Koblet und Kübler an der Tour de Suisse von 1951. Kübler gewann die Tour vor Koblet.
Koblet und Kübler an der Tour de Suisse von 1951. Kübler gewann die Tour vor Koblet. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Rad an Rad

Höhen und Tiefen sind im Schweizer Radsport alltäglich – übertragen wie auch wörtlich. Der Sport auf dem Velo kann auf eine anekdotenreiche Geschichte zurückblicken.

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner hat Anglistik und Politikwissenschaften studiert und leitet die Abteilung Marketing & Kommunikation des Landesmuseums.

Ein Rahmen, ein Lenker, zwei Räder und fertig ist das Sportgerät. So einfach das Velo gebaut ist, so vielfältig sind seine Anwendungen. Ob auf der Strasse, in der Halle oder querfeldein durch den Schlamm: mit der Erfindung des modernen Fahrrads Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch der Radsport geboren. Seine rund 150-jährige Geschichte ist voller schillernder Figuren, übermenschlicher Leistungen und unterhaltsamer Anekdoten. Aber auch voller Skandale und Tragödien.
Als der Rennfahrer bei einer Reifenpanne noch selber Hand anlegen musste: Walter Diggelmann wechselt einen defekten Reifen an der Tour de Suisse von 1950 und belegt schliesslich den 29. Platz.
Als der Rennfahrer bei einer Reifenpanne noch selber Hand anlegen musste: Walter Diggelmann wechselt einen defekten Reifen an der Tour de Suisse von 1950 und belegt schliesslich den 29. Platz. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Das K‑und-K-Duell

Eine Paradedisziplin des Radsports in der Schweiz ist zweifellos die Tour de Suisse. Die 1950er-Jahre gelten als ihr goldenes Zeitalter. Zu jener Zeit waren Hugo Koblet und Ferdinand Kübler die «Helden der Landstrasse». Die Duelle der beiden Fahrer sind legendär und wurden von Publikum und Medien dankbar aufgenommen. Koblet und Kübler stammten beide aus einfachen Verhältnissen. Ihr sportlicher Aufstieg war so steil wie die Alpenpässe, die sie auf dem Rennrad überwanden. Küblers Stil, geprägt von Kampf und Willen, sprach vor allem die Arbeiter an. Koblet hingegen war leicht und elegant unterwegs. Der Lebemann und «Pédaleur de charme» war die Antithese des «Chrampfers» Kübler. Gegenseitig trieben sie sich zu immer grösseren Erfolgen: Auf Koblets Siege im Giro d’Italia und der Tour de Suisse 1950 folgte Küblers Sieg in der Tour de France im gleichen Jahr und der Weltmeistertitel sowie der Sieg der Tour de Suisse ein Jahr später, während Koblet Zweiter wurde. Einen Monat später gewann Koblet die Tour de France. Die beiden «K» fuhren stets Kopf an Kopf: Küblers spektakuläre Ausbrüche sorgten unter den Zuschauern für ebenso viel Gesprächsstoff wie Koblets Dominanz in den Zeitfahrten.
Hugo Koblet im gelben Leadertrikot der Tour de Suisse 1950.
Hugo Koblet im gelben Leadertrikot der Tour de Suisse 1950. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Ferdinand Kübler in den 1940er-Jahren.
Ferdinand Kübler in den 1940er-Jahren. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Nach den Rücktritten von Kübler 1957 und Koblet 1958 verliefen die Lebensgeschichten der ehemaligen Konkurrenten sehr unterschiedlich. Aus der Rivalität war mittlerweile eine Freundschaft geworden. Während Kübler ein Publikumsliebling blieb, 1983 zum Schweizer Sportler des Jahrhunderts gewählt wurde und im hohen Alter von 97 Jahren starb, ereilte Hugo Koblet ein tragisches Schicksal. Im Alter von 39 Jahren kam er 1964 bei einem Autounfall ums Leben. Alles deutet auf einen Selbstmord hin, denn der ehemalige Radrennfahrer hatte hohe Schulden und stand vor einer Scheidung.
Porträt von Ferdy Kübler in der Sendung «Sport» von 1970. SRF

Siesta auf dem Simplonpass

Andere Episoden aus der Geschichte der Tour de Suisse sind bedeutend harmloser. Gewisse Legenden aus dem goldenen Zeitalter haben schon einige Jahre auf dem Buckel, sind aber gut gereift. Ihr Wahrheitsgehalt lässt sich nur schwer überprüfen, unterhaltend sind sie umso mehr. Wie jene Anekdote, die sich 1949 auf der längsten je gefahrenen Teilstrecke der Tour de Suisse abgespielt haben soll. Start der 350 Kilometer langen Mörderetappe war am 2. August um 7 Uhr in Ascona, Stunden später traf der Franzose André Brulé als Erster im Ziel in Genf ein. Dazwischen lag der Simplon. Dessen Passhöhe auf 2009 Metern soll Brulé mit derart grossem Vorsprung erreicht haben, dass er sich eine Siesta gegönnt und im Restaurant sogar ein paar Ansichtskarten, signiert mit «Salutations du Simplon, André», geschrieben haben soll. Die Anekdote ist zwar hübsch und es ist durchaus denkbar, dass sich in der goldenen Ära der Tour de Suisse ein solches, aus heutiger Sicht kurioses Ereignis zugetragen haben könnte. Ein Blick in die Archivbücher der Tour verrät aber, dass der Bergpreis der Etappe vom 2. August 1949 an den Schweizer Martin Metzger ging. Brulé gewann die längste Etappe in der Geschichte der Tour de Suisse schliesslich im Sprint vor den beiden Schweizern Gottfried Weilenmann und Georges Aeschlimann. Ob Brulé die Postkarte auf dem Simplon mit einem Autogramm versehen hatte und die Legende so entstand, lässt sich heute nicht mehr überprüfen, denn damals war die Tour naturgemäss noch nicht so organisiert wie heute. Reifen wurden unterwegs von den Fahrern selbst repariert, was auf den ungeteerten Passstrassen oft nötig war…
André Brule nach der Zieleinfahrt am Ende der 350 Kilometer langen Etappe am 2. August 1949.
André Brule nach der Zieleinfahrt am Ende der 350 Kilometer langen Etappe am 2. August 1949.
André Brulé nach der Zieleinfahrt am Ende der 350 Kilometer langen Etappe am 2. August 1949. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

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