Neue Kinoplakate für Zürich
Die Arbeiten des Luzerner Grafikers Paul Brühwiler waren auf Zürichs Kulturplakatstellen während fast 20 Jahren allgegenwärtig und erlangten Kultstatus. Sogar im Büro des Leiters des Filmpodiums waren sie nicht vor Dieben sicher.
Als Paul Brühwiler 1973 im Alter von 34 Jahren aus Kalifornien in die Schweiz zurückkehrte, brachte er eine reiche Berufserfahrung mit. Nach der Grafikerlehre und Kunstgewerbeschule in Luzern zog er zur Weiterbildung nach Paris, arbeitete in den USA in den Studios von Saul Bass, Hollywoods renommiertestem Filmtiteldesigner, dann in den Ateliers des Designerpaares Ray und Charles Eames und in der eigenen Agentur. Ein wichtiger Auftraggeber war die amerikanische Musikindustrie. Paul Brühwiler, auch Pabrü genannt, entwarf Schallplattenhüllen für Steppenwolf, Small Faces, Beachboys, Kenny Rogers, Janis Joplin. Zu dieser Zeit sagte Brühwiler rückblickend: «Alles war erlaubt oder eher verlangt, alles musste frecher und anders sein, die Musik wie die Worte schockierten, so auch ihre Hüllen.»
Nicht nur berufliche Erfahrung brachte Paul Brühwiler aus Amerika mit, sondern auch das Bedürfnis, sich auf seine Lieblingsbeschäftigung, das freie plakatgrafische Schaffen für nicht kommerzielle Zwecke, zu konzentrieren. Der Zeitpunkt war günstig; es herrschten Aufbruchstimmung und Experimentierfreude. In der Präsidialabteilung der Stadt Zürich mit ihren kulturellen Institutionen fand Brühwiler den idealen Auftraggeber. Im ersten Gespräch mit Bernhard Uhlmann, dem damaligen Leiter des Filmpodiums, kamen ihm insbesondere seine Zusammenarbeit mit Saul Brass und dessen Affinität zu Hitchcock zugute.
Kleine Auflagen, grosse Wirkung
Bernhard Uhlmann erinnert sich: «Eines Tages stand Paul in Begleitung einer Amerikanerin in meinem Büro im Stadthaus und sagte, er möchte gerne Plakate für uns gestalten. Das war der Beginn einer 20-jährigen, äusserst unkomplizierten und fruchtbaren Zusammenarbeit. Wenn wir das Programm im letzten Moment umstellen mussten, was nicht selten war, rief ich ihn an und fragte, ob er nicht noch schnell ein anderes Plakat machen könne. Am anderen Tag oder zwei Tage später war es da. Pauls Plakate waren von Anfang an Raritäten. Wir liessen jeweils nur kleine Auflagen drucken. Etwa 80 Stück für die Plakatstellen der Stadt und etwa 20 Stück für uns.»
Bernhard Uhlmann, 1971 bis 1992 Leiter des Filmpodiums, anschliessend Vizedirektor der Cinémathèque Suisse in Lausanne, wollte bei seinem Amtsantritt neue Plakate. Es sollten Plakate sein, die nicht in erster Linie der reinen Lehre einer Kunstgewerbeschule entsprachen, sondern Leute ins Kino lockten. Bereits 1975 gehörten fünf Kulturplakate Brühwilers zu den von der Jury des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) als «beste Schweizer Plakate des Jahres» ausgezeichneten Arbeiten.
Der Blick als Blickfang
Es ist nicht in erster Linie das gesprochene Wort, sondern vielmehr der Gesichtsausdruck, der gute Schauspieler auszeichnet. Insbesondere der Blick. Den Blick des Schauspielers oder Regisseurs setzt Paul Brühwiler gezielt als Blickfang ein. Genau damit trifft der auf den Plakaten für die Orson-Welles- oder Fritz-Lang–Retrospektive ins Schwarze. Das gilt auch im wörtlichen Sinn für den leeren Blick aus den toten Augen des als Neonröhre aufleuchtenden Vampirs Nosferatu. Kalt läuft es dem Betrachter beim Anblick des aus der Finsternis auf ihn zuschwebenden Scheusals den Rücken hinab.
Klassiker und Raritäten
Pabrüs Plakate erlangten bei den Filmliebhabern Kultstatus. Nochmals Bernhard Uhlmann: «Wir erhielten hohe Angebote. Mein Lieblingsplakat, dasjenige für die Orson-Welles-Retrospektive, ist sogar aus meinem Büro im zweiten Stock des Stadthauses gestohlen worden. Obwohl man zuerst durch ein Vorzimmer hindurch musste. Die Büros waren damals noch offen. Wenn ich mich nicht täusche, wollte das der damalige Stadtpräsident, Sigi Widmer, so. Kurz darauf ist man dazu übergegangen, die Büros abzuschliessen.»
Ein Holzschnitt als Vorlage
Besonders schön manifestiert sich der freie Künstler Paul Brühwiler im poetischen Kinoplakat für die Gérard-Philipe-Retrospektive (1994). Vorlage für den Siebdruck von Bea Spillmann ist ein Holzschnitt. Der Originalentwurf sowie zahlreiche Ideenskizzen und Entwürfe dokumentieren sowohl in der Sammlung des Museums als auch in der aktuellen Ausstellung den Weg von der Idee über die Vorstudien und die Druckvorlage zum fertigen Plakat.
Der Grafiker als Clown und Marionette
Das menschliche Gesicht übt sowohl auf den Grafiker und Filmer als auch auf den Maler Paul Brühwiler eine besondere Faszination aus. 1984 gestaltet er den Umschlag der von Walter Herdeg in Zürich verlegten, international renommierten Fachzeitschrift Graphis mit einem eindrücklichen Selbstporträt. Der Künstler nimmt seinem Beruf und sich selbst gegenüber eine kritische Haltung ein; aus den Augen glänzen Dollarzeichen, die Hand des Grafikers hängt an Fäden wie die Glieder einer Marionette, das Lachen des Clowns erheitert nicht. Auch der sperrig gezeichnete Zeitschriftentitel bringt die Ambivalenz zum Ausdruck: Freier Künstler und Gebrauchsgrafiker, Kunst und Kommerz – einfach ist das nicht.