Cupfinal zwischen GC und Lausanne, 1946 in Bern.
Cupfinal zwischen GC und Lausanne, 1946 in Bern. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Männer­ty­pen auf dem Rasen

Das Männerbild hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig gewandelt. Das erkennt man nirgends besser als auf dem Fussballplatz. Ein Rückblick in die Stadien der Vergangenheit.

Mämä Sykora

Mämä Sykora

Mämä Sykora ist Chefredaktor des Fussballmagazins «Zwölf».

«Heute fehlt es an echten Typen.» Oft beschweren sich Fans, Trainer und Ex-Spieler über die aktuelle Generation von Fussballprofis. Dabei schwingt vielfach die Sehnsucht nach einem anderen, meist vergangenen Männerbild mit. Das Bild des Fussballers in der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt: Vom verwegenen Abenteurer über den harten Kämpfer bis zum gesundheitsbewussten Model. Für sechs sportliche, aber auch gesellschaftliche Epochen stehen sechs Prototypen von Fussballer.

Der Abenteu­rer: 1930er- bis 1950er-Jahre

Es gab kein Fernsehen, und auf den Fotos in den Zeitungen war kaum ein Gesicht zu erkennen. «Dennoch waren die herausragenden Figuren auf unseren Plätzen schon in den 1930er-Jahren weitherum bekannt», sagt Sporthistoriker Christian Koller. Ihre Bilder lagen Schokolade- oder Zigarettenpackungen bei, und sie traten als Werbeträger auf – nicht selten für alkoholische Getränke oder Tabak. 1933 wurde die Nationalliga eingeführt. Der Fussball hatte da längst breitere Schichten erreicht. «Waren die Anfänge noch akademisch geprägt, wandten sich die studierten Kreise nun eher dem Handball zu», erzählt Koller. Die Haare trugen die Fussballer kurz, Pomade hielt sie in Form. «Eigentlich gab es damals nur eine Frisur, Stil: gepflegter Mainstream», so Koller. «Die Fussballer haben darauf geachtet, dass die zumindest beim Anpfiff sitzt.»
Jugendliche eiferten ihren Idolen nicht nur in Sachen Stil nach. Auf den Pausenplätzen wurden die Tricks der Stars geübt. Besonders beliebt waren die technisch versierten Spieler mit ihren akrobatischen Einlagen, etwa Fredy Bickel oder Lajo Amadó. Einen Fallrückzieher konnten nur die wenigsten vollführen, mit der damaligen Ausrüstung war dies auch nicht ungefährlich. «Gefahr zu trotzen, galt damals als Ideal», erklärt Koller. Menschen flogen in klapprigen Kisten über den Atlantik, erforschten unwirtliche Gebiete und zogen in den Krieg, um zu Helden zu werden. Nicht wenige Fussballer versuchten sich neben oder nach ihrer Karriere auch in Risikosportarten wie Bob oder Autorennen, wie der Schweizer Natigoalie Frank Séchehaye. Als tolle Kerle galten lange jene, die selbst mit schweren Verletzungen weiterspielten. Auswechslungen waren noch nicht erlaubt. Das endete bisweilen tragisch: Der Chilene David Arellano, einer der frühsten Fallrückzieher-Spezialisten, verstarb 1927 nach einem Spiel, das er nach einem heftigen Zusammenprall trotzdem beenden wollte. Und Bert Trautmann wurde 1956 zur Legende, nachdem er mit Manchester City im FA-Cup-Final mit einem Genickbruch weitergemacht hatte. «Das Ideal von Männern allgemein und Fussballern im Speziellen änderte sich erst in den 1960ern, wo sich gesellschaftlich vieles wandelte», sagt Koller.
Illustration eines Fussballspielers.
Illustration: Laura Herter

Der Schwie­ger­sohn: 1960er-Jahre

«Ein Star? Wie hätte ich denn ein Star sein können mit 2000 Franken im Monat, inklusive Prämien?», fragt Karl Odermatt. Er gehörte in den 1960er-Jahren zu den Überfliegern hierzulande, hamsterte mit dem FC Basel Titel, fuhr an die WM und wurde natürlich überall erkannt. «Es war Wahnsinn: Überall war ich ‹unser Karli›, scharten sich Leute um mich. Selbst die Drämmlichauffeure haben geläutet, wenn sie mich sahen.» Aber protzen hätte er damals nicht gekonnt. In seiner Anfangszeit habe seine Mutter mehr verdient als er. Gut angekommen wären Allüren wohl ohnehin nicht. Europa erlebte ein Wirtschaftswunder und einen Babyboom, und von allen wurde erwartet, dass sie etwas dazu beitrugen – auch von den Fussballern. Odermatt, der nebenbei für einen Kaffeemaschinenvertrieb arbeitete, sagt: «Keinen richtigen Job neben dem Sport zu haben, war verpönt.» Das konnten sich höchstens die Ausländer leisten, und das sei selten gut angekommen.
Fleissig arbeiten und eine Familie gründen war das Ideal, dem sich auch die Spitzenfussballer beugten. Odermatt wurde mit 22 Jahren zum ersten Mal Vater. Ein Glas Wein in guter Gesellschaft habe er aber stets gerne genossen. «Eine schöne Frau bleibt eine schöne Frau.» Ein Frauenheld wurde aber von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Im Gegenteil: Es reichten schon kleine Geschichten wie jene um den verheirateten Köbi Kuhn an der WM 1966, wo eine harmlose kurze Spritzfahrt mit zwei Engländerinnen in einen monatelang anhaltenden Skandal gipfelte. Dementsprechend hielten sich die Fussballer zurück, zeigten sich oft im Kreise der Familie und waren selten «auf der Piste». Odermatt: «Wir mussten ja auch nach dem Arbeiten ins Training und spielten schon damals oft zwei Mal pro Woche.» Wenn man mal auf den Putz haute, dann mit dem ganzen Team, «an der Fasnacht oder an einem Bierfest». Und danach gleich zurück in den Schoss der Familie, wo in den 1960er-Jahren der Platz des braven und fleissigen Mannes war.
Illustration eines Fussballspielers.
Illustration: Laura Herter

Der Halb-Rebell: 1970er-Jahre

Von allem höchstens nur ein bisschen. Der Schweizer Fussballer der 1970er-Jahre zeichnete sich durch gemässigte Aufmüpfigkeit und unschuldige Exzentrik aus. Im Ausland hatte der Fussball erste Popstars hervorgebracht: George Best, auch seiner Eskapaden wegen noch jedem ein Begriff, oder Günter Netzer, dessen Disco «Lover’s Lane» in Mönchengladbach vor allem dann gut lief, wenn er seinen Porsche davor parkiert hatte. In der Schweiz blieb der Exzess ein Fremdwort. «Einen Starkult um Fussballer gab es bei uns nicht», sagt Daniel Jeandupeux, als FCZ-Stürmer einer der prägenden Figuren des Schweizer Fussballs der damaligen Zeit. Am ehesten sei vielleicht noch Bonvivant Fritz Künzli wegen seiner Beziehung mit der Sängerin und Schauspielerin Monika Kälin in der Öffentlichkeit gestanden. Jeandupeux hingegen, der später als Schweizer Nationaltrainer amtete, galt als Feingeist, als welscher Schönling, der Texte schrieb. «Natürlich war es eine interessante Nebenerscheinung, dass man als Fussballer den Frauen gefallen konnte.» Davon wirklich zu profitieren, sei aber noch einmal etwas anderes gewesen. Denn schon damals sei für Profis ein gesunder Lebensstil wichtig gewesen.
Auch die 68er-Bewegung färbte auf den Fussball ab. Allerdings wie auf den grossen Teil der Schweizer Gesellschaft nur zögerlich und vor allem im modischen Bereich. Lange Haare waren Pflicht. Jene von René Botteron reichten fast bis zur Rückenmitte, bei GC präsentierten die Niggl-Zwillinge die spektakulärsten Mähnen. Für gelebten Antiautoritarismus war die Karriere jedoch zu wichtig. Jeandupeux erzählt, wie ihn die Armee einst zum Unteroffizierdienst verdonnerte. «Ich wollte ablehnen, aber man hätte mich nicht zu einem Spiel mit der Nati gegen Luxemburg fahren lassen, wo ich wusste, dass mich Bayern beobachten würde. Also habe ich zugesagt. Der Traum von Bayern war stärker.» Geändert hat sich damals der Umgang der Spieler untereinander, es machte sich eine neue Offenheit bemerkbar, erzählt Jeandupeux. «Es gab einzelne Partys, wo mit dem Alkohol die Hemmnisse fielen, wo die Teamkollegen ihre Masken ablegten. Es war in diesen Momenten, in denen wir näher zueinander gefunden haben, weil wir gemeinsam etwas Verbotenes taten.» Das dann doch.
Illustration eines Fussballspielers.
Illustration: Laura Herter
Lesen Sie im nächsten Teil, wie aus dem Kämpfer ein Popstar wurde und sich dieser später zum Model entwickelt hat.

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