Lokale Arbeiter und der in «kolonialem Weiss» gekleidete Aufseher auf einem Kakao Trockenplatz der Basler Missionshandelsgesellschaft in Accra im heutigen Ghana (1904/1905).
Lokale Arbeiter und der in «kolonialem Weiss» gekleidete Aufseher auf einem Kakao Trockenplatz der Basler Missionshandelsgesellschaft in Accra im heutigen Ghana (1904/1905). Mission 21, Bestand der Basler Mission

Kakao in Ghana: das Rätsel um den Zuchterfolg

Ghana ist der grösste Kakaoproduzent der Welt. Bis zur Unabhängigkeit des Staates an der Goldküste verdiente die Basler Mission am Kakaohandel mit. Sie war es, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine landwirtschaftliche Versuchsstation unterhielt und mit mehr oder weniger Erfolg versuchte, die Kakaopflanze zu kultivieren.

Pascale Meyer

Pascale Meyer

Historikerin und Kuratorin am Schweizerischen Nationalmuseum

Seit den 1830er-Jahren versuchen europäische Geschäftsleute entlang der Küste des heutigen Ghanas, damals die britische Kolonie Goldküste, sogenannte cash crops, wie Kaffee, Baumwolle, Erdnüsse oder Kakao anzubauen. Die Heimat des Kakao ist eigentlich Mittel- und Südamerika, nicht Afrika. Am Versuch, das Malvengewächs in Afrika zu kultivieren, beteiligt sich auch die in der Schweiz beheimatete Basler Mission. Aus einem Bericht von Missionar Josef Mohr von 1906 geht hervor, dass die Mission ab 1857 eine landwirtschaftliche Versuchsstation in Akropong unterhält. Missionar Johannes Haas experimentiert dort mit einheimischen und aus Surinam importierten Kulturpflanzen. Doch die Zucht will ihm nicht gelingen, ebenso wenig seinen Nachfolgern. Es ist ein Auf und Ab – immer wieder wüten Insekten und Würmer. Auch die Verstärkung aus der Heimat bleibt erfolglos: Johan Jakob Lang aus Witikon und später Johann Gottlieb Auer, ein Missionar und späterer Bischof der Amerikanischen Methodisten, schaffen es nicht, den Insekten und Würmern Einhalt zu gebieten. Immerhin gelingt es Auer kurz vor seiner Rückkehr 1868 vier «acres von Caffee und Kakao Plantagen» zu halten. Seine Nachfolger aber müssen alle aus gesundheitlichen Gründen in die Heimat zurückkehren – die Tropenkrankheiten setzen ihnen zu. 1870 brechen die Missionare schliesslich das Experiment ab. Sie können keine Europäer mehr für die Agriculture Station in Akropong rekrutieren und übergeben ihre Station den «Afrikanern», wie sie schreiben. Wer damit gemeint ist, bleibt unklar.
Frucht und Samen des Kakaobaums. Aus den getrockneten Kernen lässt sich Kakaomasse, dem Grundstoff der Schokolade, herstellen.
Frucht und Samen des Kakaobaums. Aus den getrockneten Kernen lässt sich Kakaomasse, dem Grundstoff der Schokolade, herstellen. Wikimedia
Doch die Geschichte der ghanaischen Kakaozucht endet hier nicht, denn jetzt kommt Tetteh Quarshie (1842-1892) ins Spiel. Er wird in Osu als Sohn eines Bauern namens Mlekuboi geboren. Laut den Aufzeichnungen der Basler Mission wird er von Missionar Heinrich Bohner aus der «Verpfändung» befreit und zum Schmied ausgebildet. Er wandert auf die Insel Fernando Po (heute die Insel Bioko im Golf von Guinea, damals eine spanische Kolonie) aus und arbeitet dort bis 1869. Bei seiner Rückkehr führt er im Gepäck einige Kakaosamen, die er unbemerkt ins Land bringt. In Mampong setzt er sie ein, und einige Setzlinge gedeihen. Er verkauft sie seinen Nachbarn, und so gelangen sie in die Hügel von Akwapim. Der Einstieg in die Zucht ist gelungen. Seither wird Tetteh Quarshie in Ghana als Volksheld verehrt. Der Erzählung nach hat er den Kakao ins Land gebracht und den Grundstein gelegt für das wichtigste Exportgut Ghanas. Sein Denkmal steht in Accra, es gibt das «Tetteh Quarshie Memorial Hospital» in Mampong-Akuapem und das «Tetteh Quarshie Cocoa Farm & Exhibition Centre». Doch wem wirklich der Erfolg der Zucht von Kakaobäumen gelingt, ist es der Basler Mission oder ihm, bleibt umstritten. Sicher ist, dass Quarshie, anders als die Missionare beim Setzen der Samen schon weiss, dass die Kakaobäume Schatten benötigen – bei den Missionaren standen sie an der prallen Sonne.
Denkmal für den Kakao-Pionier Tetteh Quarshie in Mampong, Ghana.
Denkmal für den Kakao-Pionier Tetteh Quarshie in Mampong, Ghana. Philipp Kessler
Doch Quarshie hat keinen Gewinn aus seinen Zuchterfolgen, so was wie Urheberrechte an Züchtungen ist noch unbekannt. Auch seinen Verwandten bleibt nichts. Vergebens bitten sie 1926 den Britischen Gouverneur Gordon Guggisberg um Unterstützung. Nach zwei Jahren werden der Familie schliesslich 250 Pfund gewährt – eine lächerliche Summe angesichts des enormen Gewinnes, den die britischen Handelsgesellschaften, aber auch die Basler Missionshandelsgesellschaft (BHG) erzielten. Diese war 1859 von den Verantwortlichen der Basler Mission gegründet worden und war nach dem Ersten Weltkrieg an der Goldküste unter dem Namen Union Trading Company (UTC) tätig. Zwar wird für Ghana der Kakaoanbau immer wichtiger, aber noch sind es vorrangig die Briten, die daran verdienen. Bereits 1911 wird die britische Kolonie zum grössten Kakaoproduzenten der Welt. Dennoch profitieren anscheinend auch viele Geschäftsleute, Chiefs und Kleinfarmer in Ghana selbst und gelangen zu Wohlstand. Der Basler Missionar Josef Mohr warnt 1906 aber: «Der Kakao ist ein Segen, aber sehr oft lautet unser Urteil anders, (…) wenn wir im Volk stehend und mit ihm lebend sehen, welch unheilvolle Folgen dieser Goldsegen auf unser leichtsinniges, leichtlebiges Volk ausübt, dann seufzen wir oft darunter». Er beklagt weiter die Abholzung des Urwaldes, die Gier der «Advokaten an der Küste», die Streitereien, die Prozesssucht sowie die «Verpfändung von Menschen, vor allem von Jugendlichen zur Gewinnung des Kakaos. Mit «Verpfändung» ist eine Art von Versklavung gemeint. Arme Eltern geben ihre Kinder gegen Geld für die Arbeit auf dem Feld her – eine Praxis übrigens, die auch in der Schweiz noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Beispiel im Tessin verbreitet war («spazzacamini»). Doch der Missionar beklagt nicht nur diese Menschenrechtsverletzungen, sondern auch den Mangel an Personal, zum Beispiel Dienstboten oder Lastenträger, «also Männer oder Weiber, die für die Missionare die Lebensmittel von Akra nach Akwapem tragen, bekommt man in Akropong überhaupt nicht mehr» – und dies alles wegen der Verlockung durch das «braune Gold».
Umschlagplatz für Kakao im heutigen Ghana
Umschlagplatz für Kakao im heutigen Ghana. Mission 21, Bestand der Basler Mission
Für die UTC ist der Handel mit Kakao äusserst lukrativ – bis 1937. Ab dann drückt das Kartell (der sogenannte Pool) der europäischen Handelsgesellschaften, dem auch die UTC angehört. Dadurch werden die Quoten und die Gewinne geringer. Für die ghanaischen Bauern ist das Kartell schädlich, es drückt die Preise und die aufstrebenden afrikanischen Kaufleute werden daran gehindert, Kakao in Eigenregie nach Europa zu verschiffen. Ab 1947 sind die goldenen Jahre definitiv vorbei: Das Gold Coast Cocoa Marketing Board verbietet ihnen weitere Geschäfte an der Goldküste zu tätigen. Langsam zieht sich die UTC aus dem Kakao Geschäft zurück – 10 Jahre vor der Unabhängigkeit Ghanas – und wendet sich anderen, für sie lukrativeren Handelsfeldern zu.
Schulwandbild zum Thema Kakaoanbau, zwischen 1900 und 1950.
Schulwandbild zum Thema Kakaoanbau, zwischen 1900 und 1950. Schweizerisches Nationalmuseum
Am 12. November 1957 beugt sich Notar Dr. Laurenz Zellweger in seiner Basler Kanzlei über eine Ansammlung von historischen Dokumenten aus dem Basler Missionsarchiv und beglaubigt diese: Er bestätigt, dass der Basler Mission in den Jahren von 1868 bis 1874 die Zucht von Kakao-Pflanzen gelungen sei. Warum sich die Basler Handelsgesellschaft die Zuchtversuche beglaubigen lässt, bleibt unklar. Ein Schreiben von Max Preiswerk, dem damaligen Präsidenten der UTC, geht der Beglaubigung voran, gibt aber ebenso wenig Aufschluss über die Motivation. Will etwa die UTC den Zuchterfolg (der Basler Mission notabene) für sich beanspruchen, um Boden gutzumachen, um Staatsaufträge (zum Beispiel im Bereich Automobilexporte) zu erhalten? Die Quellen geben keine Antwort auf diese Frage. Sicher ist, dass die UTC der Schweizer Schokoladenindustrie nach den beiden Weltkriegen das Überleben gesichert hat – dank der Rohstofflieferungen, denn sie war bis auf wenige Jahre die einzige Schweizer Firma, die an der Goldküste zur Kolonialzeit Kakao einkaufte. Und ebenso gesichert ist, dass das heutige Ghana im 20. Jahrhundert der weltgrösste Kakaoproduzent wird.

kolonial — Globale Verflech­tun­gen der Schweiz

13.09.2024 19.01.2025 / Landesmuseum Zürich
Ab dem 16. Jahrhundert waren Personen und Unternehmen aus der Eidgenossenschaft mit dem kolonialen System eng verflochten. Einzelne Schweizer Firmen sowie Privatpersonen beteiligten sich am transatlantischen Sklavenhandel und verdienten am Handel mit Kolonialprodukten und durch die Ausbeutung versklavter Menschen ein Vermögen. Schweizerinnen und Schweizer waren als Missionare auf der ganzen Welt unterwegs. Andere dienten, getrieben von Armut oder Abenteuerlust, als Söldner in europäischen Heeren, die koloniale Eroberungen machten und den Widerstand der indigenen Bevölkerungen bekämpften. Aber auch Fachleute aus der Schweiz stellten ihr Wissen in den Dienst der Kolonialmächte. An den Universitäten Zürich und Genf wurde zudem rassistisches Denken gelehrt, das international verbreitet wurde und der Legitimation des kolonialen Systems diente. Basierend auf neusten Forschungsresultaten, anhand von konkreten Beispielen und illustriert mit Objekten, Kunstwerken, Fotografien und Dokumenten bietet die Ausstellung im Landesmuseum Zürich erstmals einen umfassenden Überblick über die koloniale Verflechtungsgeschichte der Schweiz. Mit Aktualitätsbezügen geht sie ausserdem der Frage nach, was das koloniale Erbe für die Schweiz der Gegenwart bedeutet.

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