«Mordnacht zu Zürich», 24. Februar 1350: Bürgermeister Rudolf Brun schlägt auf dem Dach des Rathauses Alarm.
«Mordnacht zu Zürich», 24. Februar 1350: Bürgermeister Rudolf Brun schlägt auf dem Dach des Rathauses Alarm. Berner Tschachtlan-Chronik

Das Lärmen der Waffen

Das deutsche Wort «Lärm» hat seine Wurzeln wie viele andere Alltagsbegriffe im Kriegswesen. Das Wort, das wir heute mit Autoverkehr, Baustellen oder anstrengenden Nachbarn in Verbindung bringen, leitet sich aus dem italienischen Ruf zu den Waffen – «all’arme» – ab.

Adrian Baschung

Adrian Baschung

Adrian Baschung ist Historiker und Leiter des Museums Altes Zeughaus in Solothurn.

Ob sich in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 1350 der damalige Bürgermeister Rudolf Brun wirklich vor einem heimtückischen Überfall auf das Dach des Zürcher Rathauses geflüchtet hatte, kann historisch nicht mehr verifiziert werden. Diese Wiedergabe der Ereignisse der «Mordnacht zu Zürich» finden wir jedenfalls in der Chronik des Berners Benedikt Tschachtlan. In Bild und Text beschrieb der Chronist das nächtliche Eindringen von Verschwörern in die Limmatstadt, um den Bürgermeister und seine Gefolgsleute zu meucheln, und die Niederschlagung des Aufstandes. Dabei ist die Illustration in der sogenannten «Tschachtlanchronik», welche 1470 angefertigt wurde, interessant. Man erkennt den Bürgermeister auf dem Dach des Rathauses, mit ausgebreiteten Armen lauthals die Stadt vor den eingedrungenen «Verschwörern» warnend, die bereits in den Gassen zu morden beginnen. Die Randnotiz rechts oberhalb der Illustration liest sich, obwohl unvollständig, folgendermassen:
Von der Mortnacht
Bürgermeister Brun alarmierte also die Stadtbevölkerung, indem er vom Rathausdach herunter schrie, also ein «Mordsgeschrei» oder «Mordiogeschrei» verursachte, um auf den Überfall aufmerksam zu machen und Hilfe zu erhalten. Ähnliche Warnrufe kennt das Schweizerische Idiotikon, das Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, auch im Fall eines ausgebrochenen Feuers, nämlich den Hilfe- oder Alarmruf «Fürio!». Dass der Begriff «Lärm», wie ihn ja Bürgermeister Brun angeblich in der Zürcher Mordnacht verursachte, auch in seiner Entstehung unter anderem mit Krieg und Kampf in Verbindung steht, wird wohl manchen nicht bekannt sein. Folgt man dem Etymologischen Wörterbuch des Deutschen, so geht «Lärm» auf einen Ausruf zurück, welcher in diesem Artikel bereits verwendet wurde, nämlich auf «Alarm». Dieser Warn- und Weckruf wurde im 15. Jahrhundert dem italienischen Militärjargon mit «all’arme» («zur Waffe!») oder auch «all’armi» («zu den Waffen!») entlehnt. Auch das französische «alarme» entstammt diesem Waffenruf.
Trompeter blasen zu den Waffen, 1440.
Trompeter blasen zu den Waffen, 1440. Berner Tschachtlan-Chronik
Wie jedoch wandelte sich das italienische Warnsignal «all’arme» ins deutsche «Lärm»? Im Frühneuhochdeutschen, einer Epoche der deutschen Sprachgeschichte, die zwischen 1350 und 1650 anzusiedeln ist, finden wir den eingedeutschten Begriff «Al(l)erma» oder auch «Al(l)erm». Durch das Fallenlassen des Anlauts, was ab dem 16. Jahrhundert in den Schrift- und Druckquellen zu beobachten ist, entstand «Lermen», «Lerman» und dann später «Lärm». Dabei konnte, neben der Bedeutung eines Warnsignals, «Lerman» auch als Aufruhr oder Auflauf verstanden werden. Sprachgeschichtlich nahm die heutige Deutschschweiz in dieser Epoche eine Art Sonderrolle ein, da sich hier bis ins 16. Jahrhundert eine schriftliche Amtssprache entwickelte, deren Basis im alemannischen Spätmittelhochdeutschen liegt. Jedoch lässt sich auch hier eine ähnliche etymologische Entwicklung erkennen. Das Schweizerische Idiotikon zeigt, dass sich im 16. Jahrhundert der Begriff «Lermen», «Lerman» oder «Lärma» im Zusammenhang mit der Warnung vor oder dem Aufruf zum Krieg festgesetzt hatte. So finden wir zum Beispiel in einem Liedtext aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Schlacht bei Novara 1513 folgende Strophe:
«Alarm tut man schlagen zu Novara in der Stadt; Die Feinde würden sich nähern; Man hielt sehr rasch Rat»
Schweizer Söldner ziehen nach Novara, 1513.
Schweizer Söldner ziehen nach Novara, 1513. Luzerner Schilling, S 23 fol., p. 329
Ein Wundarzt aus Zürich namens Jacob Ruoff behandelte nicht nur Gebrechen und verfasste medizinische Traktate, sondern schrieb auch Gedichte und Schauspiele. In einem seiner Stücke von 1539/40 lässt Ruoff Kriegsleute rufen:
«Alarm! Alarm! Liebe Gesellen Lauft schnell und umstellt den Garten, an allen Orten!»
Ein weiteres Beispiel für «Lärm» oder «lärmen» im Zusammenhang mit einem Waffenruf liefert der Theologe und Pädagoge Johannes Fries (1505-1565) in seinem Deutsch-Latein-Wörterbuch von 1541. Dort übersetzte er den lateinischen Satz «Bellicum canere» (zum Angriff blasen) mit «den lermen blasen». Heinrich Bullinger, der Nachfolger Huldrych Zwinglis im reformierten Zürich, beschrieb mehrfach in seiner Geschichte der Reformation von 1564, wie in den sogenannten Kappeler-Kriegen innerhalb der katholischen und reformierten Truppen alarmiert wurde:
«Solches wurde ihnen verwehrt durch die Hagenschützen der Zürcher mit starkem Feuer. Deswegen gaben die 5 Orte [Katholische Orte] einen Alarm an die Banner und den Gewalthaufen [Hauptstreitmacht] hinter ihnen […]»
Auch Instrumente, welche zur Alarmierung Verwendung fanden, wurden mit dem «Kriegslärm» in Verbindung gebracht. So finden wir in den Quellen das «Lärmenhorn», die «Lärmentrompete» oder die «Lärmentrommen» (Alarmtrommel) womit der «Lärmenstreich» geschlagen wurde. Auch die Plätze, wo sich die alarmierte Bevölkerung zu sammeln hatte, wurden als «Lärmenplatz» bezeichnet. Diese mussten durch die Amtsleute bestimmt werden und wurden auf ein festgelegtes Signal hin aufgesucht, ganz wie es uns eine Quelle von 1599 beschreibt:

Lermen, Lermen, nemt spiess und pfeil und auf den Lermen­platz gschwind ziend!

Wenn Sie sich also das nächste Mal durch «Lärm» genervt oder gestresst fühlen, denken Sie daran, dass dies im 15. und 16. Jahrhundert eine ganz andere Gewichtung hatte.

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