Aktien für die St. Galler Kultur
Im 19. Jahrhundert hing die Zukunft des St. Galler Stadttheaters von zwei Aktiengesellschaften ab. Es ist quasi die Geschichte von Geld und Geist…
Was haben Theater und Aktien gemeinsam? Nichts, denkt man im ersten Augenblick. Das eine ist fürs Gemüt, das andere für das Portemonnaie. Dass dem nicht so ist, zeigt ein Blick ins St. Gallen des 19. Jahrhunderts. Seit dieser Zeit werden nicht nur grosse Bau- und Industrieprojekte durch Aktiengesellschaften finanziert, sondern auch zahlreiche kulturelle Vorhaben. Ein gutes Beispiel dafür ist der Bau und Betrieb des neuen Stadttheaters in St. Gallen im Jahr 1856.
Angefangen hat die Verbindung zwischen Aktionären und dem Theater bereits 1805. In diesem Jahr wurde in der Ostschweizer Stadt die «Garanten oder Actionärsgesellschaft» zum Betrieb des Theaters gegründet. Jeder der insgesamt 35 Aktionäre zahlte 165 Franken ein und erhielt dafür das Anrecht auf zwei Freiplätze in der gemieteten klösterlichen Kutschenremise, die zum Theater umgebaut worden war. Es war die erste feste Berufsbühne der Schweiz. Das kulturelle Glück währte allerdings nur bis 1854. Dann wurde dem Theater gekündigt. Die Theater-Kommission beschloss, einen Neubau zu erstellen, worauf ein Theater-Aktienbauverein gegründet und ein neuer Standort gesucht wurde. Auf dem ehemaligen Areal des Zeughauses, dem heutigen Marktplatz Bohl, wurde das neue Stadttheater am 5. November 1857 mit der Aufführung von Mozarts «Don Giovanni» eingeweiht.
Als Teilhaber wird auf dieser sehr seltenen Aktie aus der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums «Herr Bänziger-König in St Gallen» aufgeführt. Dabei dürfte es sich um den St. Galler Kaufmann und Eisenbahnpolitiker Johann Jakob Bänziger-König (1809-1883) handeln. Er war Mitglied im Verwaltungsrat der St. Gallisch-Appenzellischen Eisenbahn, später in jenem der Vereinigen Schweizerbahnen und nahm aktiv am kulturellen Leben der Stadt St. Gallen teil. Die Namensaktie aus der Gründungszeit des St. Galler Stadttheaters ist von grosser Seltenheit und zeigt eindrücklich, wie Kultur und Wertpapiere zusammenhängen können.
Das Stadttheater am Marktplatz indes hatte mehr als 100 Jahre Bestand. Man riss es ab, nachdem 1968 im Stadtpark der moderne Neubau des Zürcher Architekten Claude Paillard eingeweiht wurde. Es gilt weitherum als Meisterwerk moderner Theaterarchitektur. Zugleich wurde die bisherige Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft umgewandelt, an der bis heute Stadt und Kanton beteiligt sind.