Antikriegsdemonstration 1915 auf der Quaibrücke in Zürich. Foto: Schweizerisches Sozialarchiv

Für den Frieden in einer Zeit des Krieges

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam für die Friedensbewegung überraschend, obwohl zahlreiche Pazifisten stets vor einer solchen Gefahr gewarnt hatten. Als neutraler Staat und umringt von kriegführenden Ländern, spielte die Schweiz in Friedensdiskussionen eine zentrale Rolle.

Jean-Luc Rickenbacher

Jean-Luc Rickenbacher

Jean-Luc Rickenbacher ist Historiker und Kurator im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern.

Der Kriegsausbruch im August 1914 traf die Friedensbewegung gleich doppelt: Sie musste einsehen, dass ihre Vorschläge für eine friedliche Konfliktlösung zwischen Staaten durch ein Schiedsgericht von den Regierungen nicht angerufen wurden. Ausserdem waren zwei ihrer führenden Exponenten, die Friedensnobelpreisträger Albert Gobat und Bertha von Suttner, kurz zuvor gestorben. Ihr Ableben waren Vorboten für die Orientierungslosigkeit und Lähmung, welche die Friedensbewegung nach Kriegsausbruch erfasste. Im Januar 1915 fand in der Zentralstelle der internationalen Friedensgesellschaften, im Internationalen Friedensbüro in Bern, die letzte gemeinsame Sitzung statt. Wegen Meinungsverschiedenheiten bei der Bewertung der in Belgien und Luxemburg begangenen Völkerrechtsverletzungen endete diese im Fiasko. Ausserdem war die mit 6000 Mitgliedern grösste pazifistische Gruppierung in der Schweiz, die Schweizerische Friedensgesellschaft, zwischen den welschen und deutschsprachigen Sektionen gespalten. Während letztere mehrheitlich mit dem Deutschen Kaiserreich sympathisierten, unterstützten ihre französischsprachigen Mitglieder die Entente.

Humanitäres Engagement

Trotz der Lähmung der Friedensbewegung wollten viele Menschen wenigstens einen Beitrag zur Linderung der Kriegsfolgen leisten und zahlreiche Pazifisten beteiligten sich in den humanitären Diensten. Die Schweizerische Friedensgesellschaft rief ihre Mitglieder dazu auf, sich den Zweigstellen des Roten Kreuzes und der vom Genfer National- und Regierungsrat Gustave Ador ins Leben gerufenen «Internationalen Zentralstelle für Kriegsgefangene» (AIPG) zur Verfügung zu stellen. Eine der wichtigsten Aufgaben der AIPG bestand darin, Informationen über den Verbleib und den Gesundheitszustand von Kriegsgefangenen zu sammeln und diese den Angehörigen zu übermitteln. Die zu diesem Zweck angefertigte Kartothek umfasste im Laufe der Jahre über 4'805'000 Karteikärtchen. Die humanitären Dienste der Schweiz dienten dem guten Ruf des Landes und hatten einen grossen Nutzen für die Rechtfertigung der schweizerischen Neutralität, welche die kriegführenden Staaten weder nachvollziehen noch akzeptieren wollten.

Büro der Internationalen Zentralstelle für Kriegsgefangene in Genf. Foto: ICRC Archives

Frauen bei der Arbeit in einer improvisierten Uniformschneiderei. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv

Neue pazifistische Organisationen und Friedenskämpfer

Während gewisse Teile der Bevölkerung in den kriegführenden Ländern in Kriegseuphorie ausbrachen, bildeten sich als Gegenbewegung dazu bereits in den ersten Monaten nach Kriegsausbruch weltweit neue pazifistische Gruppierungen. Die Pazifisten suchten nach neuen Ideen, damit der zukünftige Friede nicht nur ein temporärer, sondern ein dauerhafter werde. Diesem Ziel verschrieb sich in der Schweiz etwa das im Oktober 1914 gegründete «Komitee zum Studium der Grundlagen eines dauernden Friedens». Während des Krieges liess sich insbesondere ein erhöhtes Engagement der Kirchen und der Frauenvereinigungen für die Friedenspolitik beobachten. Die schweizerische Sektion der «Frauenliga für Frieden und Freiheit» vertrat die Ansicht, dass ein dauerhafter Friede nur dann erreicht werden könne, wenn Frauen die Möglichkeit erhalten, die Entwicklung in Politik und Gesellschaft gleichberechtigt mitzugestalten. Zu den Forderungen der Frauenrechtlerin Clara Ragaz gehörte deshalb explizit das Frauenstimmrecht. Die Anerkennung des Stimmrechts erschien umso gerechtfertigter, weil Frauen verdienstvolle Arbeit für Staat und Gesellschaft übernahmen, während viele Männer wegen des Aktivdienstes abwesend waren. Für Schlagzeilen sorgte Max Daetwyler, als er bei der Mobilmachung aus Protest gegen den Krieg den Fahneneid verweigerte. Im Jahr 1915 gründete er in Bern die «Friedensarmee» und der Friedensapostel mit der weissen Fahne wurde zu einer weltbekannten Symbolfigur des Pazifismus.

Der Rucksack und die weisse Fahne von Max Daetwyler. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Die Zimmerwalder Bewegung

Die Schweiz war seit dem Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 vollständig von kriegsführenden Staaten umgeben. Die im August 1914 verbreitete Annahme, es werde nur einen kurzen Krieg geben, stellte sich je länger je mehr als falsch heraus. Die allgemeine Ablehnung des Krieges nahm zu. Willi Münzenberg organisierte beispielsweise als Leiter der «Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen» (IVSJ) in Zürich mehrere Antikriegsdemonstrationen. Nachdem der Kriegsausbruch das Ende der Zweiten Sozialistischen Internationalen besiegelt hatte, gelang es Nationalrat Robert Grimm im September 1915 führende sozialistische Kriegsgegner im abgelegenen Berner Dorf Zimmerwald zu versammeln. Für die Geheimhaltung war die Friedenskonferenz als ornithologische Versammlung deklariert worden. Die von den Sozialisten dort ausgearbeitete Resolution denunzierte den imperialistischen Charakter des Krieges, forderte internationale Proletariersolidarität sowie einen Frieden ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen. Das auf der Titelseite der Berner Tagwacht veröffentlichte «Zimmerwalder Manifest» erregte nicht zuletzt wegen der Unterschriften deutscher, französischer und russischer Sozialisten – alles Angehörige kriegsführender Staaten – beträchtliches Aufsehen.

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