
Kaiser Haile Selassie, Gott der Rastafaris
Der 1930 in Addis Abeba zum «König der Könige» gekrönte Kaiser Haile Selassie (1892–1975) galt in Äthiopien als von Gott auserwählt. Die Rastafari auf Jamaica «erkannten» ihn sogar als ihren Messias und Gott an. Ein Blick auf die beiden «Karrieren» einer ebenso beeindruckenden wie umstrittenen Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts.
Nach dem Tod des Vaters nahm dessen Cousin, Kaiser Menelik II., der selber keine Söhne hatte, den jungen Tafari am Hof in Addis Abeba zur Erziehung auf. Es folgten jahrelange familiäre und höfische Intrigen, in deren Folge Tafari Makonnen 1917 als Regent neben der neu gekrönten Kaiserin Zauditu, der ältesten Tochter Meneliks II., eingesetzt wurde. Ihr Thron stand jedoch von Anfang an auf wackeligen Beinen.


Die Krönung zum «König der Könige»
Der Thronname des neuen Machthabers lautete Haile Selassie I., was aus dem Amharischen übersetzt «Macht der Deifaltigkeit» bedeutet. Nach Bescheidenheit klingt dieser selber gewählte Name nicht. Für einen «Auserwählten Gottes» – als solche galten traditionell alle äthiopischen Kaiser – erstaunt die Wahl hingegen nicht sonderlich. Viel mehr interessiert, wie sich dieser «göttliche Machtanspruch» ableitete.
Die Krönung von Kaiser Haile Selassie I. 1930. YouTube
Spross der Königin von Saba und des Königs Salomon


Zur gleichen Zeit auf Jamaica
Die christianisierten Nachfahren der aus Afrika verschleppten Sklaven in den Slums von Kingston und im urwaldigen Landesinneren – darunter viele Nachfahren sogenannter Maroons – liess die Voraussage einer besseren Zukunft auf dem Kontinent ihrer Wurzeln Hoffnung auf ein besseres Leben schöpfen. Im biblischen Auszug aus Ägypten (Exodus) und in der Rückkehr aus dem babylonischen Exil sahen sie Vorbilder für ihren eigenen Kampf gegen die Unterdrückung, wobei Äthiopien, das als einziger afrikanischer Staat nie kolonisiert worden ist, zum «Heiligen Land» (ver)erklärt wurde (während Jamaika noch bis 1962 eine britische Kolonie geblieben ist).

Haile Selassie und die Rastafaris
Auch die Natur leistete in der Form eines «göttlichen Zeichens» gleich zweimal ihren Beitrag, dass die Rastafaris in Haile Selassie ihren menschgewordenen Gott (Jah) bestätigt fanden: Im Jahr 1930 herrschte in Jamaica eine extreme, langanhaltende Dürre. Doch unmittelbar nach Bekanntwerden der Kaiserkrönung setzte auf der Insel der ersehnte Regen ein. Ein weiteres Ereignis, dass der Rastafari-Bewegung Auftrieb verlieh, fand am 21. April 1966 statt. An diesem Tag wurde Haile Selassie auf Jamaika als Staatsgast erwartet. Mehrere Zehntausend Rastafaris auf dem Flughafen in Kingston «erkannten» ihren wiedergekehrten Messias unter lautem Jubelgeschrei, nachdem dessen Flugzeug just in dem Moment landete, als die Sonne nach mehrstündigen Regenschauern wieder zu strahlen begann. Der Tag wird seither als Grounation Day gefeiert und gilt als der zweitwichtigste Feiertag der Rastas nach dem 2. November, dem Tag der Kaiserkrönung.
Video mit der Landung Kaisers Haile Selassies auf Jamaika anlässlich seines Staatsbesuchs 1966. YouTube
Reggae, die Musik der Rastafaris
Seine Konzerte startete Marley jeweils mit der Begrüssung «Greetings in the Name of His Imperial Majesty Emperor Haile Selassie the First, Jah Rastafari». («Seid gegrüsst im Namen von Kaiser Haile Selassie, dem Gott der Rastafaris»). Seine Liedtexte orientierten sich oft an Haile Selassies Person und Wirken sowie und an dessen Reden. Ein bekanntes Beispiel ist der Reggae-Klassiker «War», 1976 erschienen auf dem Album «Rastaman Vibration». Der Text basiert auf Haile Selassies ikonische Rede mit dem aus dem Amharischen übersetzten Titel «What Life Has Taught Me About the Question of Racial Discrimination», die Haile Selassie 1963 in New York vor den Vereinten Nationen hielt:
Bob Marley singt «War». YouTube
Sturz und Tod Mitte der 1970er-Jahre
Die Inflation infolge der Ölkrise und die Hungerkatastrophe nach wiederholten Dürreperioden lösten 1973 Massendemonstrationen und Studentenunruhen aus. Teile der Armee revoltierten, bis sich 120 Offiziere, darunter der spätere Diktator Mengistu Haile Mariam, gegen den Kaiser verschwörten und diesen am 12. September 1974 stürzten. Mengistu hielt den Kaiser im Palast unter Hausarrest. Am 27. August 1975 fand ihn ein Diener tot im Bett auf. Es gilt heute als gesichert, dass der altersschwache 83-Jährige mit einem Kissen erstickt worden ist. Sein Leichnam liess Mengistu unter den Dielen einer Palasttoilette verscharren.

Haile Selassies Unsterblichkeit
