Anthrazitbergwerk von Chandoline, 1945.
Rohstoffe wie Kohle waren in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs ein rares Gut. Blick ins Anthrazitbergwerk von Chandoline, 1945. Schweizerisches Nationalmuseum

Kohle und Uran für das Vaterland

Die rohstoffarme Schweiz war während des Zweiten Weltkriegs verzweifelt auf der Suche nach einheimischen Rohstoffen. Auch im Bernbiet wurde gebohrt, gegraben und untersucht.

Reto Bleuer

Reto Bleuer

Reto Bleuer ist ehrenamtlicher Mitarbeiter des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern.

Die Gemeinde Buchholterberg liegt auf einem sonnigen Hügelzug nordöstlich von Thun und gehört zur Grenzregion zwischen dem Berner Oberland und dem Emmental. Die von der Landwirtschaft geprägte Gemeinde besteht aus verschiedenen Weilern und dem Dorf Heimenschwand. Wie überall war die Zeit des Zweiten Weltkriegs auch in Buchholterberg eine schwierige und entbehrungsreiche: Die wehrfähigen Männer waren im Aktivdienst und stellten sich an der Grenze einem übermächtigen Gegner entgegen. Zuhause mussten die Zurückgebliebenen die zumeist landwirtschaftlichen Arbeiten mit wenig technischer Unterstützung weiterführen und so mithelfen, die Lebensmittelversorgung im Lande sicherzustellen. Es fehlte es an vielen Gütern und ganz besonders an Rohstoffen, da die Schweiz nicht reich an Bodenschätzen ist. Welche Auswirkungen dieser Mangel an Alltagsgegenständen hatte, zeigt exemplarisch eine Meldung aus dem Oberländer Tagblatt vom 3. Februar 1944, die davon berichtet, dass aufgrund Pneumangels der tägliche Postauto-Mittagskurs von Steffisburg ins Dorf Heimenschwand nur noch montags, mittwochs und samstags durchgeführt werden konnte. Der Nachmittagskurs wurde sogar vollumfänglich eingestellt.
Das Postauto auf dem Weg vom Dorf Heimenschwand nach Steffisburg, 1930er-Jahre.
Das Postauto auf dem Weg vom Dorf Heimenschwand nach Steffisburg, 1930er-Jahre. Foto: Fritz Gugger, Heimenschwand
Die raren inländischen Rohstoffe aufzuspüren, war damals Aufgabe des «Eidgenössischen Kriegs-, Industrie- und Arbeitsamtes, Abteilung Bureau für Bergbau». So besuchte der Geologe Dr. Rolf Rutsch am 6. Juni 1942 auch den Buchholterberg und erstattete dem «Bureau» Bericht. Er war dem Hinweis eines Landwirtes nachgegangen, laut dem in der Nähe des Flüsschens «Rotache», welches über weite Strecken die Grenze des Buchholterbergs zu den Nachbargemeinden Unterlangenegg und Fahrni bildet, an verschiedenen Stellen Kohle vorhanden sei. Tatsächlich fand Rutsch bei seiner Begehung eine kohleführende Schicht (Pechglanzkohle) in einer der hohen Nagelfluhwände am Ufer der Rotache. Die Fundstelle war nur schwer erreichbar, trotzdem wurde ein Stollen von rund acht Metern Länge in das Gestein getrieben, um zu ermitteln, wie sich die Kohleschicht im inneren der Nagelfluh entwickelte. Das Resultat war enttäuschend, das Vorkommen erwies sich als zu gering, um lohnend abgebaut werden zu können. Der Bericht von Rolf Rutsch an das «Bureau» fiel entsprechend negativ aus.
Pechglanzkohlestücke vom Ufer der Rotache.
Pechglanzkohlestücke vom Ufer der Rotache. Sammlung Reto Bleuer
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Schweizer Wirtschaft bald einmal einen Aufschwung, es brach aber auch die Zeit des kalten Krieges an. Plötzlich war ein Rohstoff besonders begehrt: Uran. Die Wirtschaft sah in der Atomkraft den Schlüssel zur Deckung des zukünftigen Energiebedarfes, Schweizer Militärs dagegen träumten von einer eigenen Atomwaffe. Für beide Vorhaben bildete Uran das Ausgangsmaterial. Die Suche danach wurde infolge auch in der Schweiz vorangetrieben. So erinnerte sich 1949 der Geologe Dr. Hermann Vogel aus Basel an Kohlestücke, die von ihm drei Jahre zuvor für eine Bergbaufirma untersucht wurden und eine erhöhte Radioaktivität aufwiesen. Sie stammten aus einem Bächlein auf dem Buchholterberg mit dem Namen «Ibachgrabe». Dieser Graben ist einer von mehreren Zuflüssen der Rotache, die nach ihrer 18 Kilometer langen Reise schlussendlich in die Aare mündet. Somit machte Dr. Vogel sich auf, weitere uranhaltige Kohlevorkommen und Mergelschichten in der Region am Buchholterberg zu suchen und vertieft zu analysieren. Er wurde dabei an verschiedenen Orten fündig. Bei der Kohle stellte sich heraus, dass diese in einer dünnen, nicht zusammenhängenden, Schicht von der auf rund 1080 m ü. M. gelegenen Falkenfluh quer über den Buchholterberg bis zur Rotache reicht. In verschiedenen Geländeeinschnitten treten dabei kleinere Kohlenester aus der Nagelfluh hervor. Die Untersuchungen von Dr. Vogel ergaben dann, dass durchaus Radioaktivität im Gestein und der Kohle gemessen werden konnte. Er berechnete, dass aus einer Tonne Ibachgrabe-Kohle wohl rund 1,6 kg Uran gewonnen werden könnte. Doch auch hier erwies sich die geringe Menge an Kohle, verstreut über eine weite, unzugängliche Fläche, als zu grosses Hindernis um einen Abbau vorzunehmen.
Sandstein mit kohligen Einlagerungen aus dem Ibachgrabe.
Sandstein mit kohligen Einlagerungen aus dem Ibachgrabe. Sammlung Reto Bleuer
Einige Jahre später befasste sich der Thuner Arzt Dr. med. Otto Hubacher mit der Frage, ob die uranhaltigen Kohleschichten und die dadurch vorhandene Radioaktivität im Gebiet der Rotache eine Auswirkung auf die menschliche Gesundheit haben könnte. Auslöser dazu war eine von ihm über längere Zeit beobachtete Häufung von Krebserkrankungen bei Personen, die in der Nähe des Flusslaufes lebten. Um die Frage zu klären, wurden Wasserproben aus der Rotache und Kohlestücke an verschiedenen europäischen Universitäten eingehend analysiert. Die Resultate zeigten zwar auch eine leicht erhöhte Radioaktivität der untersuchten Proben auf, Dr. med. Hubacher kam aber in seinem 1963 veröffentlichtem Bericht zum Schluss, dass aufgrund der doch geringen Werte keinen Zusammenhang mit den uranhaltigen Kohleschichten und den regional gehäuften Krebserkrankungen hergestellt werden konnte. Es handelte sich bei den Erkrankungen scheinbar um einen nicht erklärbaren Zufall.

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