche Fürst Leopold III. hatte eine Schwäche für Glasgemälde. Auf einer Einkaufstour in der Schweiz sicherte er sich einige wertvolle Exemplare. Sie sind heute in Wörlitz zu sehen.

Mylène Ruoss

Mylène Ruoss

Mylène Ruoss ist Historikerin und Kuratorin beim Schweizerischen Nationalmuseum.

Zürich war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine beliebte Reisedestination und wurde seiner besonderen Lage am See wegen sehr gerühmt. Kaum ein Fremder, der damals die Limmatstadt besichtigte, ging nicht auf eine «Visite» zum Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller Johann Caspar Lavater (1741-1802). Und kaum einen Fremden, den Lavater nicht auf den Lindenhof in Zürich geschickt hat, um dort die Standfigur mit Wilhelm Tell und dessen Sohn Walterli zu besichtigen. Wilhelm Tell war der bedeutendste Protagonist in den alten Freiheitssagen und galt als Symbol der alteidgenössischen Freiheit.

Im Sommer 1782 begegnen sich Lavater und der deutsche Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1818), auf Fürst Franz genannt, zum ersten Mal in Zürich. Sie reisen zusammen über Strassburg nach Karlsruhe, um ihren gemeinsamen Freund, den Markgrafen von Baden, zu besuchen. Auf dem Weg dorthin machen sie einen Halt in Königsfelden und bewundern in der Kirche die leere Grabstätte «von neun königlichen und herzoglichen Leichen und die gemahlten Scheiben der Kirche».

Ein Jahr später treffen Fürst Franz und seine Frau Louise in Baden (AG) ein. Von dort unternehmen sie Ausflüge auf die Habsburg, nach Königsfelden und Zürich. Wie der Sohn des Fürsten in seinem Tagebuch festhält, begibt sich sein Vater am 13. August 1783 nach Zürich und kehrt erst am darauffolgenden Tag mit Johann Caspar Lavater und dessen Gattin nach Baden zurück. Dabei «brachte [er] eine Menge gemalter Glasscheiben für Fenster zurück, deren Betrachtung uns einige Zeit unterhielt». Der Fürst reist in die Innerschweiz und kauft unterwegs «verschieden alt gemahlte Fenster Scheiben».

Johann Caspar Lavater in seinem Arbeitszimmer. Gemälde von Antonio Orazio Moretto, um 1798.
Schweizerisches Nationalmuseum

Jagd nach gemalten Scheiben

Ende August muss Leopold III. seinen Aufenthalt in der Schweiz abrupt abbrechen und nach Dessau zurückkehren. Fürstin Louise mietet ein grosszügiges Landhaus in Hottingen und verbringt den Herbst in Zürich. Mitte Oktober ist ihr Mann zurück. In Begleitung von Lavater reist die fürstliche Familie über den Albispass nach Luzern. Sie versuchen «in einem Ort namens Knonau einige gemalte Scheiben zu kaufen, aber die Leute, welchen sie gehörten, verlangten zu viel».

Am nächsten Morgen besteigt die Reisegesellschaft ein Schiff, das sie zum Telldenkmal auf der kleinen Insel Altstaad beim Meggerhorn im Viewaldstättersee und zur Rütliwiese bringt. Auf dem Rütli pflücken sie als Andenken Efeu, «welcher die Steine dieses wegen der Freiheit bemerkenswerten Brunnens umgibt». Am 3. November 1783 endet der Zürcher Aufenthalt des Fürstenpaares und es fährt über Karlsruhe nach Dessau zurück. Wenige Tage nach ihrer Abreise schreibt ihnen Lavater: «Guten Tag, Ihr Lieben, niemals Fernen! … gestern ward die Kiste zugemacht und abgegangen.» Lavater unterlässt es, im Detail auf den Inhalt der Kiste einzugehen. Wie wir heute wissen, hatte der deutsche Fürst während seines Aufenthaltes in der Schweiz über 100 historische Glasgemälde aus der Zeit zwischen dem frühen 16. bis zum späten 17. Jahrhundert zusammengetragen. Mit der Unterstützung von Lavater gelang es ihm, an ausgewählte Scheiben zu gelangen und diese oftmals zu einem hohen Preis zu erwerben. Zu den schönsten Stücken zählen die vollständige Serie der Bannerträgerscheiben und die Rundschreiben mit Darstellungen des Rütlischwurs aus dem alten Schützenhaus am Platz in Zürich, die Credofolge aus der Kirche Maur am Greifensee oder die kapitale Rütlischwurscheibe aus dem Wirtshaus zum Adler in Knonau.

Porträt von Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau.
Wikimedia / Germanisches Nationalmuseum

Schweizer Glasgemälde in Wörlitz

Nach Hause zurückgekehrt, liess Fürst Franz die Glasgemälde in die Fenster seines Gotischen Hauses im Landschaftspark Wörlitz bei Dessau einbauen. Auf seinen Reisen nach England hatte er den Tempel im Landschaftsgarten von Stowe oder das Landhaus Strawberry Hill besucht und dort die wiederverwendeten alten Glasmalereien gesehen, welche die Engländer mit dem goldenen Zeitalter, dem frühen Mittelalter, in Verbindung brachten. Nach englischem Vorbild verbaut der Fürst die Scheiben und ordnet sie – inhaltlich getrennt – besonderen Räumen zu: die Bannerträger aus dem Schützenhaus in Zürich zieren den Rittersaal, Scheiben zur alteidgenössischen Freiheit mit Wilhelm Tell schmücken das kriegerische Kabinett und die Apostel und Heiligen aus der Credofolge in der Kirche Maur das geistliche Kabinett.

Die historischen Glasgemälde wurden in teure Tongläser in Gelb und Blau gerahmt. So lassen die Fenster wenig Tageslicht einfallen und verleihen den Räumen ein mythisches Licht. In Wörlitz symbolisieren die Glasgemälde die Unabhängigkeit und Freiheit des mittelalterlichen Schweizerbundes, zugleich aber auch die politische Gesinnung des aufgeklärten Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau.

Es ist ein Glücksfall, dass die Glasgemälde die letzten 240 Jahre unbeschadet in Wörlitz überstanden haben. Das tröstet auch darüber hinweg, dass die Scheiben nicht in der Schweiz, sondern in Deutschland zu besichtigen sind.

Das Kriegerische Kabinett in Wörlitz. In der Mitte des Fensters sind zwei Glasscheiben zum Rütlischwur zu sehen. Sie stammen ursprünglich aus dem alten Zürcher Schützenhaus und aus dem Wirtshaus zum Adler in Knonau.
Kulturstiftung Dessau-Wörlitz

Weitere Beiträge