1994 pflegte der Bundesrat einen regen Kontakt mit dem afrikanischen Kontinent. Illustration von Marco Heer.
1994 pflegte der Bundesrat einen regen Kontakt mit dem afrikanischen Kontinent. Illustration von Marco Heer.

Das «Afrika­jahr» des Bundesrats

Wie nie zuvor bereisten im Jahr 1994 Bundesräte und Chefbeamte den afrikanischen Kontinent. Die Kontakte zu Côte d’Ivoire, Südafrika und Ruanda werfen ein Licht auf die vielfältigen Verbindungen zur Schweiz.

Flurina Felix

Flurina Felix

Flurina Felix ist Historikerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis).

Ende Oktober 2025 finden in Côte d’Ivoire Präsidentschaftswahlen statt. Ein prominenter Kandidat wäre auch Tidjane Thiam gewesen. Doch der Kandidat der Demokratischen Partei der Elfenbeinküste war im Frühling wegen seiner Doppelbürgerschaft, er ist auch Franzose, von der Wahl ausgeschlossen worden. In der Schweiz ist Thiam kein Unbekannter. Von 2015 bis 2020 stand er als CEO an der Spitze der ehemals zweiten Schweizer Grossbank. Unter seiner Ägide fuhr die Credit Suisse Milliardenverluste ein und wurde von Skandalen erschüttert. 2021 verliess Thiam seine Villa in Herrliberg (ZH) und kehrte in die Elfenbeinküste zurück, um an den anstehenden Wahlen teilzunehmen.
TV-Beitrag über den Abgang von Tidjane Thiam bei der Credit Suisse. SRF
Thiam stammt aus einer einflussreichen ivorischen Politikerfamilie. Sein Grossonkel Félix Houphouët-Boigny war der erste Präsident der unabhängigen Côte d’Ivoire, welcher das Land als Vorsitzender der Demokratischen Partei 33 Jahre lang – von 1960 bis zu seinem Tod im Dezember 1993 – regiert hatte. Auch Houphouët-Boigny, in Côte d’Ivoire zärtlich «Le Vieux» genannt, pflegte zeitlebens ein enges, wenn auch diskretes Verhältnis zur Schweiz. Er besass ein Anwesen in Genf und bewahrte erklärterweise auch einen Teil seines Vermögens bei Schweizer Banken auf. Ein letztes Mal reiste er im November 1993 kurz vor seinem Tod unter dem Pseudonym Félix Konan in die Schweiz ein und liess sich in einer Privatklinik oberhalb des Genfersees behandeln. Nach einer Operation in Paris starb er am 7. Dezember 1993 in Yamoussoukro, seinem Herkunftsort, den er einige Jahre zuvor zur politischen Hauptstadt der Côte d’Ivoire erklärt hatte.
Im Juni 1983 besuchten Félix und Marie-Thérèse Houphouët-Boigny das Weisse Haus in Washington. Empfangen wurden sie vom US-Präsidentenpaar Ronald und Nancy Reagan.
Im Juni 1983 besuchten Félix und Marie-Thérèse Houphouët-Boigny das Weisse Haus in Washington. Empfangen wurden sie vom US-Präsidentenpaar Ronald und Nancy Reagan. Wikimedia
Dort stiftete Houphouët-Boigny die Basilika Notre-Dame-de-la-Paix de Yamoussoukro, eine gewaltige, dem Petersdom in Rom nachempfundene Kathedrale. Als surreal und kitschig beschrieb der schweizerische Botschafter in Abidjan den Sakralbau anlässlich dessen Einweihung im Jahr 1990, «wie eine Filmkulisse auf einem verlassenen, staubigen Grundstück am Rande der Stadt, unweit der Viehherden, die es bewundern sollten». In dieser Kathedrale fanden am 7. Februar 1994 die nationalen Begräbnisfeierlichkeiten für Félix Houphouët-Boigny statt. Mit dabei an der Beisetzung des «Vieux» war auch ein prominenter Gast aus der Schweiz, der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz. Dieser schrieb in einem sichtlich bewegten und literarisch anmutenden Bericht an den Gesamtbundesrat über die opulenten Feierlichkeiten: «Les lieux: bien sûr, la Basilique de Yamoussoukro, œuvre du défunt. Monumentale, la plus grande du monde, en dehors de tous lieux habités, mais d’une grande harmonie intérieure et extérieure […] La cérémonie: belle, considérable, à certains égards génialement inspirée, à d’autres égards mal maîtrisée quant à l’organisation: elle a réellement commencé avec deux heures de retard... Et elle a duré le double du temps prévu!» Das klingt sogar auf Deutsch romantisch: «Die Orte: natürlich die Basilika von Yamoussoukro, ein Werk des Verstorbenen. Monumental, die grösste der Welt, abseits aller bewohnten Orte, aber von grosser innerer und äusserer Harmonie […] Die Zeremonie: schön, beeindruckend, in mancher Hinsicht genial inspiriert, in anderer Hinsicht organisatorisch schlecht gemeistert: Sie begann tatsächlich mit zwei Stunden Verspätung... Und sie dauerte doppelt so lange wie vorgesehen!»
Die Basilika von Yamoussoukro ist dem Petersdom in Rom nachempfunden.
Die Basilika von Yamoussoukro ist dem Petersdom in Rom nachempfunden. Wikimedia / Jcaseru
Seit der legendären Westafrika-Reise von Pierre Aubert 1979 hatte kein Bundesrat mehr Côte d’Ivoire besucht. Dass im Herbst 1994 mit dem Vorsteher des EDA, Flavio Cotti, gleich ein zweiter Bundesrat in die Elfenbeinküste reiste, kam für die bisher guten, aber eher bescheidenen bilateralen Beziehungen der Schweiz mit dem westafrikanischen Staat einer kleinen aussenpolitischen Sensation gleich. Auf seiner Reise besuchte Cotti neben der Côte d’Ivoire und Burkina Faso auch Südafrika und leitete die regionale Botschafterkonferenz in Kapstadt, für die zahlreiche Schweizer Botschafter in den Ländern des südlichen Afrikas angereist waren.

Die ersten demokratischen Wahlen und das Ende der Apartheid in Südafrika weckten beim Bundesrat grosse Hoffnungen auf politische Stabilisierung und wirtschaftlichen Aufschwung der gesamten Region. Am 10. Mai 1994 nahm Bundespräsident Otto Stich neben einer Vielzahl von internationalen Gästen an der Amtseinsetzung des südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela teil. Die Schweiz hatte auch mit dem Apartheid-Regime enge Beziehungen gepflegt und während Jahrzehnten trotz internationaler Kritik Handel auf dem Niveau des courant normal betrieben. Nach dem demokratischen Wandel Südafrikas konnte der Bundesrat aufatmen und die bilateralen und wirtschaftlichen Beziehungen sukzessive ausbauen.
Bundesrat Pierre Aubert besuchte 1979 auch die Côte d'Ivoire.
Bundesrat Pierre Aubert besuchte 1979 auch die Côte d'Ivoire. Reto Hügin © StAAG/RBA13-RC00111-7_122
Doch 1994 drängte sich Afrika auch mit tragischen Schlagzeilen ins politische Bewusstsein der Schweiz: Der Völkermord in Ruanda, einem Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit, erschütterte Regierung, Verwaltung und Öffentlichkeit gleichermassen. Bundesrat Cotti fehlten die Worte: «Das wenige, was gesagt werden kann, ist, dass das Grauen der in diesem Land nach dem 6. April 1994 geschehenen Vorgänge mich, wie den Gesamtbundesrat, schwer getroffen hat», schrieb er in einem Brief an Amnesty International Schweiz. Die Entwicklungszusammenarbeit wurde eingestellt und das Geld stattdessen für humanitäre Hilfsaktionen verwendet.
Die drei Besuche der Bundesräte Delamuraz, Cotti und Stich von 1994 auf dem afrikanischen Kontinent sind aussergewöhnlich für diese Zeit. Zudem leitete EVD-Staatssekretär Franz Blankart im Sommer zwei gemischte Wirtschaftsdelegationen in die senegalesische und die ivorische Hauptstadt und nutzte die Gelegenheit, bilaterale Entschuldungsabkommen zu unterzeichnen. Damit rückte Westafrika vermehrt ins Interesse der Aussenwirtschaft: «Meine Reise nach Dakar, wie jene nach Abidjan, situiert sich in ein BAWI-Programm der bewusst intensiveren Beschäftigung mit Afrika», so Blankart. Dies entspreche der «vollendeten Überzeugung» des Bundesamts für Aussenwirtschaft, «that we must put Africa back to [sic] the map».

Gemeinsame Forschung

Der vorliegende Text ist das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Nationalmuseum und der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis). Die vollständigen Dokumente zu Pierre Auberts Westafrika-Reise von 1979 finden sich hier.

Weitere Beiträge