Die Himmelserscheinungen über Basel am 7. August 1566. Flugblatt von Samuel Apiarius und Samuel Coccius.
Die Himmelserscheinungen über Basel am 7. August 1566. Flugblatt von Samuel Apiarius und Samuel Coccius. Zentralbibliothek Zürich

Das Himmels­spek­ta­kel über Basel im Jahr 1566

Im Juli und August 1566 ereigneten sich über dem Himmel von Basel eine Reihe schillernder Himmelserscheinungen. Das Spektakel war so ungewöhnlich, dass es zu heftigen öffentlichen Diskussionen und zur Veröffentlichung eines Flugblatts führte, dessen Inhalt eine Eidgenossenschaft widerspiegelt, die mit tiefen sozialen Unruhen und religiösen Spannungen zu kämpfen hatte.

James Blake Wiener

James Blake Wiener

James Blake Wiener ist Historiker, Mitbegründer der World History Encyclopedia, Autor und PR-Spezialist, der in Europa und Nordamerika als Dozent tätig ist.

Webseite: worldhistory.org
Im Sommer 1566 wurden die Basler Bürgerinnen und Bürger von spektakulären Sonnenauf- und -untergängen und von etwas, das einer Luftschlacht zu ähneln schien, aufgeschreckt. Die merkwürdigen Sichtungen begannen, als sich ein schwach beleuchteter Sonnenuntergang am Abend des 27. Juli 1566 plötzlich zinnoberrot färbte. Nach einer totalen Mondfinsternis in der Nacht weckte ein blutiger Sonnenaufgang die besorgten Basler, als das Phänomen die Stadt am 28. Juli 1566 den ganzen Tag über in Rot tauchte. Nach einer scheinbaren Rückkehr zur Normalität tauchte am Morgen des 7. August 1566 ein neues Luftphänomen auf: feurige und schwarze kreisförmige Objekte in Form von Kanonenkugeln schienen sich in Schlachtformation zu begegnen, nur um sich im Nachmittagshimmel in Luft aufzulösen. Die Sichtungen lösten grosse Besorgnis und Spekulationen unter der Bevölkerung aus, die sich die Bedeutung des Geschehens nicht erklären konnte. Man vergisst oft, welche innere Unruhe und Verwirrung die Menschen im sechzehnten Jahrhundert spürten und diese auch zum Ausdruck brachten. Die theologischen Spaltungen, die zuerst von Luther gesät und später von Zwingli und Calvin kultiviert wurden, führten zu einem Europa, das von Ängsten zerfressen war. Die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern, Calvinisten, Anglikanern und Katholiken führten zu gegenseitigem Misstrauen und Hass, während jeder versuchte, durch Bekehrung, Diplomatie und Krieg die moralische und politische Oberhand zu gewinnen. Der Wandel des sozialen und kulturellen Bewusstseins in Europa als Folge der protestantischen Reformation und der katholischen Gegenreformation war tiefgreifend. Fragen der Lehre, des Heils und der Moral verlagerten sich aus den Kirchen und Kathedralen in das öffentliche Bewusstsein. Es war daher eine Zeit tiefer Besorgnis, die sich in Hexenprozessen, religiösen Verfolgungen und Massenvertreibungen sowie in der Angst vor einer islamischen Invasion aus der osmanischen Türkei oder den Raubzügen von Korsaren aus dem Maghreb äusserte. Protestantische Prediger und Geistliche schürten die religiösen Ängste und machten sich die Unsicherheiten ihrer Gemeinden zunutze, indem sie behaupteten, dass nur einige wenige Menschen die ewige Erlösung erhalten würden. Katholische Priester und religiöse Orden ermutigten ihre Anhänger, den inneren Glauben ganz und ohne Irrtum zu erforschen, um durch die Betrachtung der Passion Christi in spirituelle Ekstase zu gelangen. Es ist kein Wunder, dass europäische Chronisten im 16. Jahrhundert über Menschen schrieben, die zu «geistlichen Weinenden» wurden – Menschen, die durch das offene Eingeständnis der Sünde verwirrt und beunruhigt waren und in ihrem Leben kein Gefühl des Trostes oder der Gewissheit finden konnten.
Ein Geistlicher predigt zur Gemeinde. Holzschnitt von Jörg Breu, um 1525.
Ein Geistlicher predigt zur Gemeinde. Holzschnitt von Jörg Breu, um 1525. © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Andreas Diesend
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von den übernatürlichen Erscheinungen am Himmel über Basel mündlich von Ort zu Ort. Obwohl in den 1560er-Jahren ein gespannter Frieden zwischen Katholiken und Protestanten herrschte, fühlten sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Eidgenossenschaft, unabhängig von ihrer Religion, von einem Strudel religiöser und politischer Konflikte umgeben: Frankreich wurde durch einen zeitweiligen Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Hugenotten (1562-1598) zerrissen, während in den Niederlanden eine Welle des glühenden Bildersturms (1566) tobte. Iwan der Schreckliche erklärte sich selbst zur «Hand Gottes» und erlaubte das Abschlachten Unschuldiger während des Livländischen Krieges (1558-1583) und liess gleichzeitig die Oprichniki auf die Zivilbevölkerung im eigenen Land los (1565). Derweil bekämpften die Osmanen die Johanniter bei der Belagerung von Malta (1565) und verwüsteten grosse Teile Ungarns (1566). In solch unruhigen Zeiten hielten massenhaft produzierte Holzschnitte, Flugblätter und andere Druckschriftendie ängstlichen, unterdrückten und spirituell hungrigen Menschen auf dem Laufenden, während sie in allen Bereichen des Lebens nach Zeichen Gottes suchten.
Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden.
Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden. Zentralbibliothek Zürich
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Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden.
Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden. Zentralbibliothek Zürich
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Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden.
Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden. Zentralbibliothek Zürich
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Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden.
Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden. Zentralbibliothek Zürich
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Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden.
Flugblätter aus der Sammlung der Zentralbibliothek Zürich zeigen verschiedene Naturphänomene, die als göttliche Zeichen interpretiert werden. Zentralbibliothek Zürich
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Samuel Apiarus (1530-1590) – ein erfolgreicher, zwischen Bern, Basel und Solothurn umherziehender Drucker – spürte den Informationshunger und den Wunsch nach Erklärungen. So veröffentlichte er ein kleines, 18,2 mal 23,8 Zentimeter grosses Flugblatt, das an die aussergwöhnlichen Ereignisse in Basel erinnerte. Samuel Coccius (1548-1626), ein Künstler und Drucker aus Zürich, unterstützte Apiarius bei der Gestaltung des Blättchens. Da beide Männer jedoch selbst keine Augenzeugen der Ereignisse in Basel waren, stützten sich auf Quellen aus erster und zweiter Hand. Die Szene, die sie für den Abdruck gewählt haben, spiegelt die Ereignisse der dritten und letzten Sichtung wider. Man erkennt den unverwechselbaren Basler Münsterplatz und das Basler Münster. Die Zuschauer im unteren Drittel des Blattes wirken erstaunt und beunruhigt über die erstaunlichen Wunder, die sich über ihnen abspielen. Sowohl der Himmel als auch die Sonne sind von wirbelnden schwarzen und weissen Kugeln bedeckt. Besonders hervorzuheben ist die intensive und eigenwillige Sonne – ihre Strahlen sind wild und asymmetrisch, der Gesichtsausdruck verstört und streng.
Die Himmelserscheinungen über Basel am 7. August 1566. Flugblatt von Samuel Apiarius und Samuel Coccius.
Die Himmelserscheinungen über Basel am 7. August 1566. Flugblatt von Samuel Apiarius und Samuel Coccius. Zentralbibliothek Zürich
Begleitet wird die Illustration von einem knappen Text, der in seiner Tonalität ausdrücklich christlich ist. Treue und moralisch einwandfreie Gläubige werden ermahnt, die Phänomene über Basel als ein göttliches Zeichen zu betrachten, ähnlich den in der Bibel erwähnten Wundern. Diejenigen, die ein reines christliches Leben führen und frei von Sünde sind, haben in der Zeit des grossen Aufruhrs nichts zu befürchten, während die Sünder im Jenseits gerichtet werden sollen. Zur Zeit der Veröffentlichung des Flugblattes glaubten viele, das Phänomen symbolisiere die Notwendigkeit der Eidgenossen, nicht nur Busse zu tun, sondern auch Hilfe von Gott gegen die latente osmanische Bedrohung zu suchen.
Die Höllenqualen waren ein beliebtes Sujet in der sakralen Kunst, auch im 16. Jahrhundert. Darstellung der Hölle in Hans Memlings Triptychon «Das Jüngste Gericht», um 1470 (Ausschnitt).
Die Höllenqualen waren ein beliebtes Sujet in der sakralen Kunst, auch im 16. Jahrhundert. Darstellung der Hölle in Hans Memlings Triptychon «Das Jüngste Gericht», um 1470 (Ausschnitt). Wikimedia
Das von Apiarus und Coccius gedruckte Flugblatt entspricht dem Schema unzähliger Holzschnitte und Druckschriften, die im Europa der Frühen Neuzeit massenhaft gedruckt wurden. Zusammengenommen unterstreichen sie ein leidenschaftliches Interesse an unerklärlichen oder merkwürdigen Naturereignissen. Gemeinsame Themen sind rätselhafte Omen am Himmel, die Geburt missgebildeter oder missgestalteter Menschen und Tiere und andere unerklärliche, mysteriöse Ereignisse, die den Untergang der Menschheit, militärische Niederlagen oder göttliche Strafen vorhersagen. Das von Apiarus und Coccius geschaffene Flugblatt weist verblüffende Ähnlichkeiten mit einem Einblattdruck des deutschen Druckers Hans Glaser auf, der eine ähnliche Himmelserscheinung über Nürnberg am 14. April 1561 zeigt, sowie mit dem Ölgemälde «Vädersolstavlan» (schwedisch: «Das Nebensonnengemälde»), das die bizarren Ereignisse widerspiegelt, die sich am 25. April 1535 über Stockholm ereigneten, und einem englischen Holzschnitt, der den Fall eines grossen Meteoriten über Hatford am 9. April 1628 beschreibt. Alle diese Werke enthalten starke militaristische militaristische Symbolik, wodurch die himmlischen Erscheinungen durch die Linse des Krieges, des Bürgerkriegs oder des politischen Wandels präsentiert werden.
Die Himmelerscheinung in Nürnberg vom 14. April 1561. Flugblatt von Hans Glaser.
Die Himmelerscheinung in Nürnberg vom 14. April 1561. Flugblatt von Hans Glaser. Zentralbibliothek Zürich
Das älteste bekannte Bild von Stockholm von 1535 zeigt eine Himmelserscheinung, die mit jener in Nürnberg und Basel vergleichbar ist.
Das älteste bekannte Bild von Stockholm von 1535 zeigt eine Himmelserscheinung, die mit jener in Nürnberg und Basel vergleichbar ist. Stadtmuseum Stockholm
Die Geschichts- und Wissenschaftsforschung fragt sich jedoch immer noch, was genau das Himmelsereignis über Basel im Jahr 1566 verursacht hat. In den letzten Jahren haben einige spekuliert, dass die Ereignisse über Basel sogar einen ausserirdischen Ursprung haben könnten, aber die Mehrheit ist der Meinung, dass natürliche Phänomene die spektakulären Sichtungen verursacht haben. Meteoritenschauer, ein heller Meteor, Kometenbewegungen, eine Aurora Borealis, optische Täuschungen, die durch ungewöhnliche atmosphärische Bedingungen wie Saharastaub verursacht wurden, oder andere seltene astronomische Ereignisse, wie eine einzigartige Anordnung von Planeten, wurden als hypothetische Erklärungen vorgeschlagen.

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