Die Stadt Genf und ihre Befestigungsanlagen, um 1760.
Die Stadt Genf und ihre Befestigungsanlagen, um 1760. Bibliothèque de Genève

Die Einkes­se­lung von Genf durch spanische Truppen im Jahr 1743

Während fast sieben Jahren – von September 1742 bis Februar 1749 – wurden die zu Savoyen gehörenden Nachbardörfer der Stadt Genf von spanischen Truppen besetzt und in Mitleidenschaft gezogen. Diese Besetzung ist heute in der Geschichtsforschung beinahe vergessen obwohl sie als Folge des Österreichischen Erbfolgekriegs mit der europäischen Geschichte zusammenhängt.

Christophe Vuilleumier

Christophe Vuilleumier

Christophe Vuilleumier ist Historiker und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte. Er hat verschiedene Beiträge zur Schweizer Geschichte des 17. und 20. Jahrhunderts publiziert.

Der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748) entfachte sich aufgrund des Widerstands mehrerer Länder gegen die Pragmatische Sanktion vom 19. April 1713, die festlegte, dass der Tochter von Kaiser Karl VI., Maria Theresia von Österreich, nach dem Tod ihres Vaters die habsburgischen Erbländer zufielen. Preussen war das erste Land, das sich Österreich widersetzte, gefolgt von Bayern, bevor auch Frankreich und Spanien unter Philipp V. eingriffen. 1741 marschierten spanische und sizilianische Truppen in Norditalien ein, die es hauptsächlich auf das damals zu Österreich gehörende Mailand abgesehen hatten. Diese Invasion brachte den König von Sardinien dazu, mit Österreich die Konvention von Turin vom 1. Februar 1742 abzuschliessen, was den Konflikt mit Spanien auslöste. Im März 1742 genehmigte Ludwig XV. den Durchmarsch der in Barcelona wartenden spanischen Truppen durch Frankreich. Kaum erreichten diese aber Nizza, versperrten ihnen die Sarden den Weitermarsch. Die Spanier entschieden sich deshalb für ein anderes Ziel und wendeten sich Chambéry zu. Die sardische Konteroffensive im Herbst 1742 scheiterte gegen die spanischen Regimente des Markgrafen de la Mina, die das Gebiet inzwischen beherrschten. Philipp, der Infant von Spanien, Sohn des spanischen Königs und zukünftiger Herzog von Parma, zog so in Chambéry ein und liess sich am 5. Januar 1743 im Schloss nieder, wo der Treueid des Adels und der Obrigkeit von Savoyen nicht lange auf sich warten liess.
Chambéry um 1780.
Chambéry um 1780. Wikimedia
Im Herbst 1742 brachten die sich verschärfende internationale politische Lage und die militärischen Operationen des spanischen Königs die Genfer Regierung dazu, ihre diplomatischen Bemühungen in Frankreich und Spanien aber auch mit ihren eidgenössischen Verbündeten zu verstärken. Die bescheidene Calvin-Stadt hatte den mächtigen Kräften nicht viel entgegenzusetzen und musste wie auch bei früheren Gelegenheiten auf die Diplomatie zählen um zu überleben. Nach Erhalt der Neuigkeit der Einnahme von Chambéry durch Spanien entsandte Genf im Dezember 1742 hoffnungsvoll den Ratsherren François Jean Turrettin zu Zenón de Somodevilla y Bengoechea, dem Markgrafen de la Ensenada und Sekretär des Infanten von Spanien, Philipp I. Letzterer versicherte dem Diplomaten die guten Absichten Spaniens und dass die Stadt am Genfersee nicht belästigt werde.
Brief des Infanten von Spanien vom 17. Dezember 1742 an die Genfer Regierung
Der Brief des Infanten von Spanien vom 17. Dezember 1742 an die Genfer Regierung, mit dem er sie bezüglich seiner Absichten gegenüber der Genfer Seigneurie beruhigte. Staatsarchiv Genf
Das Eintreffen eines fast 20’000 Mann starken Heers bestehend aus den Regimentern von Galizien und Asturien trug aber wenig zur Beruhigung der Genfer bei. Sie sorgten sich nicht nur um die Souveränität ihres Gebiets, sondern auch um die unvermeidlichen Probleme, welche die Anwesenheit eines Heers dieser Grösse mit sich bringt. Der spanische Stab verbot denn auch bereits am 7. Januar 1743 die Ausfuhr von Weizen aus Savoyen und erteilte den verschiedenen Regionen, namentlich der Pfarrgemeinde Lancy, den Befehl, den Dragonern das verlangte Viehfutter zu geben. Allmählich besetzten die Armeekorps das ganze Gebiet um Genf und die Offiziere verlangten die Befreiung vom Brückenzoll der Pont d’Arve, was ihnen auch gewährt wurde.
Pont d’Arve, Grafik von 1816.
Pont d’Arve, Grafik von 1816. Bibliothèque de Genève
Am 18. Januar 1743 erreichten 500 Dragoner des Regiments von Sevilla das Dorf Carouge und wurden auf die benachbarten Dörfer aufgeteilt. Einige Tage später erreichten sechs Infanteriebataillone mit 300 Männern Annecy. Während 60 Dragoner ihr Quartier in Chêne bezogen, wurde Saint-Julien am gleichen Tag von über hundert Infanteristen besetzt. Gleichzeitig liessen sich zwei Kompanien in Compesières und zwei andere in Bernex und Confignon nieder.
Um 1740 waren die Staatsgrenzen im Gebiet um Genf noch komplizierter. Zur Stadt Genf gehörten einzelne, nicht miteinander verbundene Gebiete. Karte von Genf und Umgebung, 1740
Um 1740 waren die Staatsgrenzen im Gebiet um Genf noch komplizierter. Zur Stadt Genf gehörten einzelne, nicht miteinander verbundene Gebiete. Karte von Genf und Umgebung, 1740. Bibliothèque de Genève
Die Genfer Regierung behielt nur mit Mühe den Überblick über die Anzahl spanischer Soldaten, welche die Stadt einzukesseln schienen, und geriet im Februar noch stärker unter Druck, als der Statthalter Frankreichs ihr nahelegte, alle notwendigen Vorkehrungen für den Fall einer spanischen Invasion zu treffen. Die Ereignisse schienen ihm Recht zu geben, denn die Berichte wurden immer beunruhigender. Im Februar machten spanische Dragoner bei der Verfolgung von Deserteuren einen Abstecher auf Genfer Gebiet an der Rhône und griffen dabei den Schiffer des Weilers Peney an. Sie setzten ihm die Pistole an die Brust, um von ihm Informationen zu erhalten, und zwangen den ansässigen Schlossherrn und Offizier von Genf, mehrere Männer unter seinem Dach zu beherbergen. Andernorts machten sich die Spanier ein Vergnügen daraus, die Genfer zu schikanieren und zu provozieren. In Carouge und Presinge quartierten sie eine Infanteriekompanie in den Häusern von Genfern ein, die dort Grundbesitz hatten. Sie erhoben Kriegsbeiträge, ohne zwischen Savoyern und Genfern zu unterscheiden, und drangen nach Jussy vor, wo sie Bauern misshandelten. Der Oberstkorpskommandant der spanischen Truppen versuchte sogar, das Landhaus des Syndic de la Garde in Carra zu beschlagnahmen, um dort Quartier zu beziehen, was zu einer scharfen Reaktion des Residenten Frankreichs in Genf führte.
Ansicht von Genf im 18. Jahrhundert.
Ansicht von Genf im 18. Jahrhundert. Bibliothèque de Genève
Beim Lesen des Protokolle dieses Jahres wird die Angst der Genfer Obrigkeit spürbar, die sich mit einer damals als kritisch eingestuften Situation konfrontiert sah. Die Sicherheitsmassnahmen, so symbolisch sie auch waren, wurden verstärkt. Suspekte Individuen wurden verhaftet, Befestigungen verstärkt – 1743 gab Genf 346’777 Gulden für die Instandsetzung seiner Mauern aus – die Wachposten verzehnfacht und die Bauern mit der Überwachung der Landschaft beauftragt. Der Syndic de la Garde sandte unauffällig gekleidete Männer nach Savoyen, Annecy und ins Chablais und in die Berge, um Informationen über die spanischen Militärkräfte zu sammeln und um in Erfahrung zu bringen, ob an Anlagen für einen Handstreich auf die Stadt gebaut wurden. Denn laut den damals gesammelten Informationen, die namentlich über den holländischen Botschafter Frans Van der Meer in die Stadt kamen, war keine Belagerung zu erwarten, sondern ein Blitzangriff wie jener von 1602, der als Escalade im Genfer Gedächtnis geblieben war. Der aufmerksame Justizleutnant, der alle Gerüchte aufspürte, berichtete sogar von einem Plan für den Einfall in die Stadt durch das Cornavin-Tor an einem Sonntag, während die Bevölkerung in der Kirche sei.
Verhandlungsprotokoll der Genfer Regierung vom 30. Januar 1743.
Verhandlungsprotokoll der Genfer Regierung vom 30. Januar 1743. Staatsarchiv Genf
Am 21. Februar 1743 erhielt Genf von verbündeten Zürcher Truppen Verstärkung, was zu verschiedenen Vorschlägen der Ratsherren betreffend Kriegsführung führte. Einige wollten ein neues Kriegsgebäude bauen, um die Herrschaft über die Gewässer zu behalten, während andere vorschlugen, die Bollwerke zu verstärken. Die Dreistigkeit der spanischen Dragoner nahm aber trotz der militärischen Verstärkung nicht ab. Einige wagten sich bis in die Stadt vor, um Händel zu suchen, wie am 26. Februar, als zwei Prahlhanse mit dem Pförtner des Hospitals Streit anfingen; oder am 4. März, als fünf in Roche einquartierte Dragoner nach Mitternacht in Jussy auftauchten, die Tür von Jacques Guillard aufbrachen, um ihm seine Habe zu rauben. Dies führte zu einem Schusswechsel zwischen den Soldaten und den Bauern, die ihrem Nachbarn zu Hilfe eilten. Die Genfer führten aber ihre diplomatischen Bemühungen weiter und begannen Ende März Verhandlungen mit dem Infanten von Spanien in Chambéry, um die Einhaltung des Vertrags von Saint-Julien von 1603 einzufordern. Dies war denn auch dringend nötig, denn die Situation verschlechterte sich rasant: Am 22. März nahm eine Dragonerkompanie auf der Suche nach Essen Avusy in Beschlag und prügelte einen sich wehrenden Genfer Bauern zu Tode. Dies führte zur Mobilisierung der Dorfbewohner, welche die Haudegen in die Flucht schlagen konnten. Der Sieg währte aber nicht lange. Nur wenige Stunden später überfielen sechzehn Dragoner das Dorf und nahmen neun Pechvögel fest, die sie nach Thoiry brachten. Mangels Essensvorräte bedienten sich die spanischen Soldaten auch auf den Äckern der Seigneurie. Im Juni mähten sie die Wiesen eines Genfer Hauptmanns und hielten anschliessend auf Befehl des Markgrafs de la Mina in Carouge Getreidekarren an.
Bauernhof in Avusy im heutigen Kanton Genf.
Bauernhof in Avusy im heutigen Kanton Genf. Bibliothèque de Genève
Die Spanier versprachen jedoch, sich an den Vertrag von Saint-Julien zu halten, wodurch die Genfer trotz einiger kleinerer Verstösse gegen die Verträge aufatmen konnten. Denn auch wenn die Offiziere strenge Disziplin walten liessen, liess der Hunger einige Soldaten dagegen verstossen. Im Dezember 1743 wurden zwei von ihnen vom Wachtmeister der Pont d’Arve verhaftet, als sie Bauern erpressten und misshandelten, und einige Tage später überfielen Dragoner in der Nähe von Bougeries eine Getreideladung. Noch im Januar 1744 plünderten in Vésenaz stationierte spanische Soldaten Bäuerinnen auf dem Weg nach Jussy, was zu einer Beschwerde beim Markgrafen de la Mina in Chambéry führte, der sie guthiess und die Schuldigen bestrafte.
Für den Infanten war die Einhaltung der Verträge mit der Stadt Genf wichtig, wollte er sich doch ihrer Zusammenarbeit versichern. So wurde am 15. Januar 1744 die volle und uneingeschränkte Handelsfreiheit zwischen Savoyen und Genf wieder eingeführt und die Hoheitsgewalt der Stadt wurde anhin respektiert. Im Februar 1744 bat der Kommandant de la Vega um die Erlaubnis, sein Regiment Calatrava aus Andalusien auf dem kürzesten Weg nach Saint-Julien über die Genfer Befestigungsanlagen zu führen. Genf verweigerte ihm dies aus Sicherheitsgründen, ohne dass dies zu Reaktionen der spanischen Befehlshabenden führte. Philipp I. konnte es nur recht sein, dass in der mit dem französischen König verbündeten Stadt eine scheinbare Ruhe und Zusammenarbeit einkehrte. Hinzu kam, dass zahlreiche Kriegsgewinnler spanischen Deserteuren halfen, sich gegen einige Piaster in die Schweiz zu retten, und zu niedrigen Preisen Waffen und sogar Pferde kauften. Im April 1746 erregte ein Fall grosses Aufsehen, als Bauern von Dardagny ein spanische Truppe, die in der Dorfschenke Halt machte, in Schach hielten und die Deserteure befreiten, die nach Chambéry zurückgebracht werden sollten. Einigen Genfern gelang es sogar, Dragoner abzuwerben und in ihre Dienste zu nehmen, indem sie sie benutzten, um die Lieferungen für die Stadt zu blockieren und zu stehlen.
Kavallerist des Linienregiments von Calatrava, 18. Jahrhundert.
Kavallerist des Linienregiments von Calatrava, 18. Jahrhundert. Pinterest
Während sechs Jahren gelang es Genf, dem Schrecken einer erneuten Escalade zu entkommen, ohne aber seinen direkten Nachbarn die zweifellos unbarmherzige militärische Besetzung ersparen zu können. In Savoyen waren die Übergriffe der militärischen Kontingente besonders grausam. Dies erklärt denn auch die besonders gewalttätigen Reaktionen der Lokalbevölkerung auf die Spanier, trotz der Anerkennung des Vertrags von Saint-Julien im Jahr 1743. Die Genfer Regierung war zweifellos erleichtert, als der Krieg endete und sie sich an die verschiedenen kriegführenden Parteien wenden konnte , um Teil des Friedens zu sein, der am 18. Oktober 1748 in Aachen geschlossen wurde.
Jaime de Guzman-Davalos y Spinola, Markgraf de la Mina, oberster Befehlshaber der spanischen Truppen in Italien bis zum Kriegsende, um 1760.
Jaime de Guzman-Davalos y Spinola, Markgraf de la Mina, oberster Befehlshaber der spanischen Truppen in Italien bis zum Kriegsende, um 1760. Wikimedia

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