Inspiriert von Leonardo da Vincis berühmten «Abendmahl»: Wandgemälde des FC Zürich in der Sportbar Calvados.
Inspiriert von Leonardo da Vincis berühmten «Abendmahl»: Wandgemälde des FC Zürich in der Sportbar Calvados. Lia Wey, zVg

Glaube, Liebe, Hoffnung: Sport und Religion

Wie viel Religion verträgt es im Sport? Und ist der Sport heute wirklich eine Ersatzreligion geworden? Ein Gang zurück auf Schwingfeste, an Ritterturniere und in Klosteranlagen.

Michael Jucker

Michael Jucker

Michael Jucker ist Sporthistoriker, Leiter von Swiss Sports History und Co-Leiter des FCZ-Museums.

Wenn Sportbegeisterte die Sportbar Calvados in Zürich betreten, entdecken sie seit diesem Sommer ein riesiges Fresko mit der 1. Mannschaft des FC Zürich: Eine Abendmahlszene im Renaissance-Stil in Anlehnung an das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci von 1497: Meistertrainer André Breitenreiter als Jesusfigur und die Meistermannschaft als Jünger dargestellt. Geht das genauso unproblematisch wie ein Maradona-Schrein in Neapel, der sogar mit Haarreliquien an den Fussballgott mit der Hand Gottes erinnert? Ist das anmassend oder hohe Kunst, die den Sport mit Religion gleichsetzt? Darüber kann debattiert werden.
Maradona-Schrein in Neapel.
Maradona-Schrein in Neapel. Wikimedia
Sport und Religion müssen getrennt bleiben, so die Forderungen von Verbänden und Funktionären, wenn es darum geht, dass muslimische Sportlerinnen mit Kopfbedeckung Wettkämpfe betreiben wollen, oder evangelikale Fussballer nach dem Torschuss das Trikot ausziehen und ihrem Glauben mit einem sich darunter befindlichen «Jesus Loves You»-Shirt propagieren. Doch Götterkult, Religion und Sport haben eine tiefere Dimension. Ein Blick zurück in die Geschichte des Sports zeigt, dass die Verknüpfungen zwischen Religion und Sport früher enger oder zumindest anders gelagert waren. Mittelalterliche Ritterturniere beispielsweise waren häufig mit dem Aufruf zum Kreuzzug verbunden worden. Die Mobilisierung der sportbegeisterten Masse in Gottes Namen für den Krieg also. Die sportliche Betätigung hatte zum Ziel, ein erfolgreicher, gottesfürchtiger Kämpfer im Heiligen Krieg zu werden.
Ritterturnier. Gemälde von Zygmunt Ajdukiewicz, 1912.
Ritterturnier. Gemälde von Zygmunt Ajdukiewicz, 1912. Wikimedia
Bemerkenswert ist zudem, dass gewisse Sportarten wie beispielsweise der Vorläufer des Tennis, das «Jeux de Paume» in französischen Klöstern erfunden und betrieben wurden. Dies kommt nicht von ungefähr, denn die Klosterinsassen hatten wohl mehr Freizeit als die Handwerker und Bauern und konnten sich so dem Sport widmen. Der Klerus war somit nicht per se sportfeindlich, aber auch nicht immer sportfreundlich. Anders sah es in der alten Eidgenossenschaft aus: Schwingfeste, Steinstossen und weitere Wettkämpfe unter jungen Männern waren den kirchlichen Obrigkeiten ein Dorn im Auge. Einerseits weil es immer wieder bei solchen Veranstaltungen zu Gewaltausbrüchen und übermässigem Alkoholkonsum kam. Andererseits, weil das sonntägliche Treiben von Sport und Wettkämpfen die Menschen vom Kirchgang abhielt und so ein vermeintlicher Sittenverfall drohte.
In Wettkämpfen wie dem Schwingen sah die Kirche lange die Gefahr eines Sittenzerfalls. Druckgrafik aus dem 19. Jahrhundert.
In Wettkämpfen wie dem Schwingen sah die Kirche lange die Gefahr eines Sittenzerfalls. Druckgrafik aus dem 19. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum
Diese negative Haltung des Klerus zog sich weit in die Moderne hinein. Gerade moderne Sportarten wie Radrennfahren, Fussball und Rugby waren verpönt bei Geistlichen. Wer Fussball spielte, riskierte unter gewissen Umständen scharfe Sanktionen seitens der katholischen Geistlichkeit. So soll beispielsweise den fussballbegeisterten Knaben von Sursee um 1920 gar der Empfang der Hostien verweigert worden sein. Erst mit dem Entstehen der Freizeitgesellschaft im 20. Jahrhundert und den verkürzten Arbeitszeiten nach dem Generalstreik war es den Sportlerinnen und Sportlern möglich, ihre Wettbewerbe auch an Samstagen durchzuführen und somit das Verhältnis zur Kirche zu entschärfen. Das Verschieben der Sportveranstaltungen auf den Samstag brachte jedoch neue, religiös geprägte Schwierigkeiten mit sich: So musste der 1921/22 gegründete jüdische SC Hakoah in den Anfängen darum kämpfen und bitten, dass die Fussballmannschaft ihre Spiele nicht am Samstag (Schabbat) austragen musste. Der Zürcher Fussballverband ging darauf ein, was dann wiederum bei katholischen Vereinen auf Widerstand stiess, die am Sonntagmorgen nicht spielen sollten, weil das den Kirchgang verunmöglichte.
Wimpel des Zürcher Sportclubs Hakoah, 1923.
Wimpel des Zürcher Sportclubs Hakoah, 1923. FCZ Museum
Feststellen lässt sich einmal mehr, dass der Sportolymp oder die Heilgenhallen stark männlich geprägt sind – hier in der Schweiz aber auch anderswo. Meist ist von Trainern als Messias oder eben Sportlern als Göttern die Rede. Frauen werden im Sport weniger rasch in den Himmel gehoben. Selten wurde Martina Hingis als Tennisgöttin bezeichnet. Am ehesten noch traf dieses Attribut auf Serena Williams zu. Natürlich spiegelt diese Schräglage auch das patriarchale Bild einer christlichen Vorstellung vom Jenseits, da gibt es zwar eine Mutter Maria, aber nur einen männlichen Jesus und einen Gott mit langem Bart. Es sind diese historisch bedingten Feinheiten, die immer wieder deutlich machen, dass Sport und Religion sich nicht gänzlich trennen lassen.
Maradonas Handgoal an der WM 1986 wurde später als Hand Gottes bezeichnet. YouTube
Sport wird häufig, in der Forschung, aber auch von Laien als Ersatzreligion betrachtet. Darin liegt ein wahrer Kern. Wenn heute Sportlerinnen als Heldinnen und Helden oder gar Götter bezeichnet werden, ist das keine Anmassung, sondern vielleicht einfach ein Religionsersatz: Das gemeinsame Pilgern zu den Stadien, der geschlossene Raum, die Fangesänge, die Verehrungen oder Verteufelungen und die Rituale vor und nach dem Spiel, das erhabene, erhöhte emotionale Erlebnis und das Gemeinschaftsgefühl sind alles Elemente, die historisch wie gegenwärtig stark religiös oder spirituell geprägt sind. Nicht von ungefähr spricht man vom Heiligen Rasen, von der Hand Gottes oder von Fussballtempeln. Insofern ist das neue Fresko in der Fussballbar wohl für die meisten Teil der Alltags- und Fankultur und keine Anmassung.

Swiss Sports History

Swiss Sports History
Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.

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