Eine ganz besondere Zeitung
Vor 75 Jahren gründete Gottlieb Duttweiler den «Brückenbauer». Die Zeitung der Migros existiert unter dem Namen «Migros-Magazin» heute noch und hat inzwischen über zwei Millionen Leser.
Es waren schwierige Jahre für die Schweiz, Anfang der 40er des letzten Jahrhunderts: Es herrschte Weltkrieg in Europa. Der Zweite bereits. Und er sollte die Welt verändern, wie vielleicht kein Krieg zuvor. Deutschland reihte einen militärischen Erfolg an den anderen. Ein Nachbarstaat nach dem anderen wurde überrannt.Die Schweiz igelte sich ein und beschwor den Wehrwillen ihrer Bevölkerung. Die Japaner hatten sich in einem Akt politischen Selbstmords mit der Grossmacht USA angelegt, und Russland stand der massive Angriff der deutschen Wehrmacht auf breiter Front bevor. Über ganz Europa lag die Angst vor einer Okkupation durch die selbsternannten Herrenmenschen aus Deutschland.
In diese Zeit fiel eine Entscheidung, die die Wirtschaftsentwicklung der Schweiz massgeblich beeinflussen sollte. Gottlieb Duttweiler, Gründer der Migros, hatte sich 1941 entschlossen, sein gut laufendes Unternehmen seinen Kunden zu verschenken. Einfach so. Ohne Gegenleistung. Die Migros wurde in eine Genossenschaft umgewandelt, die Anteilscheine mit einem geschätzten Verkehrswert von 16 Millionen Franken verschenkt. Der kinderlose Mann, der immer das Wohl der Kunden im Sinn hatte, bewies mit der Schenkung, dass es ihm wirklich ernst war mit dem Ausspruch «Wer seinem Nächsten Rechnung trägt, hat unendlich mehr Aussicht, auch selbst auf die Rechnung zu kommen, sogar geschäftlich gesehen». Eigentlich hätte die neue Genossenschaft ja «Grütli» heissen sollen, das Handelsregisteramt jedoch lehnte den Namen ab. So oder so: Mit der Gründung der Genossenschaft bestand auch der Bedarf nach Kommunikation mit den neuen Chefs, sprich den Kundinnen und Kunden. Deshalb gründete Duttweiler 1942 die Zeitung «Wir Brückenbauer», das Wochenblatt für das soziale Kapital, wie die Unterschrift weiter ausführte. Der «Brückenbauer» sollte über das aktuelle Geschehen in der Welt, in der Schweiz und in der Migros informieren. Und auch für den «Brückenbauer» hatte «Dutti» anfangs einen anderen Namen geplant, nämlich «Die Zukunft».
Die Startauflage lag 1942 bei 110’000 Exemplaren, schon damals eine riesige Zahl. Sie sollte sich in den kommenden Jahrzehnten sukzessive bis auf heute 2,1 Millionen steigern. Gottlieb Duttweiler liess es sich nicht nehmen, seine Meinung zu politischen Themen regelmässig in der Zeitung kundzutun. Der erfolgreiche Kaufmann war, wie Karl Lüönd in seinem Buch «Gottlieb Duttweiler: Eine Idee mit Zukunft» schrieb, «zugleich ein brillanter Kommunikator, ein journalistisches Urtalent und ein blendender Stilist». Und ein produktiver Schreiber, bleibt anzufügen: Fast 3000 Artikel hat der Migros-Gründer in der Tageszeitung «Die Tat», im «Brückenbauer» und in weiteren Publikationen geschrieben. Über Jahre hinweg hat Duttweiler jede Woche einen Leitartikel für den «Brückenbauer» verfasst.
Natürlich gab es da auch noch die Tageszeitung «Die Tat», die jedoch war aus der Migros-Partei Landesring der Unabhängigen entstanden, stand also nicht in direktem Bezug zu den Migros-Genossenschaftern.
Die «Brückenbauer»-Redaktion erschrieb sich über die Jahre eine treue Anhängerschaft: 1968 gaben bei der jährlichen Migros-Urabstimmung von 213’000 Antwortenden 86,3 Prozent an, sie würden den «Brückenbauer» regelmässig lesen. 12,8 Prozent schrieben, sie würden ihn «gelegentlich» anschauen, und nur 0,9 Prozent lasen ihn gar nicht. Als Wochenzeitung konnte es sich der «Brückenbauer» leisten, mit etwas Distanz an die aktuellen politischen Debatten heranzugehen. Und des Öftern musste der erste Chefredaktor, Willy Wagner, die Zeitung vor dem überschäumenden Temperament und Mitteilungsdrang ihres Gründers Duttweiler schützen.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs, der grosse Wirtschaftsaufschwung der 50er, die Rebellion der 60er, die Erdölkrise – der «Brückenbauer» begleitete die wichtigen historischen Entwicklungen und Ereignisse und versuchte sie den Migros-Genossenschafterinnen und -Genossenschaftern verständlich näherzubringen. Ohne aber das alltägliche Leben, die kleinen und grossen Sorgen der Menschen, zu vergessen. Nicht umsonst fand der Beratungsdienst, den die Zeitung bis in die 50er-Jahre mit grossem Aufwand aufrechterhielt, so grossen Anklang.
Daneben fand auch das ungebrochene Wachstum der Migros-Gruppe in der Zeitung seinen Niederschlag. Denn deren Geschäfte waren in den 30 Jahren des Nachkriegsaufschwungs richtiggehend explodiert. Überall im Land entstanden Supermärkte, die Verkaufswagen rollten, die Zahl der Migros-Industriebetriebe wuchs. Die Migros selber weitete ihr Aufgabengebiet ständig aus: Versicherungen, eine Reismühle im Tessin, eine Tankstellenkette, Grossbäckereien, Schokoladefabriken, Tausende von Klubschulprogrammen – das Wachstum war unaufhaltsam.
So, wie sich der optische Auftritt der Migros immer wieder erneuerte, wurde auch der «Brückenbauer» diversen Relaunches unterzogen. Erst wurde die doch sehr trockene Textwüste mit immer mehr und immer grösseren Bildern belebt. Die Werbung wurde grösser und grossformatiger. Farbe hielt nach und nach Einzug. 1969 wurde dann aus der «grossen» eine «kleine» Zeitung, sprich eine Zeitung im Tabloidformat, wie wir es auch heute noch kennen. Das bot sich an, hatten der «Brückenbauer» und sein Westschweizer Pendant «Construire» damals bereits mehr als eine Million Abonnenten. Mit dem kleineren Format konnten also Kosten gespart werden.
2004 schliesslich wurde der «Brückenbauer» komplett renoviert und umbenannt. Gleichzeitig verpasste man der Zeitung ein zeitgemässeres inhaltliches Konzept: Mehr Service und eine emotionalere Ansprache des Publikums sollten den Erfolg des «Brückenbauers» ins neue Jahrtausend tragen. «Migros-Magazin» nannte sich das Folgeprodukt, und auch die neufirmierte Zeitung entsprach offenbar den Vorstellungen der Leserschaft.
Bis heute jedenfalls hatte die Zeitung nie einen deutlichen Rückgang an Leserinnen und Lesern zu verzeichnen, obwohl sich die Medienbranche in einem dramatischen Wandel, die gedruckte Presse in einem permanenten Rückzug befindet. Die Kombination aus emotionalen, ehrlichen Geschichten und verständlicher Information über das Geschehen in der Migros, über neue Produkte und Sortimente scheint auch nach 75 Jahren noch anzukommen.