Fotoreporter Eric Bachmann beim Fotografieren an einer Demonstration in Zürich 1968. Unbekannter Fotograf.
Fotoreporter Eric Bachmann beim Fotografieren an einer Demonstration in Zürich 1968. Unbekannter Fotograf. Eric Bachmann Archiv

Eric Bachmann und die Globuskrawalle

Mit seinen Bildern und Sujets prägte der Fotograf Eric Bachmann (1940-2019) die Wahrnehmung zahlreicher Ereignisse der jüngeren Schweizergeschichte. Von herausragender Bedeutung ist seine Dokumentation der Zürcher Globuskrawalle 1968, welche Information und Ästhetik in einzigartiger Weise zu verbinden vermochte.

Manuel Walser

Manuel Walser

Manuel Walser ist Historiker und Archäologe. Er arbeitet als wissenschaftlicher Projektleiter bei der Kantonsarchäologie Zürich.

Eric Bachmann war noch keine 30 Jahre alt, als sich der kulturelle Hitzestau in der Limmatstadt 1968 allmählich zu entladen drohte. Der junge Zürcher arbeitete zu dieser Zeit als freier Fotograf und belieferte verschiedene Redaktionen und Verlagshäuser mit Bildmaterial. Das Handwerk hatte er während seiner Lehre im Fotostudio von Hans Meiner, Sohn des legendären Bürgerfotografen Johannes Meiner, erlernt. Kurz darauf fand er Arbeit beim noch jungen Schweizer Fernsehen, doch der Sinn stand ihm mehr nach Abenteuer und Freiheit als nach einer sicheren Festanstellung. Er kündigte und reiste für Reportagen nach Fernost und Afrika. 1966 heuerte er gar als Fotograf auf dem Expeditionsschiff des Schweizer Abenteurers Olivier Gonet an, der das Rote Meer und seine faszinierende Unterwasserwelt erforschte. Ebenso aussergewöhnlich: Bei einer Reise in die Tschechoslowakei 1966 blickte er erstmals hinter den Eisernen Vorhang und besuchte im darauffolgenden Jahr mit Jugoslawien und Albanien zwei weitere kommunistische Staaten. Der Besuch im von ethnischen Spannungen zerrissenen Zypern, war schliesslich sein erster in einem Konfliktgebiet.
Eric Bachmann am Set des Schweizer Fernsehens. Unbekannter Fotograf.
Eric Bachmann am Set des Schweizer Fernsehens. Unbekannter Fotograf. Eric Bachmann Archiv
Ein ungewöhnliches Reiseziel für einen Schweizer 1967: das kommunistische Albanien. Foto von Eric Bachmann.
Ein ungewöhnliches Reiseziel für einen Schweizer 1967: das kommunistische Albanien. Foto von Eric Bachmann. Eric Bachmann Archiv
Während Bachmann die Welt bereiste und sein fotografisches Auge schulte, nahmen die gesellschaftlichen Spannungen weltweit zu. In den Vereinigten Staaten wuchs die Bürgerrechtsbewegung und der Widerstand gegen den Vietnamkrieg nahm immer grössere Ausmasse an. Der Krieg erregte die Gemüter weit über die US-Grenzen hinaus. Insbesondere in den vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Gesellschaften bildete sich Widerstand. In Japan, Deutschland oder Frankreich kam es im Zuge von Antikriegsdemonstrationen immer häufiger zu gewalttätigen Zusammenstössen zwischen Polizei und Demonstrierenden. In der Schweiz rechnete derweil niemand mit solchen Zuständen. Die Offiziere der Zürcher Stadtpolizei nahmen sie zwar zur Kenntnis, fragten sich aber nicht, ob so etwas auch hierzulande möglich wäre. Den wenigen mahnenden Stimmen wurde kein Gehör geschenkt. Eine Offerte, die ein deutscher Wasserwerferhersteller nach den ersten Studentenunruhen in Deutschland bei der Stadtpolizei deponierte, wurde ausgeschlagen. Ebenso eine zweite nach den «Hallenstadion-Krawallen» im Frühjahr 1968. Aber auch über Zürich braute sich ein gewaltiges Gewitter zusammen. Denn ein weiterer Auslöser für die gesellschaftlichen Spannungen der 1960er-Jahre, von dem auch die Schweiz nicht verschont bleiben sollte, lag im tiefgreifenden Wandel im kulturellen Bereich: dem Siegeszug der Popkultur.
Ein Konzertbewilligungsgesuch für die Rolling Stones wurde von den Behörden1965 verschleppt. Als daraufhin das Gesuch für ein Konzert der Kinks einging, stellte sich einem Polizeioffizier die Frage, ob der ordnungspolizeiliche Einsatz für die Veranstaltung angesichts ihrer «kulturellen Bedeutungslosigkeit» gerechtfertigt sei. Foto von Eric Bachmann.
Ein Konzertbewilligungsgesuch für die Rolling Stones wurde von den Behörden 1965 verschleppt. Als daraufhin das Gesuch für ein Konzert der Kinks einging, stellte sich einem Polizeioffizier die Frage, ob der ordnungspolizeiliche Einsatz für die Veranstaltung angesichts ihrer «kulturellen Bedeutungslosigkeit» gerechtfertigt sei. Foto von Eric Bachmann. Eric Bachmann Archiv
Seit den ausgehenden 1950er-Jahren berichteten Medien in Westeuropa von einem «Jugendproblem», wobei insbesondere das Konsumverhalten nach amerikanischem Vorbild sowie die zunehmende Individualisierung der Jugendlichen befremdete und als Gefahr für die Gesellschaft wahrgenommen wurde. Nicht nur in der DDR, wo die Partei im Dezember 1965 alle Importe westlicher Beatmusik, Auftritte westlicher Bands und deren Nachahmung verbot, sondern auch in Zürich führten die Behörden einen aktiven Kampf gegen die wachsende Jugendkultur. So wurden zum Beispiel Konzertbewilligungen mit einem Passus ergänzt, der Beat- und Blues-Bands in hiesigen Lokalen verbot und Exponenten der Stadtpolizei versuchten Konzerte grosser Beatbands, etwa im Hallenstadion oder auf der Allmend, zu verhindern. Nicht ohne Grund beklagte sich ein Konzertveranstalter 1965 im Blick, dass ein regelrechter Beat-Krieg herrsche und tatsächlich: Der Chef der Lärmbekämpfungsstelle der Stadtpolizei schrieb in einem internen Bericht, es wäre angezeigt, «diese Beatles-Musik in allen Lokalen zu verbieten!» Für die meisten Behördenmitglieder war klar: Popkultur ist entsittlichend und gefährlich. So wurde teils ohne rechtliche Grundlage gegen Jugendlokale und popkulturelle Phänomene vorgegangen, im vollen Wissen darum, dass man zu den wachsenden Spannungen beitrug. Ein ranghoher Vertreter der Stadtpolizei prophezeite bereits 1963, dass es bei den Jugendlichen «schon bedenklich brodelte».
Eric Bachmann macht sich auch als Peoplefotograf einen Namen. 1965 verbringt John Lennon seine Winterferien in St. Moritz und gerät Bachmann am Flughafen Zürich-Kloten vor die Linse.
Eric Bachmann macht sich auch als Peoplefotograf einen Namen. 1965 verbringt John Lennon seine Winterferien in St. Moritz und gerät Bachmann am Flughafen Zürich-Kloten vor die Linse. Eric Bachmann Archiv
Eric Bachmanns Portfolio umfasste Mitte der 1960er-Jahre sämtliche Aspekte der professionellen Fotografie. Neben Reise- und Reportagebildern machte er sich auch als Peoplefotograf einen Namen. In den Studios des Schweizer Fernsehens begleitete er TV-Moderator Mäni Weber oder Sängerin Heidi Brühl hinter die Kulissen, fotografierte aber auch bei den Aufnahmen der Popmusiksendung Hits à Gogo. Im Spannungsfeld zwischen bürgerlichem Mainstream und jugendlicher Popkultur bewegte er sich bemerkenswert geschickt. Stets am Puls der Zeit gelang es ihm, die kulturellen Umbrüche auf aussergewöhnliche Weise zu dokumentieren. Seinen eigenen kulturellen Vorlieben folgend fotografierte er anfangs der Dekade an Konzerten der amerikanischen Jazzlegenden Count Basie, Erroll Garner und Ella Fitzgerald, später dann bei den einflussreichen Beat- und Rockbands Rolling Stones, Jimi Hendrix Experience oder Small Faces. Für Illustrierte und den Boulevard knipste er derweil Stars wie John Lennon oder Gina Lollobrigida, womit er deren Weltruhm auch hierzulande in die Stuben trug. 1968 gelang es ihm schliesslich, wovon viele Fotografinnen träumen: ein Bild für die Geschichtsbücher aufzunehmen.
Solidaritäsbekundungen für Rudi Dutschke und Benno Ohnesorg im Frühjahr 1968. Dahinter das Globus-Provisorium bei der Bahnhofbrücke. Foto von Eric Bachmann.
Solidaritäsbekundungen für Rudi Dutschke und Benno Ohnesorg im Frühjahr 1968. Dahinter das Globus-Provisorium bei der Bahnhofbrücke. Foto von Eric Bachmann. Eric Bachmann Archiv
Das Epochenjahr 1968 markierte vielerorts den Höhepunkt der gesellschaftlichen Krise. Im Frühling führte ein Attentat auf den Linksaktivisten Rudi Dutschke zu gewalttätigen Ausschreitungen in deutschen Städten. In Paris besetzten Studierende die Universität Sorbonne und es kam zu Strassenschlachten, während sich die Stimmung vor allem im Jahr 1967 auch in Zürich stark aufgeladen hatte. Nach dem Konzert der Rolling Stones vor rund 12'000 Zuschauern im Hallenstadion kam es zu einem rigorosen Polizeieinsatz, weil Konzertbesucher die aufgestellten Klappstühle zertrümmert hatten. Etwas mehr als ein Monat später wurde im Amthaus IV beschlossen, dass alle 34 bekannten privaten Musikclubs geschlossen würden. So verlieh die Stadtpolizei der bereits bestehenden Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum noch mehr Dringlichkeit. Das Fass zum Überlaufen brachte dann ein erneuter gewalttätiger Polizeieinsatz am letzten Maiwochenende 1968. Nach dem Konzert der Jimi Hendrix Experience im Hallenstadion stürmten mehr als 100 Polizisten die Halle und trieben die Menge mit Knüppeln ins Freie. Es kam zu Ausschreitungen mit mehreren Verletzten sowie anschliessenden Demonstrationen gegen das repressive Vorgehen der Stadtpolizei. Die Demonstrierenden besetzten kurzerhand das leerstehende Globus-Provisorium und stellten dem Stadtrat ein Ultimatum: Bis zum 1. Juli sollte ein Jugendzentrum zur Verfügung gestellt werden, andernfalls würde das Globus-Provisorium erneut besetzt und zu einem Kultur-, Gesellschafts- und Freizeitzentrum ausgebaut. Der Stadtrat ging nicht auf das Ultimatum ein und so entlud sich das gesellschaftspolitische Gewitter am 29. Juni 1968. Die Jugendlichen traten an, das Globus-Provisorium zu besetzen. Die Stadtpolizei erhielt den Auftrag, dies zu verhindern.
NZZ Format zum Frühling der Revolte. Erinnerungen an Mai 1968 mit Eric Bachmann (2018). NZZ Format / YouTube
Eric Bachmann hatte gerade einen Auftrag in Venedig abgeschlossen und fuhr mit dem Zug in den Zürcher Hauptbahnhof ein. Schon beim Aussteigen hörte er die Megafone. Er beschloss, nicht nach Hause zu gehen, sondern die Kamera gleich wieder auszupacken. Die ganze Nacht fotografierte er und wurde dabei ebenfalls zum Ziel der Knüppel. Trotzdem gelangen ihm Aufnahmen, welche die Wahrnehmung jener schicksalshaften Nacht für immer prägen würden. Mehrere seiner Fotos schafften es auf die Titelseiten von Tageszeitungen und Illustrierten. Sein kraftvollstes Foto entstand auf der Bahnhofbrücke. Es zeigt, wie sich zwei geschlossene Fronten gegenüberstehen: Auf der einen Seite die Verteidiger von Ruhe und Ordnung, auf der anderen die «Rebellion der Jugend».
Zürcher Stadtpolizisten sperren am Abend des 29. Juni 1968 die Bahnhofbrücke. Gegenüber stehen rund 2000 Personen, die für die Einrichtung eines autonomen Jugendzentrums im Globusprovisorium demonstrieren. Die Aufnahme von Eric Bachmann wurde rund zehn Jahre später von der Fotografin Barbara Davatz von Hand koloriert.
Zürcher Stadtpolizisten sperren am Abend des 29. Juni 1968 die Bahnhofbrücke. Gegenüber stehen rund 2000 Personen, die für die Einrichtung eines autonomen Jugendzentrums im Globusprovisorium demonstrieren. Die Aufnahme von Eric Bachmann wurde rund zehn Jahre später von der Fotografin Barbara Davatz von Hand koloriert. Schweizerisches Nationalmuseum / Eric Bachmann Archiv
Das Bild erschien kurz darauf in der schwarzweiss gedruckten National-Zeitung und der sozialistischen Vorwärts. Knapp zehn Jahre später verlieh ihm Barbara Davatz mit Eiweisslasur seinen unverkennbaren Pop-Art-Stil, der ihm auch künstlerisch den Geist der Sixties einhauchte. In dieser Form erschien das ikonische Bild in Zeitschriften, Büchern und wurde an Kunstausstellungen präsentiert. Weil der Originaldruck unauffindbar ist, wurde im Auftrag des Eric Bachmann Archivs 2024 ein Neudruck veröffentlicht und ein Exemplar in die Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums aufgenommen.

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