Postkarte der Righi in Genua, Anfang 20. Jahrhundert.
Postkarte der Righi in Genua, Anfang 20. Jahrhundert. zVg

Die Righi-Bahn in Genua

Was machen zwei Obwaldner Ende des 19. Jahrhunderts in Genua? Sie bauen eine Bergbahn und geben ihr einen Namen aus der Heimat: Righi-Bahn.

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr ist Kultur- und Medienwissenschafter und lebt in Zürich.

Wer in Genua nach Schweizer Spuren sucht, wird schnell fündig: Mitten in der Innenstadt liegt die Confiserie Klainguti. Sie geht auf drei Bündner Brüder zurück, die bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die ligurische Hafenstadt kamen und hier 1825 eine erste Konditorei eröffneten. Genua liegt am Fusse steiler Hügel. Hier befindet sich auch das alte Forte Castellaccio, das dem Quartier seinen Namen gegeben hat. Seitdem die beiden Obwaldner Franz Josef Bucher und Josef Durrer 1893 eine Bahn auf einen der Hügel bei der Stadt gebaut hatten, heisst die Gegend aber Righi, wie der Berg in der Innerschweiz, einfach mit einem H.
Zeitgenössische Postkarten der Righi-Bahn in Genua.
Zeitgenössische Postkarten der Righi-Bahn in Genua. zVg
Ähnlich wie die Klainguti-Brüder suchten die beiden Obwaldner Unternehmer und Macher ihr Glück in Genua. Schon 1883 erwarben sie eine Beteiligung am Hotel Méditerranée im benachbarten Pegli. Später kauften sie es ganz. 1890 bewarben sich die beiden für den Bau eines Abschnitts der Strassenbahn in Genua und erhielten den Zuschlag, allerdings für die schwierigste und hügeligste Strecke, für die sie sogar Tunnel bauen mussten. Das ruinierte die Schweizer beinahe. Franz Josef Bucher und Josef Durrer kannten sich seit Kindsbeinen, beide stammten aus Kerns bei Sarnen und waren sogar miteinander verschwägert. 1864 gründeten Bauer Bucher und Schreiner Durrer eine Firma: Die Bucher & Durrer. Mit sicherem Gespür für neue Geschäftsfelder eröffneten sie wenige Jahre später die erste Parkettfabrik der Schweiz im nahen Kägiswil (OW). Ihr Parkett war gefragt und die einheimischen Quellen für Holz waren bald erschöpft. Bucher & Durrer expandierten nach Osteuropa und kaufte 1881 in Siebenbürgen, das damals Teil der Donaumonarchie war, eine Sägerei. 1885 wurde im rumänischen Bukarest eine weitere Parkettfabrik eröffnet.
Josef Durrer (links) und Franz Josef Bucher bei einem Mittagessen auf dem Stanserhorn. Als das Foto 1904 entstand, arbeiteten die beiden Männer bereits fast zehn Jahre nicht mehr zusammen.
Josef Durrer (links) und Franz Josef Bucher bei einem Mittagessen auf dem Stanserhorn. Als das Foto 1904 entstand, arbeiteten die beiden Männer bereits fast zehn Jahre nicht mehr zusammen. Staatsarchiv Obwalden. P.0056.766.0067 (05)
Franz Josef Bucher war ein Draufgänger, Zeitgenossen beschreiben ihn gar als grobschlächtig. Das einzige Wort in italienischer Sprache, das er kannte, sei «subito» gewesen. Bucher wollte wahrgenommen werden. Um jeden Preis. Sein Kompagnon Josef Durrer, der Handwerker, war das pure Gegenteil: diplomatisch, überlegt und zurückhaltend. Kein Wunder also, kam es schon bald zu Differenzen zwischen den beiden, so etwa bei einem langjährigen Streit mit dem Kanton Obwalden, bei dem es um Wasserrechte für ihre Fabrik ging. 1877 führten die Meinungsverschiedenheiten zu einer kurzfristigen Trennung, die aber bald wieder aufgehoben wurde. Man versuchte sich zu arrangieren. Das Geld, das die beiden mit dem Holz und Parkett verdienten, floss in die aufstrebende Hotellerie. 1870 bauten sie in Engelberg ihr erstes Hotel, den Sonnenberg, wo sie ihre edlen Böden einem breiten Publikum vorführen konnten. Nach nur einem Jahr wurde das Haus mit Gewinn weiterverkauft. Mit dem Geld erwarben sie die Trittalp ob dem Vierwaldstättersee. Die Korporation Luzern, vormalige Besitzerin, stufte das Land als landwirtschaftlich nutzlos ein. Nicht jedoch Durrer und Bucher. Letzterer gab der Alp einen neuen Namen: Bürgenstock. Schon 1873 wurde das Grand Hotel Bürgenstock eröffnet und 1888 entstand hier auch eine Standseilbahn. Weitere Hotels folgten: 1883 das Hotel de l’Europe in Luzern, 1893 das Hotel Quirinale in Rom.
Das Hotel Bürgenstock, um 1877.
Das Hotel Bürgenstock, um 1877. ETH Bibliothek Zürich

Bergbah­nen als zweites Standbein

Das zweite Standbein der Firma Bucher & Durrer wurden die Bergbahnen. Gerne wären die beiden beim Bau der 1886 eröffneten Pilatusbahn eingestiegen. Das blieb ihnen jedoch aus persönlichen Animositäten verwehrt. Dafür waren sie gegenüber auf dem Stanserhorn erfolgreich. Dort bauten sie günstig und schnell eine Bahn auf den Gipfel. Weil sie sparen mussten, suchten die Unternehmer nach einer kostengünstigen Bremse, statt der damals üblichen Zahnstangen: Techniker Durrer entwickelte daraufhin eine Zangenbremse, die auch die Konzessionsbehörden überzeugen konnte. Für sie wurde an der steilsten Stelle des Berges eine waghalsige Demonstration der Wirksamkeit inszeniert – Regisseur war natürlich Franz Josef Bucher. Und natürlich beanspruchte dieser Bucher auch gleich die Erfindung der Zangenbremse für sich selbst, obwohl Josef Durrer diese entwickelt hatte. Letzterer blieb – wohl auch, um den fragilen Hausfrieden nicht zu gefährden – diskret im Hintergrund.
Die Stanserhornbahn, aufgenommen Ende des 19. Jahrhunderts.
Die Stanserhornbahn, aufgenommen Ende des 19. Jahrhunderts. Schweizerisches Nationalmuseum
Zuvor hatten Bucher & Durrer schon andere Bahnen gebaut, so etwa 1886 die Bahn zwischen dem Bahnhof und der Innenstadt von Lugano. Nebenbei schafften die Obwaldner es auch noch, in Maroggia bei Lugano ein Elektrizitätswerk zu errichten. Die Spannungen der beiden Unternehmer wurden im Lauf der Jahre nicht kleiner. Sie erreichten einen Höhepunkt, als sie 1892 in Genua die Strassenbahn-Linien verkaufen konnten und dafür eine Million Franken erhielten. Franz Josef Bucher liess sich das Geld in Tausendernoten auszahlen und reiste damit nach Hause. Dort liess er sich im Garten seines Hauses in Kerns mit dem Geld als erster Obwaldner Millionär fotografieren. Ein Anteil davon gehörte eigentlich auch seinem Partner Josef Durrer, aber um solche Details kümmerte sich Bucher nicht, obwohl sein Geschäftspartner seinen Anteil einforderte.
Franz Josef Bucher mit der berühmten Genua-Million. Im Hintergrund seine Frau Josefina Durrer und seine zwei Söhne Ernst und Werner. 1894.
Franz Josef Bucher mit der berühmten Genua-Million. Im Hintergrund seine Frau Josefina Durrer und seine zwei Söhne Ernst und Werner. 1894. Staatsarchiv Obwalden. P.0056.766.0046 (05)
1895 trennen sich die beiden Unternehmer endgültig, die Firma existierte aber unter gleichem Namen weiter und wurde fortan von Franz Josef Bucher geführt. Die Parkettfabrik blieb bei Durrer, die Hotels gingen an Bucher. Dieser baute in Luzern das luxuriöse Hotel Palace und im fernen Kairo das Hotel Semiramis, das er mit Aufzügen von Schindler, einem Stromgenerator von Sulzer und mit Geschirr und Lingerie aus der Schweiz ausstattete. Die Eröffnung 1907 erlebt er nicht mehr, Franz Josef Bucher starb 1906. Durrer blieb seiner Heimat treu und starb 1919 in Sarnen. Anders als die Klainguti-Brüder, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Genua Fuss fassen konnten – ihre Konditorei existiert heute noch – waren Bucher und Durrer keine Auswanderer. Sie waren Unternehmer, welche die Chancen wahrnehmen wollten, die sich ihnen boten. So war das wohl auch in Genua: Ein Geschäft führte zum nächsten. Wer in Hotels investierte, musste einen grossen Aktionsradius haben. Und so wurde der Wirkungskreis der beiden im Lauf ihres Lebens immer grösser, auch wenn die Hotelexpansion zum Schluss nur noch Sache von Franz Josef Bucher war.

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