Rothemden (Camicie rosse) in einem Gemälde von Umberto Coromaldi, 1898 (Ausschnitt).
Ehemalige Rothemden (Camicie rosse) in einem Gemälde von Umberto Coromaldi, 1898 (Ausschnitt). Wikimedia / Galleria Nazionale d'Arte Moderna e Contemporanea

Der zornige Garibaldiner

Wie der Tessiner Söldner Natale Imperatori (1830–1909) als Rothemd für die Einigung Italiens kämpfte und einen Anschlag auf Kaiser Napoleon III verüben wollte.

Maurizio Binaghi

Maurizio Binaghi

Historiker und Lehrer für Geschichte an Kantonsschule Lugano 1.

Der General war beunruhigt: Seit ihrer Ankunft in Sizilien waren seine tausend Rothemden in keine ernstzunehmende Schlacht geraten. Doch am 15. Mai 1860 stiessen sie bei Calatafimi auf über 5000 angriffsbereite Soldaten des Königreichs beider Sizilien. Noch hatte Giuseppe Garibaldi, der «Held zweier Welten», seinen Männern keinen konkreten Befehl erteilt. Er wartete ab in der Hoffnung, keine Schlacht zwischen zwei italienischen Heeren führen zu müssen. Als feindliche Trompeten erklangen, soll einer der freiwilligen Rothemden, ein ehemaliger bourbonischer Söldner, den General auf die Bedeutung dieses Signals aufmerksam gemacht haben. «Aber woher wissen Sie das?», fragte Garibaldi. «Falls ich nach der Schlacht noch am Leben bin, werde ich es Ihnen erklären», antwortete der Soldat. Der General vertraute dem Unbekannten und rief mit erhobenem Säbel sofort zum Gegenangriff: «Lasst uns hier für Italien kämpfen oder sterben!»
Die Schlacht von Calatafimi am 15. Mai 1860.
Die Schlacht von Calatafimi am 15. Mai 1860. Wikimedia / Museo del Risorgimento Mailand
Der Freiwillige war der am 20. Mai 1830 geborene Tessiner Natale Agostino Giuseppe Imperatori, der schon in jungen Jahren als Schweizer Soldat in Neapel gedient hatte. 1859 desertierte er beim Ausbruch des Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskriegs zusammen mit seinem Bruder Enrico und schloss sich als Freiwilliger den piemontesischen Gebirgsjägern an. Im Jahr darauf nahm er an Garibaldis glorreichem Zug der Tausend von Marsala nach Neapel teil. Als glühender Verfechter der italienischen Sache konnte Natale Imperatori die Kehrtwende Napoleons III. nicht hinnehmen, der zunächst den Unabhängigkeitskampf des Landes unterstützt, sich dann aber in Villafranca mit Österreich verbündet und so sein Versprechen, Italien zu vereinen, gebrochen hatte. Garibaldi wurde 1862 beim Versuch, den Kirchenstaat zu besetzen, unter dem Druck des französischen Kaisers von der königlich italienischen Armee verhaftet. Der Held war in diesem Bruderkrieg verwundet worden und eine Welle der Empörung erfasste die ganze Halbinsel.
Giuseppe Garibaldi, um 1861.
Giuseppe Garibaldi, um 1861. Schweizerisches Nationalmuseum
Auch Imperatori war gegen Napoleon III. aufgebracht. In Lugano beschloss er zusammen mit Angelo Scaglioni, einem anderen ehemaligen Rothemd, sowie den Freunden Pasquale Greco und Raffaele Trabucco, sich am Kaiser zu rächen und das ihrer Meinung nach grösste Hindernis für die vollständige Einheit Italiens zu beseitigen. Der Plan stammte von Imperatori, der – wie er selbst bei seinem Prozess erklärte – «entschlossen und unerbittlich wie das Schicksal» war.
Napoleon III. in einem Gemälde von Alexandre Cabanel, um 1865.
Napoleon III. in einem Gemälde von Alexandre Cabanel, um 1865. Wikimedia / Château de Compiègne
Am 20. Dezember 1863 reisten die Verschwörer mit acht Bomben, einem Gewehr, mehreren Revolvern und Dolchen im Gepäck von Lugano nach Paris, in der Absicht, die Bomben unter die Kutsche des Kaisers zu werfen und bei Bedarf auch von den übrigen Waffen Gebrauch zu machen. Doch die französische Gendarmerie liess die Verdächtigen überwachen, nachdem Trabucco an der Grenze erkannt worden war. Am 3. Januar 1864 verschaffte sich die Polizei Zutritt zu ihren Zimmern im Hôtel de Naples, wo die Männer abgestiegen waren. Alle vier wurden verhaftet. Es stellte sich schon bald heraus, dass Pasquale Greco ein Spion der Polizei war und seine Komplizen verraten hatte. Imperatori wurde am 26. Februar 1864 zu 20 Jahren Haft verurteilt und nach Neukaledonien in eine Strafkolonie gebracht. Er verbrachte jedoch nur sechs Jahre hinter Gittern: Nach der Ausrufung der Republik am 4. September 1870 wurde er begnadigt und freigelassen.
Lugano mit See, zwischen 1850 und 1900.
Lugano mit See, zwischen 1850 und 1900. Schweizerisches Nationalmuseum
Zurück im Tessin eröffnete er noch im selben Jahr auf der Piazza della Riforma in Lugano eine Druckerei und Buchhandlung, die «Papeterie Imperatori». Man konnte dort alle Arten von sozialistischen Büchern und Zeitschriften aus Italien und Frankreich kaufen oder abonnieren. Bei dieser Arbeit lernte Natale Imperatori Mikhaïl Bakounine, Elisée Reclus und Errico Malatesta kennen, die in Lugano Zuflucht gefunden hatten. 40 Jahre lang war das Geschäft von Natale Imperatori, das er mit vielen Garibaldi-Relikten ausstaffiert hatte, darunter auch an prominenter Stelle das rote Hemd des Freiheitskämpfers, ein legendärer Ort im politischen und gesellschaftlichen Panorama von Lugano.

Serie: 50 Schweizer Persönlichkeiten

Die Geschich­te einer Region oder eines Landes ist die Geschich­te der Menschen, die dort leben oder lebten. Diese Serie stellt 50 Persön­lich­kei­ten vor, die den Lauf der Schweizer Geschich­te geprägt haben. Einige sind besser bekannt, einige beinahe vergessen. Die Erzählun­gen stammen aus dem Buch «Quel est le salaud qui m’a poussé? Cent figures de l’histoire Suisse», heraus­ge­ge­ben 2016 von Frédéric Rossi und Christo­phe Vuilleu­mier im Verlag inFolio.

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