Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.
Der gesamte Alpenraum ist reich an Sagen. Hier wurde der Teufel herausgefordert, dort trieb ein Toggeli sein Unwesen. Hier verwandelte sich eine blühende Alp in eine Steinwüste, dort bewachte ein Drache die Berggipfel. Auch von Hexen wird immer wieder berichtet. Besonders häufig aus dem Raum des heutigen Kantons Graubünden. Beispiel gefällig?
In der Val Sumvitg, einem kleinen Tal in der Surselva, schoss ein Jäger einen Bären. Doch statt Blut liefen Mehlsuppe und Kirschen aus dem erlegten Tier. Ungläubig blickte der Mann auf den toten Bären, als im nahen Dorf die Totenglocken zu läuten begannen. Kurz darauf erfuhr der Jäger, dass soeben eine Frau mit «schlechtem Ruf» gestorben war. Dem Jäger war sofort klar, dass er eine Hexe in Bärengestalt erschossen hatte…Im Zusammenhang mit Hexen finden sich oft Motive wie Schadenszauber, fliegende Frauen, Hexensabbat oder eben Tierverwandlungen. Die Hexenverfolgung erlangte durch den berüchtigten «Hexenhammer» des Inquisitors Heinrich Kramer einen gewaltigen Schub. Das frauenfeindliche Buch erschien 1486 und war eine 700-seitige Legitimation für die «Jagd auf Hexen». Begünstigt durch den aufkommenden Buchdruck verbreitete sich das Werk in Europa rasend schnell und war mitverantwortlich für zehntausende von Todesurteilen im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit.Es waren vor allem weltliche Gerichte, welche die Opfer in den Tod schickten. In erster Linie ging es bei diesen Prozessen um Schadenszauber, der – so die Logik von Kramer – materielle Schäden verursachte und deshalb vom Staat beurteilt werden sollte. Die Anklagen kamen meist aus der Bevölkerung und hatten ihren Ursprung in Krankheiten, Hungersnöten oder Unglücken. Da es für diese Schicksalsschläge meist keine logischen Erklärungen gab, eigneten sich Menschen, die der Hexerei bezichtigt wurden, perfekt als Sündenbock. Man warf ihnen vor, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben.Graubünden gehört mit über 500 dokumentierten Prozessen zu den am stärksten von der Hexenverfolgung betroffenen Gebieten Europas. Das hat auch damit zu tun, dass in diesem losen Staatenbund keine gemeinsame Rechtsprechung galt, sondern nur eine mehr oder weniger koordinierte Aussenpolitik betrieben wurde. Die lokalen Gerichtsbarkeiten nahmen sich also dem Thema an, und die Vermischung von nachbarschaftlichen Konflikten mit strafrechtlichen Konsequenzen waren unvermeidbar.
Das Thema Hexen zeigt, wie sich Sagen und die Realität gegenseitig beeinflussten, denn man kann davon ausgehen, dass die Erzählungen die Prozesse und Verurteilungen in die Höhe getrieben haben. Umgekehrt entstanden dadurch wohl auch immer wieder neue Sagen. Ein Teufelskreis im wahrsten Sinn des Wortes.
Sarah Rindlisbacher Thomi07.02.2022Trink- und Badesitten, Modevorlieben, Umgang mit dem Tod: Die erstaunlichen Beobachtungen des englischen Reisenden Thomas Coryate (1577-1617) in der Schweiz des frühen 17. Jahrhunderts.
Benedikt Meyer20.05.2019Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die alte Catillon wurde 1731 als letzte Freiburger Hexe zum Tode verurteilt. Wie ihr ist es vielen ergangen. Auch in der heutigen Schweiz.
Alexander Rechsteiner13.06.2017Im letzten Hexenprozess Westeuropas wird Anna Göldi am 13. Juni 1782 im Alter von 48 Jahren enthauptet. Man schätzt, dass in der Schweiz etwa 10 000 Menschen Opfer des Hexenwahns wurden.