Die brennende Farnsburg bei Ormalingen BL in einer undatierten Gouache von J. J. Ketterlin (Ausschnitt)
Im Zuge der Franzoseneinfälle und der Helvetischen Revolution zünden Aufständische im Kanton Basel mittelalterliche Burgen an, die den Landvögten als Amtssitz dienten. Im Bild die brennende Farnsburg bei Ormalingen BL in einer undatierten Gouache von J. J. Ketterlin (Ausschnitt). Archäologie und Museum Baselland Liestal

Vandalis­mus als politi­sches Instru­ment in der Helvetik

Der Franzoseneinfall vor 225 Jahren brachte unserem Land nicht nur grösste politische Umwälzungen, sondern auch Tod und Zerstörung. Spuren des damaligen Vandalismus an Kulturgütern sind heute noch sichtbar.

Benno Schubiger

Benno Schubiger

Benno Schubiger ist freischaffender Kunsthistoriker und Museologe in Basel und publiziert vorwiegend zu Themen des Barocks und des Historismus.

Wer sich für Schweizer Geschichte interessiert, begegnete 2023 immer wieder dem 175-Jahr-Jubiläum der Gründung des heutigen Bundesstaates 1848. Ein anderes historisches Ereignis exakt 50 Jahre zuvor trat dabei fast ganz in den Hintergrund: die Schaffung der Helvetischen Republik in Folge des Franzoseneinfalls von 1798. Die damit verbundenen revolutionären Prozesse, welche die Dreizehnörtige Eidgenossenschaft in den zentralistischen Einheitsstaat der sogenannten Helvetik überführten, waren für unser Land nicht weniger einschneidend als jene von 1848. Aber «1798» konnte der Schweiz keine anhaltende Stabilität bringen. Bereits nach fünf Jahren, 1803, wurde der Zentralismus der Helvetik durch den Föderalismus der sogenannten Mediation abgelöst – eine modifizierte Staatsform, welche der vielgestaltigen Politlandschaft der Schweiz viel eher entsprach. Bei der Ausarbeitung der Mediationsakte von 1803 war Napoleon Bonaparte, damals Erster Konsul und noch nicht Kaiser, zentral beteiligt.

Napoleon und die Eroberung der Alten Eidgenossenschaft

Napoleon hatte auch beim Franzoseneinfall von März 1798, als er noch General war, seine Hand im Spiel. Im November 1797 hatte er auf seiner Reise vom oberitalienischen Campo Formio nach dem badischen Rastatt die Schweiz durchquert. Napoleon war auch schon damals in der Schweiz sehr populär und wurde hierzulande fast überall mit Jubel empfangen. Was damals wohl kaum jemand wusste: Auf dieser Reise fasste Napoleon den Entschluss, ein früheres Vorhaben nun in die Tat umzusetzen, nämlich mit seinen Armeen die Alte Eidgenossenschaft zu erobern, deren Untertanengebiete (beispielsweise die Waadt oder das Tessin) zu befreien, dieses anachronistische politische Gebilde von Grund zu erneuern und dessen patrizischen Strukturen den Garaus zu machen.
Einzug von Napoleon Bonaparte in Basel, 1797.
Einzug von Napoleon Bonaparte in Basel, 1797. Schweizerisches Nationalmuseum
Anfang März 1798 überfielen die französischen Armeen die Schweiz im Zangengriff von Genf und vom Elsass her, und nach wenigen Tagen waren die patrizischen Kantone Freiburg, Bern und Solothurn als hauptsächliche Widerstandsnester erobert. Zu einer einheitlichen Verteidigungsaktion waren die Schweizer Kantone weder militärisch fähig noch politisch motiviert. Der alte Staatenbund mit seinen aufmüpfigen Untertanengebieten war viel zu dezentral organisiert und die politischen Ambitionen der verschiedenen Kantone und deren Vogteien zu verschieden. So wurde bereits am 12. April die Helvetische Republik mit ihrer zentralistischen Verfassung und der institutionalisierten Frankreichhörigkeit ausgerufen – alles unter den revolutionären Parolen «Freyheit. Gleichheit.». Freilich dauerte es noch bis in den Herbst, bis auch die Innerschweizer Kantone unter dem Diktat der Helvetischen Behörden von Frankreichs Gnaden standen.
Französische Soldaten plündern Hütten während den sogenannten «Schreckenstage in Nidwalden» im September 1798.
Französische Soldaten plündern Hütten während den sogenannten «Schreckenstage in Nidwalden» im September 1798. Schweizerisches Nationalmuseum

Was hat all dies mit Vandalis­mus zu tun?

Der Franzoseneinfall vom März 1798 war ein kriegerisches Ereignis, das grosse politische Veränderungen für unser Land brachte. Kriege oder Regimewechsel gehen fast immer einher mit der Beschädigung von Kulturgut oder von Herrschaftssymbolen. Auch beim jüngsten Beispiel, dem im Februar 2022 durch Russland vom Zaun gerissenen Krieg gegen die Ukraine, zeigt sich dieses uralte Muster mit mutwilligen Zerstörungen und Verschleppungen von Baudenkmälern, Kulturgütern, Museumsbeständen, Denkmälern und so weiter. Solches Zerstörungswerk kann sich eher spontan entladen, zuweilen wird es aber auch von der Obrigkeit verordnet. Diesen beiden Ausprägungen von Vandalismus begegnet man auch bei der helvetischen Revolution von 1798. Diese kam nicht etwa aus heiterem Himmel, sondern sie hatte sich längst abgezeichnet. In den Jahren nach der Französischen Revolution von 1789 hatte sich auch in der Schweiz der Ruf nach gesellschaftlicher Umwälzung und politischer Veränderung ausgebreitet. In der im Winter 1797/98 schon stark aufgeheizten Stimmung zündeten Ende Januar 1798 Aufständische im Kanton Basel mittelalterliche Burgen an, die den Landvögten als Amtssitz dienten. Es folgten ähnliche Burgenbrüche im Kanton Solothurn.
Die brennende Farnsburg bei Ormalingen BL in einer Karikatur von Franz Feyerabend zur sagenumwobenen Flucht des letzten Landvogts in einer Traghutte.
Die brennende Farnsburg bei Ormalingen BL in einer Karikatur von Franz Feyerabend zur sagenumwobenen Flucht des letzten Landvogts in einer Traghutte. Schweizerische Nationalbibliothek
Andere Vandalenakte ereigneten sich als «Kollateralschäden» der Kriegshandlungen, die sich bis September 1798 hinzogen. Zu erwähnen sind das Niederbrennen des Beinhauses aus der Murtenschlacht durch französische Truppen am 3. März – ein später Racheakt für die dortige Niederlage des Burgunderherzogs Karls des Kühnen im Jahr 1476. Ende April und Anfang Mai 1798 wüteten die Franzosen unter dem Kommando von General Alexis von Schauenburg im ausserschwyzerischen Freienbach, Pfäffikon und Wollerau sowie auf der Insel Ufenau: Überall plünderten, beschädigten oder zerstörten sie Kirchen und Kapellen. Im Kloster Einsiedeln entführten die Franzosen nicht nur die Bibliotheksbestände, sondern sie brachen auch die barocke Gnadenkapelle ab. Immerhin taten sie das auf eine Weise, die später deren Wiederaufbau ermöglichte.
Das Beinhaus mit Gedenkstätte zur Murtenschlacht in Murten FR nach der Brandschatzung durch französische Truppen am 3. März 1798. Lithografie um 1820.
Das Beinhaus mit Gedenkstätte zur Murtenschlacht in Murten FR nach der Brandschatzung durch französische Truppen am 3. März 1798. Lithografie um 1820. Bernisches Historisches Museum
Die Gnadenkapelle in der Klosterkirche Einsiedeln SZ nach der Wiederherstellung in den Jahren 1803 bis 1807.
Die Gnadenkapelle in der Klosterkirche Einsiedeln SZ nach der Wiederherstellung in den Jahren 1803 bis 1807. Zentralbibliothek Zürich

Die Schreckens­ta­ge von Nidwalden im September 1798

Am brutalsten gingen die Franzosen Anfang September in Nidwalden vor. Teile der dortigen Bevölkerung verweigerten den Schwur auf die helvetische Verfassung, da sie weder Gott erwähne noch die Durchführung der Landsgemeinde vorsehen würde. Auf Wunsch der helvetischen Zentralbehörden gingen die französischen Truppen gegen die störrischen Nidwaldner vor. Diese bezahlten ihren Mut nicht nur mit mehreren Dutzend Menschenleben, sondern auch mit massiven baulichen Verlusten: neun Kirchen oder Kapellen, über 300 Häuser und über 200 Landwirtschaftsgebäude. Als besonders perfide erwies sich der unter Druck herbeigeführte Vandalenakt an der Kirche von Enntemoos: «Gegen Abend des 9. Septembers zwangen die Franzosen die Leute aus der Nachbarschaft, Holz in ihre Kirche zu tragen und anzuzünden. Das Feuer zerstörte Dach und Altäre vollständig.»
Die Ruinen von Kirche und Pfarrhaus St. Jakob in Ennetmoos NW nach dem Niederbrennen am 9. September 1798.
Die Ruinen von Kirche und Pfarrhaus St. Jakob in Ennetmoos NW nach dem Niederbrennen am 9. September 1798. Zentralbibliothek Zürich

Im Furor gegen histori­sche Familienwappen

Die Helvetische Republik war ein politisches Konstrukt mit dem Anspruch einer «égalité» im Sinne der Französischen Revolution. So wie nun die Standesunterschiede aufgehoben wurden, waren auch die Familienwappen verpönt, welche von alters her an vielen öffentlichen und privaten Gebäuden angebracht waren. Da solche heraldischen Symbole ständischer Auszeichnung nun im Widerspruch zum aktuellen Dogma der «Gleichheit» standen, sollten nun alle diese gemalten oder skulptierten Wappen ausgemerzt werden. In mehreren Erlassen versuchten die Behörden während Monaten, ihre Politik durchzusetzen – mit gemischtem Erfolg. Immerhin lassen sich heute noch an verschiedenen Orten der ganzen Schweiz Dutzende solcher behördlich verordneter Vandalenakte nachweisen.
Rekonstruktion des Wappenreliefs von Ambassador Robert Gravel an der Fassade der Jesuitenkirche Solothurn: Der Abguss der im April 1798 beschädigten Kartusche mit dem in Gips neu aufmodellierten Wappen (links) dient als Vorlage für die Rekonstruktion des Wappens in Solothurner Kalkstein (rechts).
Rekonstruktion des Wappenreliefs von Ambassador Robert Gravel an der Fassade der Jesuitenkirche Solothurn: Der Abguss der im April 1798 beschädigten Kartusche mit dem in Gips neu aufmodellierten Wappen (links) dient als Vorlage für die Rekonstruktion des Wappens in Solothurner Kalkstein (rechts). Kantonale Denkmalpflege Solothurn

Vandalis­mus an der Jesuiten­kir­che von Solothurn

Besonders gut gelingen solche Nachweise an der barocken Jesuitenkirche in Solothurn. Ihre Errichtung in den 1680er-Jahren war nur möglich gewesen, weil kein geringerer als der französische König Ludwig XIV. und auch zahlreiche Patrizierfamilien sich finanziell daran beteiligt hatten. Ihre mäzenatischen Gaben wollten sie heraldisch gewürdigt sehen: der König und sein Ambassador in reliefierten Wappenkartuschen an der Kirchenfassade, die Patrizier in ihren gemalten Wappen im Kircheninnern. Solche ständische Protzerei war den politischen Eliten von 1798 natürlich zuwider. Dies führte dazu, dass an die Wappenreliefs des Sonnenkönigs und seines Gesandten im April 1798 abgeschlagen werden mussten und die sehr zahlreichen gemalten Wappen der Solothurner Patrizier im Mai dann übermalt wurden. Erst durch denkmalpflegerische Massnahmen im 20. Jahrhundert wurden diese Wappen freigelegt und/oder rekonstruiert. Die Innenrestaurierung von 1953 brachte die ehemals überweisselten Patrizierwappen wieder ans Tageslicht. Und die Fassadenrestaurierung von 1982 brachte auch die Wiederherstellung der Wappenreliefs durch Aufmodellierung.
Der Restaurator Ottorino Olgiati 1953 bei der Freilegung und Restaurierung des im Mai 1798 übermalten Wappens von Franz Sury-Glutz in der Jesuitenkirche Solothurn.
Der Restaurator Ottorino Olgiati 1953 bei der Freilegung und Restaurierung des im Mai 1798 übermalten Wappens von Franz Sury-Glutz in der Jesuitenkirche Solothurn. Kantonale Denkmalpflege Solothurn, Franz Zappa

Tilgung eines histori­schen Ereignisses?

«Die Kirche erstrahlt in neuem Glanz», heisst es jeweils nach Restaurierungen. Dies gilt bestimmt auch für die Solothurner Jesuitenkirche. Aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass durch das Rekonstruieren beziehungsweise Freilegen auch Zeugnisse eines historischen Ereignisses getilgt wurden.
Fassade der Jesuitenkirche Solothurn im schadhaften Zustand vor der Restaurierung von 1936. Über dem Portal hängt die Kartusche mit dem im April 1798 abgekratzten Wappens von König Ludwig XIV. Über den seitlichen Figurennischen wurden die Kartuschen mit den Wappen des französischen Ambassadoren ausgelöscht.
Fassade der Jesuitenkirche Solothurn im Zustand von 2023 mit der restaurierten Inschrift von Ludwig XIV. und den Wappen des Ambassadoren und seiner Frau.
Fassade der Jesuitenkirche Solothurn im schadhaften Zustand vor der Restaurierung von 1936 (links). Über dem Portal hängt die Kartusche mit dem im April 1798 abgekratzten Wappens von König Ludwig XIV. Über den seitlichen Figurennischen wurden die Kartuschen mit den Wappen des französischen Ambassadoren ausgelöscht. Im rechten Bild die Fassade der Jesuitenkirche Solothurn im Zustand von 2023 mit der restaurierten Inschrift von Ludwig XIV. und den Wappen des Ambassadoren und seiner Frau. Kantonale Denkmalpflege und Archäologie Solothurn, Edgar Schlatter / Kantonale Denkmalpflege Solothurn, Guido Schenker

ZAK – die wissen­schaft­li­che Zeitschrift des Schwei­ze­ri­schen Nationalmuseums

Dieser Beitrag ist ein gekürzter Ausschnitt aus einem Artikel in der Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte (ZAK), welche das Schweizerische Nationalmuseum seit genau 80 Jahren herausgibt. Die ZAK erscheint viermal pro Jahr und kann abonniert werden. Weitere Infos unter: landesmuseum.ch/zak

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