1929 drehte der Pionier des Bergfilms Arnold Fanck in Südbünden seinen Welterfolg «Die weisse Hölle vom Piz Palü». Heimlicher Star der Filmarbeiten ist die wintersichere Berninabahn.
Gabriel Heim ist Buch- und Filmautor sowie Ausstellungsmacher. Er befasst sich vor allem mit Recherchen zu Themen der Neueren Zeitgeschichte und lebt in Basel.
Eisenbahn und Film sind die Geschichte einer Liebe auf den ersten Blick. Schon in einem ihrer ersten Streifen lassen die Brüder Lumière 1895 einen Zug in den Bahnhof von La Ciotat einfahren, was im Publikum ungläubiges Staunen verursachte. Film und Bahn werden schnell zu einem unzertrennlichen Paar, denn beide bewegen die Menschen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Doch nicht nur im bewegten Bild sind Lokomotiven, rasch vorbeiziehende Landschaften oder romantische Momente im Coupé, Ausdruck dieser Faszination. Auch als Transportmittel erweist sich die Bahn als gute Verbündete des Films, indem sie die nach Sensationen gierende Filmindustrie auf waghalsigen Strecken bis zu dahin nur mühsam erreichbaren Naturkulissen führt. Eine ungeahnte Rolle übernimmt dabei auch die Berninabahn, die seit 1910 das mondäne Sankt Moritz mit Tirano im Veltlin verbindet – wofür sie als höchste Adhäsionsbahn der Welt bis auf beachtliche 2253 Meter über Meer steigen muss.Im ersten Jahrzehnt des Bahnbetriebs sind es die Kameramänner von Kultur- und Naturfilmen, welche die wendige Schmalspurbahn über rauschende Gebirgsbäche hinweg auf ihrem Weg zu den einsamen Höhen ins Bild rücken. So produziert schon 1912 die Welt-Kinematograph aus Freiburg im Breisgau den (von der Cinémathèque Suisse restaurierten) Film «Von Pontresina nach Bernina Hospiz» in dem noch Fuhrwerk und Bahn auf der Scheitelhöhe einträchtig beieinander zu sehen sind. Die Alpenbahn wird zur Attraktion und in rascher Folge reisen Filmleute aus Italien, Frankreich oder Österreich an, um sich mit ihrem sperrigen Gerät in den Führerstand zu zwängen oder in einem Güterwaggon um ihr Gleichgewicht zu bangen.
Nach dem Ersten Weltkrieg modernisiert sich die Filmtechnik und eröffnet damit die Möglichkeit Abenteuerfilme bei Wind und Wetter an Originalschauplätzen zu produzieren. Es entsteht das Genre des Berg- und Naturspielfilms mit spektakulären Kletterpartien, Gletscherquerungen und Biwaks in der Steilwand. Pionier dieser Gattung sollte der Deutsche Arnold Fanck werden, der schon zu Beginn der 1920er-Jahren mit seiner expressionistisch inspirierten Bildgestaltung den Bergfilm erfolgreich in die Kinos brachte.Fanck ist mit den Schweizer Bergen bestens vertraut, hat er doch an der ETH Zürich Geologie studiert und auf seinen unzähligen Hochtouren den Alpenraum gründlich erkundet. 1926 drehte er in Sils Maria und in den Bernina-Alpen mit Leni Riefenstahl und Luis Trenker in den Hauptrollen – zwei Namen die Filmgeschichte schrieben – seinen zweiten hochalpinen Spielfilm: «Der heilige Berg». Hauptdarstellerin ist bei Fanck stets die Bergwelt, die Story ist für ihn kaum mehr als ein Vorwand, denn in seinen Filmen geht es vor allem darum die Erfahrung der Natur, der Bergwelt und des Sports zu glorifizieren.
Das galt auch für «Weisse Hölle vom Piz Palü», Fancks erfolgreichstem Film, dessen Aussenaufnahmen er 1929 in den Schneeregionen der Bernina dreht. Erneut ist Leni Riefenstahl am Set und als weitere Filmsensation der hochdekorierte Jagd- und Kunstflieger Ernst Udet, der eine bei Morteratsch künstlich aufgerichtete Eiswand in waghalsigen Tiefflügen anzusteuern hat um die – laut Drehbuch – im Eis gefangenen Hauptdarsteller mit Abwürfen von Cognac und Proviant vor dem Erfrieren zu bewahren. Alle Nahaufnahmen des Films wurden in unmittelbarer Nähe der Gleisstrecke aufgenommen um die mächtigen Windmaschinen und Scheinwerfer auf möglichst kurzem Weg mit Bahnstrom zu versorgen.Das Hotel du Glacier und die Bahnstation Morteratsch am Fuss des gleichnamigen Gletschers dienen der Produktion als Basislager der technisch aufwändigen, da naturnah gestalteten Dreharbeiten. Der wegen seiner Pedanterie von den Schauspielern nicht immer geliebte Regisseur liess hohe Schneewände aufrichten und wieder einstürzen und sprengte Lawinen mit Dynamitladungen und zwar so oft, bis der gewünschte Effekt optimal «im Kasten» war.«Die weisse Hölle vom Piz Palü» wird ein internationaler Sensationserfolg und zählt noch heute zu den 100 besten deutschen Filmen. Ohne ihren heimlichen Star aber – die Berninabahn – wären die dramatischen und emotional packenden Winterszenen nicht zu realisieren gewesen. Zu Beginn der 1930er-Jahren kehrt der Pionier des Bergfilms mit seinen Equipen für zwei weitere Filmproduktionen an die mittlerweile bewährten Schauplätze zurück – natürlich wieder mit der Berninabahn.
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