Leuchtfeuer im Film «Die Rückkehr des Königs», dem dritten Teil der Filmtrilogie «Der Herr der Ringe». YouTube

Hochwach­ten, das Alarmsys­tem der alten Eidgenossenschaft

Was heute der Sirenenalarm, waren in früheren Jahrhunderten die Hochwachten: Mit Signalfeuern liessen sich Truppen innert weniger Stunden mobilisieren, vom Rhein bis an den Genfersee.

Thomas Weibel

Thomas Weibel

Thomas Weibel ist Journalist und Professor für Media Engineering an der Fachhochschule Graubünden und der Hochschule der Künste Bern.

Atemlos stürmt Aragorn in die Halle des Königs von Rohan: «Die Leuchtfeuer von Minas Tirith, die Leuchtfeuer brennen! Gondor ruft um Hilfe!» Alles dreht sich um, und grimmig antwortet König Théoden: «Und Rohan wird antworten! Die Heerschau soll beginnen!» Die Fantasy-Welt des «Herrn der Ringe» aus der Feder des britischen Schriftstellers J. R. R. Tolkien ist von Schlachten zwischen Gut und Böse zerrissen, und nach dieser Szene im letzten Teil der Filmtrilogie ruft Théoden seine Krieger zusammen. Tolkien war nicht nur Fantasy-Autor, sondern vor allem auch Mediävist und Sprachforscher. Hochwachten, jenes über grosse Distanzen reichende Alarmsystem des ausgehenden Mittelalters, waren ihm durchaus vertraut.
Mit Leuchtfeuern auf Berggipfeln wurde in der alten Eidgenossenschaft die Mobilisierung von Truppen ausgelöst. In Sichtverbindung stehende Hochwachten entzündeten der Reihe nach ihre Feuer, und so wurde der Alarm über das gesamte Signalnetz hinweg weitergegeben – im Kanton Waadt werden Gipfel, auf denen sich Hochwachten befanden, bis heute «signal» genannt. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden diese Netze stark ausgebaut und konnten sich über Hunderte von Kilometern erstrecken – der Kanton Luzern verfügte über 17 Signalfeuer, Zürich über deren 23, Freiburg 33, Thurgau 51, und das Netz der 156 sogenannten «Chutzen» des Kantons Bern reichte gar vom Rhein bis an den Genfersee. Die Bedeutung der Höhenfeuer zeigt sich noch heute in Berg- und Flurnamen wie «Pfannenstiel» oder «Wachthubel»; den Namen «Hochwacht» gibt es in den Kantonen Bern, Aargau, Luzern, Zug, Zürich, Thurgau, St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden.
Hochwachtenkarte des Kantons Zürich, 17. Jahrhundert.
Hochwachtenkarte des Kantons Zürich, 17. Jahrhundert. Zentralbibliothek Zürich
Hochwachten zählen zu den ältesten militärischen Techniken der Menschheit; den Kantonen dienten sie in kriegerischen Zeiten zur Sicherung ihres Herrschaftsgebiets. Frühe Signalfeuer bestanden aus einem weithin sichtbaren Baum, der mit Stroh und Reisig umhüllt und in Brand gesteckt wurde. Spätere «Chutzen» bildeten eine bis zu 20 Meter hohe Pyramide aus drei oder vier Tannen, deren Fussenden sechs Meter voneinander entfernt in den Boden eingelassen waren. In Mannshöhe war zwischen den Tannen ein waagrechter Bretterboden angebracht, der einen bis zur Spitze reichenden Holzstoss trug. Ein Schacht in der Mitte diente als Schlot; die Holzmenge war so bemessen, dass der «Chutzen» mindestens eine Stunde lang brannte. Ein Strohdach schliesslich verkleidete die Konstruktion nach aussen und hielt das Holz trocken.
Ab dem 15. Jahrhundert stellten die in der Regel nicht höher als 1500 m.ü.M. gelegenen Hochwachten ausgeklügelte Alarmsysteme dar. Sie bestanden aus einer bemannten Wachthütte oder einem Wachtturm, einem «Richtdünkel» genannten Visierinstrument zur genauen Lokalisierung der nächstgelegenen Signalpunkte (damit ein Signalfeuer nicht etwa mit einer gewöhnlichen Feuersbrunst verwechselt wurde), einer schwenkbaren Pfanne mit Harz oder Pech, die an einem galgenartigen, «Harzstud» genannten Gerüst hing, einem Mörser sowie trockenem Holz. Nachts wurden die Signale mit Feuerschein weitergegeben, tagsüber mit Rauch und bei Nebel mit Geschützdonner, wie das sogenannte «Defensional» des Zürcher Ingenieurs und Feldbaumeisters Johannes Haller von 1620 festhält: «Die Losungs- und Wortzeichen müeszind, wyl die Zyten des wätters unglych, also dasz zu zyten vil näbel und darüber wider heitter ist, nach dem wätter gerichtt und geänderet werden, alszo by heitter wetter des tags der rauch, zu nacht das fhüwr und in dem nebel grosse mörszel oder dannot hölzene stuck könnend gebrucht werden.»
Hochwacht, Rekonstruktion.
Hochwacht, Rekonstruktion. Erziehungsdirektion des Kantons Bern/ Einwohnergemeinde Ringgenberg
Für den Bau und den Unterhalt war zumeist die Gemeinde zuständig, auf deren Gebiet die Hochwacht stand, und sie hatte auch das Wachpersonal zu stellen, von dem nüchternes und ehrbares Verhalten, bescheidenen Umgang mit dem «Tabaktrinken» (Rauchen) und natürlich die Verteidigung der Hochwacht verlangt wurde. Erliess etwa der Rat von Bern eine Kriegserklärung, trugen die auf dem Münsterturm postierten Wächter Fackeln fünfmal um die oberste Terrasse herum. Danach gaben auf Türmen der Stadtmauer aufgestellte Kanonen drei Schüsse ab, und die Kirchenglocken begannen Sturm zu läuten. Auf dem Gurten, dem Bantiger und dem Harzerenhubel wurden die Hochwachten entzündet und von «Chutzen» der ganzen Signalkette entlang wiederholt, was der Berner Schriftsteller Rudolf von Tavel in seinem Roman «Ring i der Chetti» von 1931 eindrücklich beschrieb: «Der Holzhuufe lället turmhööch i di heiteri Bärgluft und verchündet i ds Land yne: ‹Si chöme!› Bald gseht me uf de Nachbarbärgen o roti Stärnli ufzwitzere. Eis weckt ds andere, bis i di inneri Schwyz yne, es neus, es irdisches Stärneheer, wo jede Stärn dem andere zuerüft, ‹Chrieg, Chrieg!›»
Im Krieg gilt, dass Herr der Lage ist, wer rasch handelt. Bei einer Zeit von 10 Minuten für das Entzünden eines Leuchtfeuers ergab sich für die Übermittlung eines Signals von Bern nach Zurzach eine Gesamtdauer von rund drei Stunden. Die Übermittlung von Bern nach Genf benötigte zweieinhalb Stunden, jene von Bern nach Guttannen eine Stunde und 40 Minuten. Kirchenglocken und Tambouren verbreiteten den Alarm innerhalb der Städte und Dörfer. Auf diese Weise konnte das ganze Gebiet des alten Kantons Bern innert dreier Stunden alarmiert werden, und in fünf Stunden konnten die Truppen marschbereit sein.
Genfer Soldaten werden 1871 an die Grenze aufgeboten.
Genfer Soldaten werden 1871 an die Grenze aufgeboten. VBS / DDPS - Albert von Escher
Zum letzten Mal eingesetzt wurden die Signalfeuer im Jahr 1870 im Zug des Deutsch-Französischen Kriegs, als der Bundesrat fünf Heereseinheiten mit einem Gesamtbestand von 37’000 Mann aufbot, um insbesondere die Grenzübergänge von Schaffhausen bis zum Pruntruterzipfel zu sichern. Heute dienen die Hochwachten allenfalls noch als Messpunkte der Landesvermessung – und, ihrer Aussicht wegen, als beliebte Wanderziele.
Die Albis-Hochwacht, 1935, fotografiert von Leo Wehrli.
Die Albis-Hochwacht, 1935, fotografiert von Leo Wehrli. ETH-Bibliothek Zürich

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