Joya Indermüh­le: Brillante Pionierinnen

Mit Pioniergeist und Stil etablierten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schweizer Schmuckkünstlerinnen – auch international. Ein Gespräch mit Co-Kuratorin Joya Indermühle.

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner

Alexander Rechsteiner hat Anglistik und Politikwissenschaften studiert und arbeitet bei der Kommunikation des Schweizerischen Nationalmuseums.

Joya Indermühle, wer sind die Schweizer Pionierinnen der Schmuckkunst?

Joya Indermühle: Junge Frauen, die an den gesellschaftlichen und künstlerischen Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts teilnahmen, sich für das Silber-und Goldschmiedehandwerk entschieden und neue Wege einschlugen. Für sie war Schmuck ein künstlerisches Ausdrucksmittel und jede entwickelte ihren eigenen innovativen Stil. In der Ausstellung vertreten sind Marie Bedot-Diodati, Yvonne de Morsier-Roethlisberger, Martha Flüeler-Haefeli, Germaine Glitsch-de Siebenthal und Gertrud Catinka Apotheker-Riggenbach.

Und das war in der Schweiz möglich?

Viele dieser Persönlichkeiten absolvierten ihre Ausbildung in der Schweiz, gingen dann ins Ausland und kehrten später zurück. Ein Beispiel ist Yvonne de Morsier-Roethlisberger (1896–1971). Sie besuchte in Genf die École des Beaux-Arts und die École d’arts appliqués. Dank der Uhren- und Schmuckindustrie gab es in Genf die entsprechenden Ausbildungsstätten. Über Berlin und Florenz gelangte sie 1935 nach Paris, wo sie ein Atelier eröffnete. So erhielt sie Zugang zur Haute Couture und die Möglichkeit, für Modehäuser wie Rochas, Elsa Schiaparelli oder Dior Schmuck zu entwerfen. Daneben konnte sie an Ausstellungen teilnehmen und ihr innovatives Schaffen präsentieren, so auch an der Weltausstellung in Paris 1937. Gertrud Catinka Apotheker-Riggenbach (1900 – 1993) ist ein anderes Beispiel. Sie ging nach der Lehre in Metallbearbeitung nach Deutschland, absolvierte dort eine Goldschmiedelehre und besuchte die Kunstschule. Die Idee des Bauhaus mit seinen spartenübergreifenden Tätigkeiten war wichtiger Impulsgeber, so entwarf Apotheker-Riggenbach neben Schmuck auch Möbel. Auch ihr Weg führte Mitte der 20er-Jahre über Paris.

Warum war gerade Paris so wichtig?

Die Weltausstellung von 1900 in Paris, an der René Lalique wegweisende Schmuckstücke präsentierte, hatte grosse Ausstrahlung. Paris war für avantgardistische Kunstschaffende attraktiv und ein Ort, wo auch Frauen in Kunstkreisen aktiv waren.

Sie wurden aber auch in der Schweiz gefördert?

Alle diese Künstlerinnen waren Mitglied beim 1913 gegründeten Schweizerischen Werkbund oder bei L’OEuvre, der Schwesterorganisation in der Westschweiz, welche wichtige Ausstellungen organisierten, wie die Première exposition nationale d’art appliqué von 1922 in Lausanne. Germaine Glitsch-de Siebenthal erhielt beispielsweise ab den 1920er-Jahren mehrere eidgenössische Auszeichnungen und Stipendien.

Welche Bedeutung hatten die Pionierinnen für die folgenden Generationen?

Ich denke, es ist vor allem ihr künstlerisches Selbstverständnis, das die folgende Generation inspiriert hat. Diese Frauen waren selbstbewusste Künstlerinnen und gründeten eigene Ateliers. Was sie vormachten, war in dieser Form vorher nicht möglich, in diesem Sinne hatten sie eine Vorläuferrolle. Und obwohl man sie in Fachkreisen kennt, sind sie in der Öffentlichkeit leider in Vergessenheit geraten. Wir hoffen, sie mit dieser Ausstellung wieder einem breiten Publikum bekannt zu machen und vielleicht auch die Forschung über dieses Thema anzuregen.

Joya Indermühle, Co-Kuratorin der Ausstellung «Schmuck. Material Handwerk Kunst». Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Yvonne de Morsier-Roethlisberger. Foto: Georges Racroul (Paris, um 1945), © Archives MAH

Fingerring von Gertrud Catinka Apotheker-Riggenbach, aus Gold, Email und Bergkristall. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Armspange von Gertrud Catinka Apotheker-Riggenbach, aus Gold und Mondstein. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

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