
Der erste Selfiekönig der Schweiz
Ein schwedischer Schriftsteller litt in der Schweiz solche Not, dass er sich aufs Fotografieren verlegte – und dabei bei einem Aufenthalt am Vierwaldstättersee erste Selfies produzierte.
Greifen wir ein paar seiner Wohnorte in der Schweiz heraus: 1884 wohnte er am Genfersee, wo er in Chexbres und Genf unterkam. Er war begeistert von Land und Leuten und notierte: «Hier lebe ich im schönsten Land der Welt. Freiheit! Unschuld! Schöne und starke Gedanken! Freie Leute! … Es ist Balsam für die Seele!» Solches Lob war Balsam für eine Schweiz, die in jener Zeit der Herausbildung grosser Nationen wie Deutschland oder Italien eher verunsichert war.
Aber Strindberg war ein streitbarer Zeitgenosse. In seiner Heimat wurde die Gesamtauflage seiner Novelle «Heiraten» wenige Tage nach Erscheinen beschlagnahmt, daraufhin klagte ihn die Justiz wegen «Gotteslästerung» und «Verspottung der heiligen Schrift» an. Das Gericht zitierte ihn nach Stockholm, wo er sich verantworten musste. Doch Strindberg erhielt einen Freispruch, und seine Fans bejubelten ihn.


Selbstporträts aus seiner Zeit am Vierwaldstättersee. Wikimedia
Getrieben von innerer Unruhe zog Strindberg weiter nach Weggis am Vierwaldstättersee und im Winter 1886/87 lebte er für mehrere Monate in Gersau. Er kam in der Liegenschaft «Gersauer Hof» unter und war fasziniert: «Hier ist es nun herrlich zu sein. Schnee auf der Alp, Hering und Kartoffeln, Schnaps, Bier und Preiselbeeren (!) sowie Kachelöfen und Innenfenster.» Damals war die Ehe mit der finnisch-schwedischen Schauspielerin Siri von Essen voller Konflikte und Spannungen, was sich später in Strindbergs künstlerischem Schaffen niederschlug. So erlangte er Weltruf mit seinen bahnbrechenden Theaterstücken zu Beziehungs- und Ehekrisen, die er aus eigener Erfahrung zur Genüge kannte.


Vorreiter in Sachen Selbstauslöser
Eigentlich beabsichtigte Strindberg, die Fotografien als Begleitelemente in seinen Büchern zu veröffentlichen. Doch die Produktionskosten für solch experimentellen Fotodruck waren zu hoch. So versuchte er seinen schwedischen Verleger Albert Bonnier davon zu überzeugen, seine «Gersauer Album» als eigenständiges Buch herauszugeben; doch der Verleger hatte kein Interesse an der visuellen Selbstspiegelung seines Autors.

Strindberg ging noch weiter und wollte die ganze Welt «verschweizern», denn: «Mensch sein ist mehr als Europäer sein. Du kannst die Nation nicht wechseln, denn alle Nationen sind Feinde, und man geht nicht zu Feinden über. Es bleibt also nur übrig dich zu neutralisieren. Lass uns Schweizer werden!» Auch wenn er ständig umzog und sich nirgends dauerhaft niederlassen mochte, blieb ihm die Zeit in der Schweiz in guter Erinnerung. Rund zehn Jahre später schrieb er dazu: «Mein Aufenthalt in der Schweiz war wie ein jahrelanger Sommer.»