Eine Plattform im Bildersturm
World Press Photo hat sich von einem Zusammenschluss holländischer Fotojournalisten zu einer globalen Organisation entwickelt. Die Geschichte der Organisation zeigt auch, wie sich Gesellschaft und Technik in den letzten Jahrzehnten verändert haben.
Ein stürzender Motocross-Rennfahrer und ein brennender Demonstrant: Zwischen dem allerersten und dem diesjährigen Siegerbild des renommierten World Press Photo Awards liegen 63 Jahre voller Umbrüche im Weltgeschehen und Zäsuren in der Pressefotografie. World Press Photo widerspiegelt diese Entwicklungen nicht nur, sondern ist prägender Teil davon. Es lohnt sich also, kurz einen Blick auf die Geschichte des bedeutendsten internationalen Pressefoto-Wettbewerbs zu werfen.
Ins Leben gerufen wurde der Wettbewerb 1955 durch holländische Fotojournalisten im Rahmen des nationalen Pressefotopreises der «Zilveren Camera», um letzterem mehr internationale Beachtung zu verschaffen. Wettbewerb, Ausstellung und Netzwerkanlass waren von Beginn weg untrennbar miteinander verbunden. 1960 wurde die Non-Profit-Stiftung World Press Photo mit Sitz in Amsterdam als institutionelle Trägerschaft geschaffen. Damit sollte auch die Unabhängigkeit des Wettbewerbs unterstrichen werden, denn schon in den Anfängen wurde in Hinblick auf den kalten Krieg darauf geachtet, dass Fotografien losgelöst von ihrer Herkunft von einer unparteiischen Jury ausgewählt wurden.
Schon nach wenigen Jahren entwickelte sich World Press Photo zum weltweit tonangebenden Pressefoto-Wettbewerb. Diese schnelle Etablierung fällt in die letzte Hochphase der illustrierten Presse in den 1960er-Jahren, bevor das Fernsehen die Fotografie als führendes visuelles Medium in der tagesaktuellen Berichterstattung ablöste. So ist es bezeichnend, dass World Press Photo mit ikonischen und kontrovers diskutierten Bildern aus dem Vietnamkrieg erstmals in die breite öffentliche Wahrnehmung rückte. Über 1500 Fotoreporter produzierten mit ihren flexiblen Kleinbildkameras weitgehend ungehindert und unzensiert massenweise schockierende Bilder für eine bildersüchtige Heimatfront. Es sind Fotografien, welche unsere Erinnerung von diesem Krieg nachhaltig prägen, aber auch mit World Press Photo in Verbindung gebracht werden. Als berühmtestes Beispiel gilt das Bild mit einem nackten vietnamesischen Mädchen nach einem Napalm-Angriff. Gleichzeitig brachte das Fernsehen die Geschehnisse flächendeckend als «living room war» noch unmittelbarer in den privaten häuslichen Raum.
Unbesehen des stetig wachsenden Konkurrenzdrucks, unter dem die gesamte Pressebildindustrie steht und der seit der Digitalisierung nochmals an Schärfe zugenommen hat, erfuhr World Press Photo als Organisation und Anlass eine stetige Erweiterung und Professionalisierung. World Press Photo wurde dabei selbst zu einem Gradmesser von Veränderungen. Inhalt und Form der jeweils preisgekrönten Pressebilder bezeugen gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Dominierten bis in die 1990er-Jahre eher harte Ereignisbilder, nehmen hintergründige, leisere Arbeiten über abstraktere Themen – die es schon immer gab – vermehrt zu. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass die Pressefotografie jenseits der digital hochgetakteten Tagesaktualität ihren Platz immer mehr in neuen Präsentationsgefässen mit anderen Erzählmöglichkeiten wie Museen, Bücher oder Blogs sucht.
World Press Photo hat sich vom Zusammenschluss einiger holländischen Journalisten zur globalen Plattform für Fotojournalismus entwickelt, die über den medialen Stürmen steht. Die erwähnte Erweiterung der Aktivitäten verhelfen der Organisation zu einer erhöhten Aufmerksamkeit, die nur noch teilweise vom unbeständigen journalistischen Tagesgeschäft abhängig sind.