Hero-Konservendosen mit grünen Erbsen bzw. Kirschenconfiture aus der Zeit zwischen 1900 und 1938.
Hero-Konservendosen mit grünen Erbsen bzw. Kirschenconfiture aus der Zeit zwischen 1900 und 1938. Schweizerisches Nationalmuseum

Konser­vier­te Werte

Die Konservendose: Dieser kleine und unscheinbare Konsumgegenstand feierte in der aufstrebenden Konsumgesellschaft der 1950er-Jahre ihren Durchbruch. Die Werbung für die Dosen spiegelt den sozialen und kulturellen Wandel.

Chiara Jehle

Chiara Jehle

Chiara Jehle erforschte im Rahmen ihrer Masterarbeit in Geschichte die Konservenwerbung der Hero AG.

Der Franzose Nicolas Appert entwickelte die Konservendose Anfang des 19. Jahrhunderts. Es war Napoleon, der seine Erfindung vorantrieb. Für seine Armee braucht er haltbare Lebensmittel, weshalb er 1795 demjenigen ein Preisgeld von 12’000 Goldfranken versprach, der ein Verfahren zur Konservierung von Lebensmitteln entwickelte. Mit der Veröffentlichung seines Hitzesterilisationsverfahrens – damals noch «Appertisierung» genannt – erhielt Appert 1810 dieses Preisgeld. Für das Militär war die in den folgenden Jahrzehnten noch weiterentwickelte Konservendose gut geeignet. Die darin befindlichen Lebensmittel waren haltbar und dank ihrer Kompaktheit zudem leicht transportierbar. Auch im 20. Jahrhundert bewährte sich die Dose als Vorrat insbesondere in politisch unruhigen Zeiten. Während des Zweiten Weltkriegs forderte der Bund die schweizerische Bevölkerung dazu auf, Konservendosen für einen Notvorrat zu erwerben. Kurz: Die Konservendose brillierte in Krisensituationen. In der aufstrebenden Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit sanken die Absätze der Konservenindustrie dementsprechend. Viele Konservenherstellerfirmen in der Schweiz mussten ihre Produktion einstellen. Um marktfähig zu bleiben und sich gegenüber der Konkurrenz abzuheben, mussten sich die Herstellerfirmen an moderne Konsumbedürfnisse anpassen. Sowohl in der Produktpalette als auch in deren Vermarktung vollzogen sie entscheidende Veränderungen.
Die Hero Conservenfabrik in Lenzburg, 1931.
Die Hero Conservenfabrik in Lenzburg, 1931. ETH-Bibliothek Zürich
Besonders erfolgreich war die 1886 in Lenzburg gegründete Konservenherstellerfirma Hero. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Firma im Schweizer Markt gut etabliert. In der Nachkriegszeit konnte die Hero ihren Absatz dann nochmals beinahe verfünffachen. Neben Anpassungen an der Produktpalette änderte die Hero vor allem die Werbestrategie. Dabei reagierte das Lenzburger Unternehmen mit seinen Anpassungen auf soziale und kulturelle Veränderungen der Zeit.

Konser­vier­te Werte und Früchte

Zunächst bezog sich ein wesentliches Verkaufsargument der Konservenindustrie auf die saisonunabhängige Geniessbarkeit der Doseninhalte. Schon in den 1920er-Jahren versprach die Werbung eine von Jahreszeit und Saison losgelöste Ernährung dank Konserventechnologie. Zeitgleich kamen Hitzesterilisationsverfahren für die Privathaushalte zum Selbermachen auf. Ein Beispiel ist das noch heute bekannte Weck-Verfahren. Diese Verfahren, so beklagte der Verwaltungsrat der Hero am 6. Dezember 1950, hemmten den Absatz der Konservenindustrie. Den Grund für den Erfolg dieser Hitzesterilisationsverfahren für Privathaushalte sahen die Zeitgenossen bei den Hausfrauen. Heinrich Oswald, späterer Generaldirektor der Knorr-Nährmittel AG, äusserte sich beispielsweise im Frauenblatt vom 22.11.1963 über die Gewissensbisse, die Frauen verspüren würden, wenn sie vorverarbeitete Lebensmittel wie Konservendosen im Haushalt verwendeten:

Trotzdem glauben die Motivfor­scher in dieser Konsum­ver­la­ge­rung ein ‘schlech­tes Gewissen’ der Hausfrau heraus­zu­hö­ren, die sich in ihrem Herzen zu grösserer Eigenleis­tung verpflich­tet halte als zur blossen Aufberei­tung vorprä­pa­rier­ter Nahrungs­mit­tel für den Tisch.

Heinrich Oswald im Frauenblatt vom 22.11.1963
Eine Frau – so das damalige Ideal – sollte Hausfrau sein, sich um ihre Familie liebevoll kümmern und frisch für diese kochen. Der Konsum von industriell zubereiteten Nahrungsmitteln wie Konserven stand diesem Ideal diametral entgegen.
Broschüre mit Rezepten und Gebrauchsanweisungen für Produkte von Hero.
Broschüre mit Rezepten und Gebrauchsanweisungen für Produkte von Hero. Schweizerisches Nationalmuseum
Die Hero begegnete dem schlechten Gewissen der Hausfrauen mit neuer Werbung. Werbeanzeigen und Plakate, die sich an Hausfrauen richteten, sollten den Konservenkonsum legitimieren. Ein Beispiel dafür ist eine prominente Werbefigur der St. Galler Konservenfabrik, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg von der Hero übernommen wurde: Frau Erika. Frau Erika, so suggerierten die Werbeplakate der 1950er-Jahre, ist die perfekte Hausfrau. Sie kümmert sich hingebungsvoll um ihren Mann und ihre Kinder und sieht dabei noch stets gut aus. Die Zubereitung von Konserven macht Erika dabei zu einer noch besseren, modernen Hausfrau. Dank Konserventechnologie ist sie jederzeit für unangekündigten Besuch vorbereitet – schliesslich kann sie dank Konserven ein schnelles Essen auf den Tisch zaubern. Zudem spart Erika durch die Zubereitung von Konserven Zeit ein, um anderen häuslichen Pflichten gerecht zu werden.
Frau Erika kümmert sich in der Werbung von 1954 dank Konserven sowohl um ihr Säugling als auch um den Rest der Familie.
Frau Erika kümmert sich in der Werbung von 1954 dank Konserven sowohl um ihr Säugling als auch um den Rest der Familie. Museum Burghalde, Sammlung Hero
In der Werbung von 1954 kümmert sich Frau Erika gerade um ihr Neugeborenes. Sie lächelt das vor ihr liegende Kind glücklich an. Und dies, so verdeutlicht der Werbetext, obwohl die Säuglingspflege teuer und zeitintensiv ist. «kaum weiss die junge Mutter mehr, wann sie für das leibliche Wohl der übrigen Familie noch sorgen soll», heisst es. Die St. Galler Ravioli versprechen die Lösung: Die Hausfrau, die Frau Erika sinnbildlich verkörpert, spart dank Konservenkonsum Zeit für ihr Neugeborenes und kann ihre Familie trotzdem abwechslungsreich bekochen. In den 1950er-Jahren waren es vor allem Frauen, die in den Haushalten die Kaufentscheidungen trafen. Auch die Zubereitung von Mahlzeiten fiel traditionell in den Aufgabenbereich der Frau. Trotzdem wollte die Hero ihren Kundenkreis auch auf Personen ausweiten, die wenig, bis keine Erfahrung im Kochen hatten. Die Ravioli-Werbekampagne von 1956 richtete sich damit gezielt an eine neue Konsumentengruppe: Personen, welche die einfache Zubereitung der Konserveninhalte als ausschlaggebendes Kaufargument ansehen könnten.
In Abwesenheit seiner Frau versucht sich der Herr Professor in der Werbung von 1956 im Aufwärmen von Konserven-Ravioli.
In Abwesenheit seiner Frau versucht sich der Herr Professor in der Werbung von 1956 im Aufwärmen von Konserven-Ravioli. Museum Burghalde, Sammlung Hero
Ein Beispiel dafür ist das Werbeplakat von 1956, das den Kauf von Konserven für (vorübergehend) alleinstehende Männer bewarb. Laut Werbetext ist der «Herr Professor» ein «Strohwitwer», seine Frau ist also gerade nicht da. Deshalb ist er mit einem «Koch-Problem» konfrontiert: Er muss sich selbst eine Mahlzeit zubereiten. An der Darstellung wird schnell deutlich, dass der Professor ein ungeübter Koch ist. Er versucht eine Konservendose auf dem Herd zu erwärmen. Anstatt den Inhalt in den Topf umzuschütten, stellt er allerdings die geschlossene Dose direkt in den Topf. Sein Blick richtet sich fragend an den Betrachtenden der Werbeanzeige. Und trotzdem verkündet er entschlossen: «Heute koche ich selber!»

Der Italien-Urlaub aus der Dose

Die Hero griff allerdings nicht nur soziale, sondern auch kulturelle Trends auf, um Konserven zu vermarkten. Mit der Erfindung der Konservendose wurde es möglich, nicht heimisches Obst oder Gemüse zu importieren. Ein populäres Beispiel dafür ist die Ananas aus der Dose. Wenn auch schon früher konserviert, fand die Dosenananas ihre Verbreitung erst in den 1950er-Jahren. Es war der deutsche Fernsehkoch Clemens Wilmenrod, der die Dosenananas mit seinem Rezept Toast Hawaii populär machte. Es soll die Mischung aus dem altbekannten Toast mit Käse und dem Akzent der fremden Ananas gewesen sein, die dem Rezept und damit der Dosenananas zu ihrem Erfolg verhalf. Der Hero gelang der Durchbruch fremder Konserveninhalte in den 1950er-Jahren nicht durch Ananas, sondern durch Ravioli. Die Hero-Ravioli hatte die Konservenherstellerfirma schon seit 1948 im Sortiment. Zum Kassenschlager wurden sie aber erst, als sie in der Mitte der 1950er-Jahre als italienische Spezialität vermarktet wurden. Das hing damit zusammen, dass sich ab 1950 immer mehr Schweizerinnen und Schweizer einen Urlaub im benachbarten Italien leisten konnten. Die dort gesammelten Erinnerungen verknüpften sie mit italienischem Essen.
Onkel Otto erinnert sich in der Werbung von 1956 beim Hero-Ravioli-Essen an den zurückliegenden Urlaub in Italien.
Onkel Otto erinnert sich in der Werbung von 1956 beim Hero-Ravioli-Essen an den zurückliegenden Urlaub in Italien. Museum Burghalde, Sammlung Hero
Die Verknüpfung der Hero-Ravioli mit dem Urlaub in Italien zeigt sich besonders eindrucksvoll im Werbeplakat aus dem Jahr 1956. Im Mittelpunkt des Plakats steht die Figur Otto. Otto, so der Werbetext, kocht sich jeden Sonntag etwas Besonderes. An diesem Sonntag ist es ein Teller Hero-Ravioli. Die Ravioli, so suggeriert die Werbung, sind deshalb so besonders, weil sie Otto an seinen Urlaub in Italien erinnern. In der Ecke des Plakats ist Ottos Erinnerung abgebildet. Mit der Pfeife in der Hand sitzt er in einem Restaurant an einer italienischen Bucht und lässt sich von einer Frau bedienen. Übrigens: In den nächsten Jahren folgten auf die Ravioli noch weitere italienische Produkte, Ende der 1960er-Jahren dann sogar eine Art indisches Curry. Damit stehen die Hero-Konserven und deren Vermarktung in den 1950er-Jahren sinnbildlich für eine neue Konsumgesellschaft. Vom praktischen, militärischen Gebrauchsgegenstand bis hin zum Symbol für eine moderne und schnelle Essenszubereitung fügte sich die Konservendose in die Bedürfnisse und Ideale der Zeit. Die Rolle der Hausfrau und damit zusammenhängend die Kochkompetenz des Mannes wurden ebenso verhandelt wie das mit dem aufstrebenden Wohlstand zunehmende Fernweh der Schweizerinnen und Schweizer. Die Konservendose ist damit mehr als nur Konserviertes – sie ist ein Spiegel gesellschaftlichen Wandels.

Konsum­wel­ten. Alltäg­li­ches im Fokus

20.12.2024 21.04.2025 / Landesmuseum Zürich
Ob an Märkten, im Warenhaus oder online: Wo und wie wir einkaufen, hat sich in den letzten 170 Jahren stark verändert. Und auch das Konsumieren selbst befindet sich in ständigem Wandel. Die Ausstellung schöpft aus den Foto- und Grafikbeständen der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums und zeigt eine vielschichtige und abwechslungsreiche Bildwelt mitten aus dem Alltag.

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