
Eine Zeitung von Flüchtlingen für Flüchtlinge
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges erschien in der Schweiz eine Zeitung, die nicht öffentlich verbreitet werden durfte und dennoch im ganzen Land kursierte. Sie wurde in den Internierungslagern der Emigranten geschrieben.
Über die Grenzen war eine Zeitung von Flüchtlingen für Flüchtlinge. Das Blatt der Emigranten hing nirgends aus, war an keinem Kiosk erhältlich und dennoch im ganzen Land verbreitet. «Wir durften bis jetzt denken, was wir schreiben wollten; nun wollen wir schreiben, was wir denken», gibt ein – im Internierungslager Wallisellen arbeitender – Redaktor im November 1944 der ersten Ausgabe zum Geleit. Die Autorinnen und Autoren des Blattes waren über die ganze Schweiz verstreut, denn das System der Arbeits- und Internierungslager hatte die über 40’000 geduldeten, meist staatenlosen Flüchtlinge in alle Regionen und Täler des Landes verteilt.
So konnte das Bedürfnis, sich nach den stummen Jahren mit einer Zeitschrift einen geistigen Ausdruck zu verschaffen, Gestalt annehmen. Oder wie es die ersten Sätze auf der Titelseite der ersten Ausgabe formulierten: «Es dämmert, Schatten der Nacht weichen. Wege werden sichtbar.»
Spätere Kulturprominenz der DDR
Angesichts der prekären Perspektiven im zerstörten Europa konnte es nicht die Aufgabe der Redaktion sein, eine beschaulich literarische Zeitschrift herauszugeben. Es ging vor allem darum, das Selbstbewusstsein der Heimatlosen zu stärken und ihnen ein Forum im Hinblick auf ihre Zukunft zu schaffen. Doch Über die Grenzen war trotz der vielen Zuschriften, Rat gebenden Artikeln und kontrovers geführten Diskussionen viel mehr als das. «Es gelang eine politische und literarische Kultur sichtbar zu machen. Den heutigen Lesern ist es ein beeindruckendes Dokument über die Hoffnungen der Menschen am Ende des Krieges und ihrer Bereitschaft, an einer besseren Welt mitzuarbeiten», schreibt der deutsche Exilforscher Werner Mittenzwei in seinem Kommentar zum Faksimile-Neudruck der Zeitung, welcher 1988 erschienen ist.




