Memorialbild in der Kapelle mit der Grablege der Herren von Hohenklingen in der Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei Sankt Georgen in Stein am Rhein, um 1420.
Memorialbild in der Kapelle mit der Grablege der Herren von Hohenklingen in der Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei Sankt Georgen in Stein am Rhein, um 1420. Roman Sigg / Stadtarchiv Stein am Rhein

Im Gefolge der Heiligen Drei Könige

In gleicher Grösse wie die Heiligen Drei Könige erscheinen die Freiherren von Hohenklingen vor dem Stall zu Bethlehem. Das um 1420 gemalte Memorialbild in der Grabkapelle des Adelsgeschlechts in Stein am Rhein ist eine ritterliche Selbstinszenierung.

Felix Graf

Felix Graf

Felix Graf, bis 2017 Kurator am Landesmuseum Zürich, ist freier Publizist.

Walter VII. von Hohenklingen befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht, als er die südliche Wand der Marienkapelle in der Klosterkirche der Benediktinerabtei Sankt Georgen in Stein am Rhein mit einer Darstellung der Anbetung der Heiligen Drei Könige bemalen liess. Der Streubesitz des mit Kunigunde von Fürstenberg verheirateten Ritters reichte vom Hegau über den Thurgau bis an den Zürichsee. Ihre Tochter Anastasia war von 1398 bis 1418 Äbtissin der Zürcher Fraumünsterabtei. In einem geschickten Balanceakt wusste Walter zwischen den Habsburgern und dem Reich eine starke Stellung zu wahren. Das Zentrum seiner Macht lag in der unmittelbaren Umgebung von Stein am Rhein mit dem verkehrsgeografisch wichtigen Ausfluss des Rheins aus dem Bodensee. Er war Schirmherr von Kloster und Stadt, gab den Kaufleuten Geleitschutz und zog den grossen Zoll zu Wasser und zu Land ein. In der Stadt besass er drei oder vier Stadthäuser, zwei davon mit weitläufigen landwirtschaftlichen Höfen, sowie das Kornhaus an der Stelle des späteren Rathauses. Der Kern seiner Herrschaft war die hoch über dem Städtchen gelegene Stammburg Hohenklingen, die er zu einem repräsentativen Herrschaftssitz ausbauen liess. Unter ihm erhielt die Burg ihr heutiges Aussehen.
Die Burg Hohenklingen über Stein am Rhein aus nordöstlicher Perspektive.
Die Burg Hohenklingen über Stein am Rhein aus nordöstlicher Perspektive. Felix Graf
So gross wie die Heiligen Drei Könige: Die Herren von Hohenklingen und ihre Gemahlinnen.
So gross wie die Heiligen Drei Könige: Die Herren von Hohenklingen und ihre Gemahlinnen. Roman Sigg / Stadtarchiv Stein am Rhein

Die Helmzier sprengt den Rahmen

In voller Rüstung erscheinen die vier von ihren Gattinnen gefolgten Herren von Hohenklingen hinter den Heiligen Drei Königen vor der in einem offenen Gebäude sitzenden Maria mit dem Christkind auf dem Schoss. Die al secco über ältere Bilder gemalte Darstellung nimmt die ganze Wand zwischen dem Chor der Klosterkirche und der Grabkapelle ein. In der Wand befindet sich eine mit einem Bogen überwölbte, ebenfalls reich bemalte Nische für die Särge. Die adligen Paare knien zum Gebet vor einem weissen, mit blauen Sternen besetzten Hintergrund. Über den Köpfen der Ritter prangt üppige Helmzier, zu ihren Füssen hängen die Wappenschilde. Hinter den Rittern und den Heiligen Drei Königen erheben sich zwei durch eine Waldschlucht getrennte Hügel; auf dem ersten ragt eine Burg in den Himmel, auf dem zweiten sitzt ein musizierender Hirte. Die adligen Paare sind in gleicher Grösse wie die Figuren aus der Heilsgeschichte dargestellt. Nicht nur das: Der zinnenbekrönte Turm der Burg, die Helmzier des zweiten Ritters und das Wappen mit der stilisierten blauen Eiche zu seinen Füssen ragen in den Bildrand hinein, wie auch der Saum des Gewandes der vor ihm knienden Frauenfigur. Von den ikonografischen Requisiten der Weihnachtsgeschichte steigt lediglich der Stern zu Bethlehem über den Bildrand hinaus! Bei dem direkt über dem Scheitel des Bogens der Sargnische dargestellten Paar handelt es sich um den Auftraggeber des Bildes, Walter VII., mit seiner Gemahlin Kunigunde von Fürstenberg, bei dem adligen Paar vor ihm um seine Mutter, Elisabeth von Brandis, und seinen Vater, Ulrich VIII. von Hohenklingen. Wenn die Burg als Hohenklingen und der Hügel rechts als Klingenberg zu lesen sind, wovon man ausgehen darf, dann muss es sich bei dem vom Betrachter aus gesehen linken Hügel mit der Verkündigung an die Hirten um den Wolkensteinerberg handeln. Weltliche und jenseitige Topografie überlappen sich. Man soll das Bild als Fenster zur Ewigkeit und umgekehrt als Blick aus dem Himmel in die gegenwärtige Welt hinein verstehen.
Ausschnitt aus dem Memorialbild mit Walter VII. von Hohenklingen und seiner Gattin Kunigunde von Fürstenberg.
Ausschnitt aus dem Memorialbild mit Walter VII. von Hohenklingen und seiner Gattin Kunigunde von Fürstenberg. Felix Graf

Eine Investi­ti­on in die vierte Säule

Um das Seelenheil der ritterlichen Paare und die Ewigkeit geht es beim Ganzen: Ulrich VIII. und sein Sohn Walter VII. von Hohenklingen stiften die Kapelle 1372 als repräsentative Grablege für ihre Frau oder Mutter Elisabeth von Brandis und für sich selbst. Das vermutlich zwischen dem Konstanzer Konzil und 1420 von Walter VII. in Auftrag gegebene Wandbild ist nur der heute noch sichtbare Teil eines ausgeklügelten Systems der Jenseitsvorsorge: Zur frommen Stiftung gehören auch die «Jahrzeiten», also die an den jeweiligen Todestagen zu lesenden Seelenmessen, die grosszügige Speisung der Armen mit 100 Kilogramm Brot aus der Klosterbäckerei und «erbs und smalz dazu, als wie gewohnlich ist», die Prozession der Mönche mit Gesang, das Läuten der Kirchenglocken sowie die weltlichen Güter, die für die Finanzierung des ganzen Aufwandes nötig sind. Der Bau, die Bilder und die «Jahrzeiten» dienen ganz konkret dazu, die Wartezeit der Verstorbenen im Fegefeuer zwischen dem provisorischen Partikulargericht unmittelbar nach dem Tod und dem endgültigen Gericht am Jüngsten Tag zu verkürzen. Wir haben es also mit einem «Seelgerät», modern gesprochen mit Investitionen in eine Art von vierter Säule zu tun. Wenn sich die Jenseitsvorsorge auch noch mit prächtiger ritterlicher Selbstinszenierung im Diesseits verbinden lässt, dann umso besser!
Wappenrolle aus dem 14. Jahrhundert.
Die aus Helm und Schild bestehenden Vollwappen der Herren von Altenklingen und von Hohenklingen (untere Reihe links) auf der im frühen 14. Jahrhundert im Bodenseeraum entstandenen Zürcher Wappenrolle. Die fast 4 Meter lange Pergamentrolle gilt als eine der bedeutendsten Wappensammlungen des Mittelalters. Schweizerisches Nationalmuseum

Die Herren von Klingen

Die Herren von Klingen sind eines der am besten dokumentierten freiherrlichen Adelsgeschlechter der Ostschweiz. Der wohl berühmteste Vertreter der weitverzweigten Familie ist der in der Manessischen Liederhandschrift verewigte Minnesänger Walter von Klingen von Klingnau. Die Quellen sind allerdings ebenso verstreut wie die Besitztümer des Geschlechts in der Ostschweiz, am Hochrhein und in Tirol. Die beiden nach ihren Stammburgen benannten Linien von Altenklingen und von Hohenklingen lassen sich erst ab 1312 klar unterscheiden. Eine Schwierigkeit bei der Identifizierung einzelner männlicher Vertreter besteht darin, dass sie ausschliesslich die Leitnamen Ulrich und Walter tragen. Der Steiner Familienzweig erscheint 1209 erstmals in den Quellen. Der älteste Bauteil der Burg Hohenklingen wird in das Jahr 1219 datiert. Der Name Hohenklingen taucht erst 1327 auf. In der Schlacht bei Sempach im Juli 1386 sind «zwene ritter von clyngen» gefallen. Ob die Grabskulptur eines Ritters von Altenklingen aus der Marienkapelle im Zisterzienserinnenkloster Feldbach bei Steckborn zu einem dieser beiden Ritter oder am Ende gar zum letzten des Geschlechts, Walter von Altenklingen, gehört, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Als die Linie der Altenklingen 1394 ausstirbt, übernimmt Walter VII. von Hohenklingen deren Reichslehen und führt neben seinem Wappen mit der stilisierten blauen Eiche vor gelbem Grund auch dasjenige von Altenklingen mit dem weissen Löwen vor schwarzem Grund. Auf dem Memorialbild in der Hohenklingenkapelle in Stein am Rhein lässt er sich mit dem Wappen von Hohenklingen und der Helmzier von Altenklingen darstellen.

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