Ankunft der «Calanda» in Lissabon im Mai 1942.
Wikimedia / Schweizerische Nationalbibliothek

Die Schweiz auf hoher See

Obwohl die Schweiz ein Binnenland ist, hat sie eine Hochseeflotte. Die Schiffe tragen Namen wie «Helvetia», «Romandie» oder «Lugano». Versorgungsengpässe in den Weltkriegen trieben die Eidgenossen auf die Weltmeere.

Jean-Luc Rickenbacher

Jean-Luc Rickenbacher

Jean-Luc Rickenbacher ist Historiker und Kurator im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern.

Im 19. Jahrhundert unterhielt die Schweiz keine eigenen Hochseeschiffe. Einzelne Schweizer Kaufleute und Handelsgesellschaften besassen Segel- und Dampfschiffe, die unter der Flagge anderer Nationen verkehrten und zum Teil auch die Schweizerflagge hissten. Während des Ersten Weltkriegs war die Schweiz ab 1915 vollständig von kriegführenden Staaten umgeben und die prekäre Versorgungslage verschärfte sich. Das Fehlen einer eigenen Hochseeflotte wurde spürbar. Bei unterbrochenen Versorgungswegen in Europa mussten die Waren zunehmend aus Übersee importiert werden. Doch Frachtraum war knapp und teuer. Gleichzeitig rief die deutsche Kriegsmarine 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg aus und drohte auch Handelsschiffe zu zerstören. Die im März 1917 von der Schweizer Regierung gegründete Zentralstelle für auswärtige Transporte sollte sich der Import- und Exportprobleme annehmen. Demzufolge charterte die Schweiz Frachtraum auf amerikanischen Schiffen. Später jedoch platzte der Vertrag aufgrund des Kriegseintritts der USA. Angesichts der zugespitzten Versorgungslage gründete die Schweiz anfangs 1918 eine «Seetransportunion». Diese sah vor, eine Flotte von 28 Schiffen von einer belgischen Reederei zu mieten. Doch der Krieg war zu Ende, bevor die Schiffe zum Einsatz kamen.

Die Schweiz wird eine Seenation

1921 wurde neutralen Ländern an der Verkehrskonferenz des Völkerbundes in Barcelona das Recht auf eine eigene Hochseeflotte offiziell zugestanden. Die Schweiz hoffte auf eine friedliche Zukunft und verfolgte das Projekt nicht weiter. Ein Entscheid, der sich später zu rächen schien: Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sperrten die Deutschen den Rhein und die Schweiz büsste auf einen Schlag einen Drittel ihres Aussenhandels ein. Erneut geriet sie in eine versorgungswirtschaftliche Notsituation. Als Reaktion darauf mietete die Regierung 15 Schiffe von einer griechischen Reederei. Die Schweizer Charterschiffe wurden jedoch von den kriegführenden Staaten beim Warentransport massiv behindert. Die Schweizer Verluste gingen in die Millionen, die Situation wurde unerträglich. Im April 1941 beschloss der Bundesrat per Kriegsnotrecht: die Schweiz wird eine Seenation. Die ersten vier vom Kriegstransportamt und privaten Reedereien erworbenen Schiffe trugen die Namen «Calanda», «Maloja», «St. Gotthard» und «Generoso». Während des Krieges fuhren insgesamt 14 Hochseeschiffe unter Schweizer Flagge, drei davon wurden vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes beschafft. Obwohl für die Schiffe exorbitant hohe Kriegspreise bezahlt werden mussten, ging die Rechnung auf: Sie versorgten die Schweiz mit Brennstoffen, Futtermittel, Getreide, Öl, Kaffee und Zucker.

Jassen war auf hoher See ein beliebter Zeitvertrieb.
Stiftung Swiss-Ships

Die «Maloja» verlässt den Hafen Lissabon Richtung Afrika, September 1942.
Stiftung Swiss-Ships

Kennzeichnung – eine Überlebensnotwendigkeit

Die Bordwände der Schiffe waren beidseitig in grossen Lettern mit «SWITZERLAND» gekennzeichnet. Ausserdem wurden an verschiedenen Stellen Schweizer Flaggen aufgemalt. Diese markante Kennzeichnung war überlebensnotwendig, denn die Schiffe unter neutraler Flagge mussten von denjenigen der kriegführenden Staaten unterschieden werden können. Die Massnahmen konnten jedoch nicht verhindern, dass Schweizer Schiffe von der See und aus der Luft angegriffen wurden.

Am 7. September 1943 notierte der niederländische Kapitän der «Maloja», Klaas R. Heeres, 30 Seemeilen vor Korsika in seinem Tagebuch: Schönes Wetter, ruhige See, gute Sicht. Kurz darauf wurde das Schiff fälschlicherweise von zehn britischen Kampfflugzeugen angegriffen und versenkt. Drei Matrosen starben im Kugelhagel oder durch die Explosion des Torpedos. Der Rest der Besatzung konnte am nächsten Tag mit Rettungsbooten den korsischen Fischerhafen Calvi erreichen. Ohne Geld und Papiere wurden sie für Kriegsgefangene gehalten und zwischen italienischen und französischen Truppen hin- und hergereicht. Nach ihrer Verschiffung über Algerien nach Marokko erreichten die Männer der versenkten «Maloja» erst nach rund fünf Monaten den Ausgangshafen Lissabon.

Auch die «Chasseral», die «Albula» und die «Generoso» gingen im Zweiten Weltkrieg durch Angriffe, Sprengungen oder Minen unter. Das unter dem Kommando von Fritz Gerber (1895-1952) stehende Schiff «St. Cergue» überstand 1940 im Hafen von Rotterdam mehrere deutsche Fliegerangriffe beinahe unbeschadet. Unter der umsichtigen Führung des Kapitäns aus dem Berner Seeland gelang es dem Schiff, während des Krieges mehrere hundert Überlebende von sinkenden Schiffen zu bergen und in Sicherheit zu bringen.

Deutsche Truppen versenkten die «Albula» im Hafen von Marseille, August 1944.
Stiftung Swiss-Ships

Kapitän Fritz Gerber.
Bild: Walter Zürcher

Nach Kriegsende hielt die Schweiz an ihrer Hochseeflotte fest. Sie wollte auf zukünftige Krisen vorbereitet sein. Der Bund verkaufte seine vier Schiffe 1953 an private Reedereien. Er bestand aber auf dem Recht, in Notzeiten jederzeit auf die Flotte zurückgreifen zu können. Im Gegenzug bürgt der Bund für alle Frachter. Gerät eine Reederei in Schieflage, muss er für die Kosten geradestehen. In den letzten Jahren hat sich der Bund darum bemüht, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Heute besteht die Schweizer Hochseeflotte aus 27 Schiffen, betrieben von vier Reedereien. Seit ihrem Aufbau ist Basel der Heimathafen aller Hochseeschiffe. Der Rhein ist die Verbindung zur grossen, weiten Welt.

Die Basler Rheinhäfen im Jahr 1954.
ETH Bibliothek, Bildarchiv

10 Kommentare

Hans Nigg
17.12.2020 – 17:55

Bin in den Jahren 1964 und 1965 auf der MS Rhone und MS Rhin gefahren. Aud der Rhin war Kapitän Müller und auf der Rhone Kapitän Johannson soviel ich mich erinnern kann. Es waren herrliche Zeiten, wir fuhren die Hamburg – Südamerika Linie. Bootsmann Bobby Moser, Matrosen Martin Stickel, Bommeli etc. Maschine Franz Marti, weiss jemand etwas über Franz, waren zusammen 1 Monat in «Quarantäne» in Las Palmas. Wünsche allen eine schöne Zeit und bleibt gesund.

Christian Hauser
07.09.2023 – 09:31

Ich war von Frühjahr 63 ‹Messboy› bis Frühjahr 64 ‹Deckhand› auf der MS Rhin. Kapitän war Müller etc.

Andres Zaugg
17.04.2021 – 18:55

Mein Bruder, Bruno Zaugg und Rudolf Stutz, beide von Aarburg AG, waren 1964 auch auf der MS Rohne. Ich war später als Bordelektriker auf der MS Calanca und MS Caribia

H. Phillip PULVER
26.09.2020 – 13:41

Es war eine schöne Zeit, als wir damals am 16. April 1974 auf der Leventina in Basel zum Kurs II ( http://www.schulschiff-leventina.ch/srsl/module/freimodul/freimodul_dir.asp?id=5&PageKatalogeID=76&menuid=76 ) anmusterten um dann gegebenen falls unsere Karriere, die auf der Rheinschifffahrt/ Binnenschiffahrt began, später evtl. bei einer der Schweizer Reedereien fort zu setzen. Wir waren 24 Mann, alle jung und durstig für die grosse Welt. Einige haben es getan, ich gehöre dazu, es war nicht einfach für mich als Berneroberländer, mich da in die Dinge die die Welt bewegen, ein zu arbeiten. Im August 1984 wurde ich von dem Fremantle Maritime College als «Captain / Mater Class» beurkundet. Nach den drei Jahren Lehrzeit bei der damaligen Schweizer Reederei & Neptun AG , führ ich als OS, AB und Bootsman bei der Swiss Outremer AG ab und an bis 1986 – danach hatte ich mein eigenes Passagier- & Diving Excursion Vessel in Fremantle – Western Australia. Viel hat sich getan – und die prägenden Dinge dieser bewegten Zeit wird man nie vergessen. Danke !

NadoHeinz
24.08.2020 – 21:44

It is amazing that Suisse Atlantique S.A. the largest and among the very first Swiss shipping companies and currently LARGEST is not mentioned in your article. Is there a specific reason or merely lack of research?

Jean-Luc Rickenbacher
28.08.2020 – 08:06

Thank you for your question. It would be possible to fill many books with informations and the backgrounds of each Swiss shipping company. Unfortunately there is limited space in this blog, that is why I can only give an overview of the topic. Thank you for your comprehension.

Cesare Lanz
24.04.2020 – 21:20

Und wie kamen die Güter dann ins Land wenn der Rhein gesperrt war?

Jean-Luc Rickenbacher
25.04.2020 – 10:59

Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. In der Tat war der Rhein für den Güterverkehr in die Schweiz während des Zweiten Weltkrieges nur eingeschränkt benutzbar. Eine Alternative war der Gütertransport via Schienenverkehr. Die Güter gelangten etwa via den Hafen von Genua im Süden mit der Eisenbahn in die Schweiz.

A. Tobitzer
24.04.2020 – 11:43

Schon ein starkes Stück, in diesem Artikel nicht zu erwähnen, dass die Flotte bis heute über CHF 300 Millionen durch eingelöste Solidarbürgschaften des Bundes gekostet hat!

Jean-Luc Rickenbacher
24.04.2020 – 16:48

Guten Tag
Vielen Dank für den Kommentar. Im Artikel geht es darum aufzuzeigen, weshalb die Schweiz als Binnenland überhaupt eine Hochseeflotte aufbaute. Insbesondere während des Zweiten Weltkrieges hat diese eine zentrale Funktion erfüllt, indem sie wichtige Nahrungsmittel und Güter in die Schweiz brachte. Heute ist die Situation eine andere. Doch um dies zu erläutern, bräuchte es noch einige weitere Blogartikel…

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