Bildnis der Königin Jeanne de France und Äbtissin von Bourges, welches sie kurz vor ihrem Tod im Jahr 1505 in Auftrag gab. Schweizerisches Nationalmuseum / Musée du Louvre

Die Frau hinter der Maske: Jeanne de France

Die exquisite Totenmaske der Jeanne de France (1464-1505) spiegelt Anmut, Stärke und moralische Überzeugung einer leidgeprüften Frau mit Beeinträchtigung, die kurzzeitig Königin von Frankreich war und später heiliggesprochen wurde.

James Blake Wiener

James Blake Wiener

James Blake Wiener ist Historiker, Mitbegründer der World History Encyclopedia, Autor und PR-Spezialist, der in Europa und Nordamerika als Dozent tätig ist.

Webseite: worldhistory.org
1464 geboren, war Jeanne de France, oder Johanna von Frankreich, die jüngste Tochter von Ludwig XI. von Frankreich (reg. 1461-1483) und Charlotte von Savoyen. Nach dem Verlust vieler Kinder hatten Ludwig XI. und Charlotte die Ankunft eines Sohnes und Erben erwartet. Dass Jeanne ein Mädchen war und zudem mit einem Klumpfuss und einer schweren Skoliose geboren wurde, bereitete ihnen grossen Kummer. Jeanne verbrachte ihre ersten Lebensjahre im Loiretal, bis Ludwig XI. sie kurz nach ihrem fünften Geburtstag in die Obhut entfernter Verwandter, des Barons François de Lignières et d'Amplepuis und seiner Frau Anne de Culan, gab. Das Ehepaar überhäufte Jeanne mit Liebe und Aufmerksamkeit, da sie selbst keine eigenen Kinder hatten. Sie gaben ihr eine ausgezeichnete und umfassende Erziehung. Unter der Obhut ihres wohlwollenden Vormunds begeisterte sich Jeanne zum ersten Mal für die Figur der Jungfrau Maria und interessierte sich für die Einhaltung religiöser Vorschriften.
Eine Miniatur in Jeannes berühmten Stundenbuch, welche sie – vermutlich – beim Beten zeigt.
Eine Miniatur in Jeannes berühmten Stundenbuch, welche sie – vermutlich – beim Beten zeigt. Wikimedia
Jeannes Beeinträchtigungen wurden mit zunehmendem Alter ausgeprägter: Eine Schulter stand höher als die andere und sie hinkte beim Gehen stark. Sie entsprach nie den aufkommenden Renaissancestandards für weibliche Schönheit und wurde grausam als «Jeanne die Lahme» oder «Jeanne der Krüppel» verunglimpft. Dennoch vermerkten ihre Zeitgenossen, dass sie «trotz ihrer körperlichen Gebrechen ein angenehmes Antlitz» habe. Zudem soll sie eine warme, einnehmende Persönlichkeit gehabt haben, die alle, die ihr begegneten, begeisterte.

Heirat im Namen der Politik

Ludwig XI. – in ganz Europa wegen seiner berechnenden Staatskunst als «die universelle Spinne» bekannt – verlobte Jeanne bereits wenige Tage nach ihrer Geburt mit ihrem Cousin zweiten Grades, Ludwig von Orléans. Als Jeanne in den 1470er Jahren in die Pubertät kam, wurde die Verlobung erneut bekräftigt. Da das salische Recht die weibliche Erbfolge in Frankreich verbot, war die Entscheidung Ludwigs XI. wahrscheinlich in erheblichem Mass von der Realpolitik geleitet. Ludwig von Orléans war nämlich ein politischer Rivale von Jeannes Familie, da er zu einer Nebenlinie des Hauses Valois gehörte und Anspruch auf den französischen Thron erhob.

Ich habe mich entschlos­sen, meine kleine Tochter Jeanne mit dem kleinen Herzog von Orléans zu vermählen, weil ich glaube, dass die Kinder, die sie zusammen haben werden, nichts kosten werden. Ich ermahne euch meiner Hoffnung auf diese Eheschlies­sung und dass diejeni­gen, die sich ihr widerset­zen, ihres Lebens in meinem Reich nicht sicher sein werden.

Auszug aus einem angeblichen Brief, den Ludwig XII. nach eigenen Angaben im September 1473 an den Grand Maître Antoine de Chabannes über Jeanne de France schrieb
Die Tatsache, dass Ludwig von Orléans ausserdem einen starken Anspruch auf das reiche Herzogtum Mailand hatte, erhöhte die Gefahr, die von ihm ausging. Ludwig XI. könnte geglaubt haben, dass Jeanne aufgrund ihrer Beeinträchtigung unfruchtbar war. Somit schien es möglich, dass die Bedrohung durch den Anspruch von Orléans beseitigt werden konnte, indem sie heirateten, aber nie Nachkommen zeugten. Sollte hingegen der Sohn und Erbe Ludwigs XI., Karl, ohne Nachkommen sterben, würde Jeanne nach der Thronbesteigung ihres Mannes Königin von Frankreich werden. Ihre Stellung wäre somit auch gesichert. Der clevere Ludwig XI. war entschlossen, Ludwig von Orléans auf die eine oder andere Weise enger an seine Familie zu binden. Ludwig XI. drohte Ludwig von Orléans und seiner Mutter, Marie von Kleve, mit schwerwiegenden Konsequenzen, sollten sie zögern, der Verbindung zuzustimmen. So wurde schliesslich im Jahr 1473 ein Ehevertrag unterzeichnet. Als Ludwig von Orléans 1475 in Tours zum ersten Mal einen Blick auf seine Verlobte erhaschte, soll er gesagt haben: «Ich hätte nicht gedacht, dass sie so hässlich ist!» Die 12-jährige Jeanne heiratete den 14-jährigen Ludwig von Orléans 1476 im Schloss von Montrichard. Ludwig XI. war nicht anwesend. Die stattliche Mitgift von Jeanne in Höhe von 100'000 Goldkronen trug allerdings wenig dazu bei, dass sich Ludwig von Orléans um seine neue Frau kümmerte. Er soll während des gesamten Hochzeitsfestes geschluchzt und ihr in den nächsten sieben Jahren so gut wie möglich aus dem Weg gegangen sein. Während der häufigen Abwesenheit ihres Mannes residierte Jeanne in Lignières, in der Nähe von Saint-Amand-Montrond. Sie widmete sich der Armenfürsorge und der religiösen Nächstenliebe – ein starker Gegensatz zum ausschweifenden Lebensstil ihres Mannes.
Jeanne de France, dargestellt vor 1530 als Gründerin des Ordens der Verkündigung der Heiligen Jungfrau Maria.
Jeanne de France, dargestellt vor 1530 als Gründerin des Ordens der Verkündigung der Heiligen Jungfrau Maria. Wikimedia
Porträt von Ludwig von Orléans als Ludwig XII., König von Frankreich, um 1514.
Porträt von Ludwig von Orléans als Ludwig XII., König von Frankreich, um 1514. Wikimedia

Turbulen­te Zeiten

Als Ludwig XI. im August 1483 starb, kehrte Jeanne sofort nach Amboise zurück, um nahe bei ihrer Familie zu sein. Wenngleich die Beziehung zu ihrem Vater eher von Politik als von Zuneigung geprägt war, stand Jeanne ihren Geschwistern nahe. Da ihr Bruder Karl VIII. erst 13 Jahre alt war, regierten – während seiner Minderjährigkeit – die ältere Schwester Anne und ihr Gatte Pierre de Beaujeu. Dies erzürnte Ludwig von Orléans, der nun offen ihre Autorität in Frage stellte. 1484 wurde die Rechtmässigkeit jedoch von den Generalstaaten von Tours bestätigt. Die Furcht vor einer erneuten Festigung der königlichen Macht veranlasste Ludwig von Orléans und andere Feudalherren 1485 zu einer offenen Rebellion, welche den sogenannten Guerre folle («verrückter Krieg») auslöste. Während des gesamten Konflikts und sogar nach der Gefangennahme von Ludwig von Orléans im Jahr 1488 bat Jeanne wiederholt und bestimmt um Gnade für ihren Mann.

Ich bitte Sie, den Fall meines Mannes zu bedenken und darüber an unseren Bruder zu schreiben […].

In einem Brief an Anne bittet Jeanne ihre Schwester, eine Versöhnung im Fall ihres Ehemanns Ludwig von Orléans zu unterstützen.
Jeanne verwaltete während der Revolte pflichtbewusst die komplexen Finanzen ihres Gatten sowie dessen umfangreichen Ländereien in Frankreich und der Lombardei. Sie blieb sogar bei ihm, währendem er in Bourges unter Hausarrest stand, und sorgte dafür, dass er mit frischem Fisch, Orangen aus Italien sowie mit sauberer Wäsche und neuer Kleidung versorgt wurde. Auch wenn Ludwig von Orléans ihre unschätzbare Hilfe nie anerkannte, waren Jeannes Bemühungen nicht umsonst: 1491 begandigte Karl VIII. schliesslich Ludwig von Orléans, nachdem dieser ihm einen Treueeid geleistet hatte. Ludwig von Orléans wurde daraufhin einer der wichtigsten Berater Karls VIII. während des Ersten Italienischen Krieges (1494-1498).

Aufstieg zum Thron

Jeannes Bruder Karl VIII. starb 1498 unerwartet, als er sich nach einem Tennisspiel auf Schloss Amboise den Kopf am Türsturz stiess. Seine Ehe mit Anne de Bretagne im Jahr 1491 hatte keine Erben hinterlassen – alle sechs Kinder waren früh gestorben. Und so kam es schliesslich, dass Jeanne durch eigenartige Umstände doch die Königin von Frankreich wurde. Doch Ludwig von Orléans, jetzt Ludwig XII., wollte Jeanne wegen einer ungewöhnlichen Klausel im Ehevertrag von Anne de Bretagne absetzen. Karl VIII. hatte nämlich festgelegt, dass Anne de Bretagne sofort seinen Nachfolger heiraten sollte, falls er ohne Erben sterben sollte. Auf diese Weise wollten die Franzosen die Kontrolle über die Bretagne halten.
Miniatur von Anne de Bretagne, zwischen 1503 und 1508.
Miniatur von Anne de Bretagne, zwischen 1503 und 1508. Wikimedia
Nach der Krönung schickte Ludwig XII. einen der ältesten Freunde Jeannes, Ludwig II. de la Trémoille, zu ihr, um sie zur Annullierung der Ehe zu drängen. Doch Jeanne weigerte sich standhaft – sie wollte weder sich selbst noch ihre Familie entehren. Es stellt sich die Frage, ob Jeannes Gegenwehr vielleicht auch in dem persönlichen Wunsch begründet war, ihren Ehegatten zu zwingen, sie als «vollwertige» Ehefrau zu behandeln oder gar eine Versöhnung herbeizuführen. Bald darauf wurde ein päpstliches Tribunal einberufen. Zuerst proklamierte Ludwig XII., dass Jeanne «missgebildet» – und somit Geschlechtsverkehr mit ihr unmöglich – sei. Er argumentierte weiter, er sei gezwungen worden, Jeanne zu heiraten, und habe dies nur aus Angst vor Ludwig XI. und Jeannes Geschwistern getan. Als Jeanne an der Reihe war, sprach sie mutig und gelassen. Sie erklärte, dass sie zwar wisse, dass sie nicht attraktiv sei, dass sie aber dennoch Kinder haben könne. Sie bestritt vehement, dass ihre Ehe das Ergebnis eines Zwangs war und schwor, dass sie rechtmässig vollzogen wurde. Da zudem eine Bulle von Papst Sextus IV. einen Dispens erteilt hatte, stand der Verbindung angesichts des Blutsverwandtschaftsgrads zwischen Jeanne und Ludwig XII. ebenfalls nichts im Wege. Als Jeanne schliesslich aufgefordert wurde, sich einer gründlichen körperlichen Untersuchung zu unterziehen, lehnte sie dies ab. Schliesslich sei sie eine gebürtige königliche Prinzessin. Ausserdem fügte sie hinzu, dass sich niemand einer derartigen Behandlung unterziehen müssen sollte.

Hätte ich gedacht, dass es keine echte Ehe zwischen dem König und mir gibt, würde ich ihn anflehen, mich zu verlassen, um in ewiger Keusch­heit zu leben, denn das ist es, was ich mir am meisten wünsche […] geistig mit dem ewigen König zu leben und seine Ehefrau zu sein.

Die Antwort von Jeanne de France im Jahr 1498 auf Ludwigs XII. Antrag auf eine Annullierung der Ehe.
Die öffentliche Meinung in Frankreich stellte sich auf die Seite von Jeanne in einem Prozess, der sich schnell zu einem unschönen Scheidungsprozess entwickelte. Die führenden Theologen der Zeit, Olivier Maillard und Jean Standonck, vertraten die Ansicht, dass Jeanne die wahre Königin sei, während Satiriker Ludwig XII. in Versen und Liedern verspotteten. Rechtsexperten in ganz Europa glaubten, dass Jeanne den Prozess gewinnen würde. Doch durch geheime diplomatische Bemühungen konnte Ludwig XII. die Annullierung der Ehe erwirken. Er besänftigte das Papsttum mit einem anti-milanesischen Bündnis und dem Versprechen, dem berüchtigten unehelichen Sohn von Papst Alexander VI. einen französischen Titel zu verleihen und ihn mit der Erbin Charlotte d'Albret zu vermählen. Jeanne hatte den Kampf verloren. Ludwig XII. verlieh Jeanne den Ehrentitel Herzogin von Berry und gab ihr die Mitgift zurück.

Von der Königin zur Heiligen: Jeannes Vermächtnis

Als Ludwig XII. 1499 Anne de Bretagne heiratete, zog sich Jeanne nach Bouges zurück, um eine aktive Rolle bei der Verwaltung des Herzogtums Berry zu übernehmen. Fernab vom königlichen Hof wurde Jeanne zunehmend religiös. Sie beantragte und erhielt 1501 die Genehmigung zur Gründung eines neuen religiösen Frauenordens – der Orden der Verkündigung der Heiligen Jungfrau Maria. Erst 1504 legte sie dort das Gelübde ab, da sie sich lange noch als Ehefrau Ludwigs XII. betrachtete. Jeanne starb 1505 und wurde mit allen Ehren beigesetzt. Die katholische Kirche sprach sie 1950 heilig. Kurz vor ihrem Tod bat Jeanne um ein letztes Porträt – eine Totenmaske aus Gips. Wenn man die Totenmaske von Jeanne betrachtet, ist man von ihrer Anmut und Gelassenheit beeindruckt. Sie erinnert an die modischen bronzenen Porträtmedaillen, Masken und Büsten des kroatisch-venezianischen Bildhauers Francesco Laurana, dessen Werke Jeanne aus erster Hand gesehen haben muss, als Laurana in Frankreich arbeitete.
Totenmaske von Jeanne de France, 1505.
Totenmaske von Jeanne de France, 1505. Schweizerisches Nationalmuseum / Musée du Louvre
Frauenbüste, die als posthumes Porträt von Eleonore von Aragon gilt, von Francesco Laurana, um 1471.
Frauenbüste, die als posthumes Porträt von Eleonore von Aragon gilt, von Francesco Laurana, um 1471. Wikimedia
Der französische Historiker Antoine de Lévis-Mirepoix bezeichnete Jeanne zu Recht als das «Aschenputtel der Valois». Geopfert auf dem Altar der berechnenden Politik und nahezu ständig gedemütigt, war das Leben von Jeanne zwar voller Prüfungen und Leiden. Doch trotzdem schaffte sie es, dass ihre Tapferkeit, Würde und Güte zu Lebzeiten im Frankreich der Renaissance grosse Bewunderung hervorriefen. Jeannes Totenmaske erinnert uns daran, dass körperliche Schönheit nicht annähernd so wichtig ist wie die intellektuellen, emotionalen und spirituellen Qualitäten eines Menschen.

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