Auf einigen Bündner Häusern treiben Drachen ihr Unwesen. Ursprünglich symbolisierten die Tiere Schutz.
Auf einigen Bündner Häusern treiben Drachen ihr Unwesen. Ursprünglich symbolisierten die Tiere Schutz. Katrin Brunner

Die Kunst des Kratzens

Wer im Graubünden in die Ferien geht, begegnet ihnen überall: den Sgraffiti. Die gekratzten Muster und Bilder kamen ursprünglich aus der Toskana in die Schweiz.

Katrin Brunner

Katrin Brunner

Katrin Brunner ist selbstständige Journalistin mit Schwerpunkt Geschichte und Chronistin von Niederweningen.

Steivan Liun Könz steht mit seinen teilweise humorigen Darstellungen von Figuren und Ornamenten in einer lange Reihe von Sgraffito-Künstlern, die weit über die Kantonsgrenze des Graubündens ihre Spuren hinterliessen und doch meist namenlos blieben. Der Begriff Sgraffito kommt vom italienischen «sgraffiare», was kratzen bedeutet. So werden in die, mit meist hellem Kalkanstrich übermalte, noch frische Fassaden-Putzschicht mit scharfkantigen Werkzeugen Ornamente, Segenssprüche und Symbole gekratzt und allenfalls koloriert.
Sgraffito von Könz an einem Bergüner Haus.
Sgraffito von Könz an einem Bergüner Haus. mural.ch
Diese Art des Hausschmucks brachten italienische Baumeister seit dem 15. Jahrhundert aus Norditalien mit in den Alpenraum. Genauer aus der Toskana, wo zahlreiche Fassaden der Palazzis ab dem 14. Jahrhundert in dieser Art mehr oder weniger üppig dekoriert wurden. Vieles was man heute über die Herkunft der Sgraffiti weiss, ist dem italienischen Architekten Giorgio Vasari zu verdanken. Er beschrieb die Technik 1568 als «Zeichnung und Malerei zugleich», welche vor allem zur Verzierung von Häusern und Palästen diene. Vasaris Überlegungen waren in erster Linie praktischer Natur. Nicht nur könne so schnell gearbeitet werden, die Werke seien auch wasserbeständig und damit haltbarer als die «gewöhnliche» Malerei.
Porträt von Giorgio Vasari, um 1570.
Porträt von Giorgio Vasari, um 1570. Wikimedia
Hierzulande war und ist diese Art der Dekoration aber weit mehr als pure Dekoration. Fast jedes Ornament und jede Figur beinhaltet eine tiefere Symbolik. Wer durch Bündner Dörfer wie Bergün, Ardez oder Bever spaziert, dem fallen die unterschiedlichsten Motive an den Hauswänden auf. Da tummeln sich beispielsweise Fische, Drachen oder Meerjungfrauen. Blumen und Ornamente sind ebenso sichtbar wie Haussegnungen in Form kurzer Sprüche.
Das Schulhaus von Bever, aufgenommen Ende des 19. Jahrhunderts.
Das Schulhaus von Bever, aufgenommen Ende des 19. Jahrhunderts. Schweizerisches Nationalmuseum
Was beim ersten Blick so gar nicht zu passen scheint, wird beim genauen Hinschauen verständlicher. Beispielsweise die Meerjungfrauen. Dabei handelt es sich bei den Hausbesitzern nicht um Liebhaber der grossen Kaffeehauskette aus Seattle. Die Nixe verkörpert eine Nymphe, eine Wasserkönigin. Diese gilt als Beschützerin des Wassers, aber auch der Seelen von Neugeborenen, die aus dem Wasser geboren werden. Der Fisch steht ebenfalls für Wasser und dessen lebensnotwendige Bedeutung. Wie der Hase gilt der Fisch aber auch als Fruchtbarkeitssymbol. Der auch oft zu sehende Drachen erhielt seinen schlechten Ruf erst durch das Christentum, welches in seinem Kampf gegen alles in seinen Augen Heidnische das ursprünglich Schutz verheissende Tier «verteufelte». Ornamente wie das Doppelwellenband symbolisieren den ewigen Kreislauf des Lebens. Die fünfblättrige Rose steht für Christus und die vier Evangelisten.
Die Nixe beschützt die Seelen von Neugeborenen. Sgraffito auf einem Haus in Bever.
Die Nixe beschützt die Seelen von Neugeborenen. Sgraffito auf einem Haus in Bever. Katrin Brunner
Steivan Liun Könz war ein Meister seines Faches, der seine traditionellen Motive immer wieder augenzwinkernd mit lustigen Details versah. Seine Wand- und Mauerdekorationen finden sich beispielsweise in Bergün, in Scuol aber auch in Zürich, wo er eine Zeit lang lebte. Der Künstler wurde nur 57 Jahre alt und verstarb 1998 in Chur. Namenlos blieb Könz allerdings nicht. Seine exzellenten Werke zieren über 100 Häuser im Graubünden und gehören bis heute zum kulturellen Angebot der Region. Dass der Künstler ausserdem der Sohn der Schellenursli-Autorin Selina Könz war, verhalf ihm zudem zu zusätzlicher Publizität.

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