
Der bescheuerte Mosaizist von Augusta Raurica
Wie ein anonymer Künstler im 3. Jahrhundert n. Chr. mit seiner «Reparatur» ein repräsentatives Mosaik einer Villa in Augusta Raurica ruinierte.
Der Besitzer war nicht knausrig gewesen: Neben der sonstigen luxuriösen Ausstattung schmückt ein herrliches mehrfarbiges Mosaik im Massstab 9,8 auf 6,5 Meter den Boden der grossen Empfangs- und Banketthalle. Dargestellt werden sechs Gladiatoren-Duelle in einem geometrischen Geflecht, das einen grossen, rechteckigen Rahmen umgibt, in dessen Mitte ein rundes Medaillon ruht. Im Zentrum dieses Medaillons schwimmen vier Fische beiderseits um eine grosse Vase herum, um einen «Krater» für das Servieren von Wein.
Dieses Prestigeobjekt im Herzen des Mosaiks und somit auch des Raums hatte gebührende elegante, symmetrische Henkel erhalten, die in Spiralen endeten. Der Künstler hatte sie ganz originell als ჇS gestaltet, mit der unteren Spirale zur Vase hin – üblicherweise waren die Henkel dieser Gefässe als ƆC geformt und die zwei abschliessenden Spiralen wiesen nach aussen.
War er mit dem falschen Fuss aufgestanden, ein wenig zerstreut, war es ihm schnurzegal oder war er einfach ein bisschen bescheuert? Hat er sich, entgegen aller Gesetze der Symmetrie, dümmlich damit begnügt, den Verlauf des linken Henkels zu kopieren, der von der Katastrophe verschont geblieben war? Oder aber war er von der strengen Sorte, diszipliniert, pochte er borniert auf das Reglement und konnte kein originelles Motiv tolerieren, das von den herkömmlichen Mustern abwich? Im Stil von: «Ein Krater-Henkel, den muss man genau so und nicht anders darstellen. Da kann man nicht einfach mit Fantasie daherkommen, sonst hat das nicht seine Richtigkeit, Punkt, Schluss.» Wir werden es nie erfahren. Auf jeden Fall hat dieser Typ das Mosaik mühevoll geflickt und den rechten Henkel ergänzt, allerdings in der geläufigen Form: als C.
Das Resultat: Ein alberner Krater mit parallelen, asymmetrischen Henkeln, der absolut lächerlich aussieht. Und das alles im Zentrum eines prächtigen Mosaiks im Prunkzimmer eines der reichsten Häuser in Augusta Raurica.

Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten
Die Geschichte einer Region oder eines Landes ist die Geschichte der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persönlichkeiten vor, die den Lauf der Schweizer Geschichte geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählungen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», herausgegeben 2016 von Frédéric Rossi und Christophe Vuilleumier im Verlag inFolio.


