Die Kartause Ittingen, wie sie sich heute den Besucherinnen und Besuchern präsentiert.
Die Kartause Ittingen, wie sie sich heute den Besucherinnen und Besuchern präsentiert. Kunstmuseum Thurgau, Ittinger Museum

Ein dichtes Programm – auf Glas gemalt

Ein Glasgemälde von herausragender künstlerischer Qualität aus dem Jahr 1588 bereichert als Dauerleihgabe des Schweizerischen Nationalmuseums das Ittinger Museum in der Kartause Ittingen.

Cornelia Mechler

Cornelia Mechler

Leiterin Verwaltung, Marketing, PR im Kunstmuseum Thurgau und Ittinger Museum, Kartause Ittingen

Im ehemaligen Kloster der Kartause Ittingen nahe Frauenfeld lebten während Jahrhunderten Mönchsgemeinschaften, zuerst die Augustiner, dann die Kartäuser. In den verschiedenen Phasen der Auflösung von Klöstern, von der Reformation über die Französische Revolution bis zu den schweizerischen Klosteraufhebungen um 1848, gelangten vielfach Klosteranlagen in Privatbesitz oder wurden durch die Öffentlichkeit umgenutzt. Die neuen Nutzungen führten oft zu einschneidenden Veränderungen oder gar zur totalen Zerstörung. In Ittingen liegt der Glücksfall vor, dass nicht nur grosse Teile der Anlage erhalten geblieben sind, sondern auch die landwirtschaftlich geprägte Umgebung der ehemaligen klösterlichen Eigengüter. 1867 übernahm Victor Fehr (1846–1938) aus St. Gallen die Anlage und richtete einen musterhaften Gutsbetrieb ein. Er war im Betrieb bis zu seinem Tod engagiert, doch hatte er dessen Leitung schon zuvor seinem Sohn Edmund Fehr (1883–1965) übergeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte auch die Kartause unter den erschwerten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Landwirtschaft in der Schweiz zu leiden. Zudem wurde es zunehmend schwieriger, der grossen historischen Anlage den nötigen Unterhalt zukommen zu lassen. Nach dem Tod Edmund Fehrs suchte die Erbengemeinschaft nach einem Käufer und verhandelte mit diversen Interessenten, bis 1977 der Verkauf an die Stiftung Kartause Ittingen zustande kam. Durch die Rettung und die nachhaltig erfolgreiche Neubelebung eines historischen Denkmals im umfassenden Sinne wurde die Kartause Ittingen zum Modellfall in der schweizerischen Denkmalpflege.
Ansicht der Kartause Ittingen von Süden. Von Johann Conrad Weber, um 1840.
Ansicht der Kartause Ittingen von Süden. Von Johann Conrad Weber, um 1840. Historisches Museum Thurgau

Eine verbin­den­de Leihgabe

Seit einem knappen Jahr bereichert nun ein Glasgemälde von herausragender künstlerischer Qualität als Dauerleihgabe des Schweizerischen Nationalmuseums das Ittinger Museum. Die ungewöhnlich grosse Scheibe aus dem Jahr 1588 entstand ursprünglich im Auftrag der Kartause Ittingen wohl in der Werkstatt des Zürcher Glasmalers Christoph Murer.
Glasgemälde aus der Kartause Ittingen, 1588.
Glasgemälde aus der Kartause Ittingen, 1588. Schweizerisches Nationalmuseum
Die Schenkung von Glasgemälden war für Privatleute wie Körperschaften ein beliebter Brauch, um sich bei befreundeten Institutionen im Bewusstsein zu halten. Das geliehene Glasgemälde trägt eine Inschrift, in der Prior und Konvent der Kartause Ittingen genannt sind. Zudem sind zwei Ittinger Wappen zu sehen. Dies weist darauf hin, dass die Scheibe wohl kaum für die Präsentation in Ittingen geschaffen wurde, sondern vielmehr als repräsentatives Geschenk. Hinweise auf den Empfänger sind nicht vorhanden. Möglicherweise handelte es sich um die Kartause Buxheim bei Memmingen, zu der Ittingen enge Kontakte pflegte. Damit im Einklang stünde das dichte kartäusische Programm der Scheibe.
Das Schweizerische Nationalmuseum erwarb die Scheibe 1891 bei der Versteigerung einer Privatsammlung in Konstanz. Die annähernd quadratische Scheibe wird durch das kreisrunde Mittelfeld mit einer Darstellung des Generalkapitels des Kartäuserordens in der Grande Chartreuse dominiert. Die Versammlung der Prioren der verschiedenen Kartausen im Mutterkloster war die gesetzgebende Institution des streng zentralistisch organisierten Ordens. Bei der Darstellung der personenreichen Szene hat sich der Künstler um reiche Variierung von Gestik und Haltung bemüht.
Mittelfeld der Glasmalerei.
Mittelfeld der Glasmalerei. Schweizerisches Nationalmuseum
Um diese Hauptszene ist ein Ring mit zwölf inschriftlich bezeichneten Einzelszenen angeordnet. Dabei handelt es sich um die Legende des heiligen Bruno von Köln, des Ordensgründers der Kartäuser. Nachgezeichnet wird das Leben des Ordensgründers von einem Bekehrungserlebnis in Reims, über den Rückzug in die Einsamkeit und die Gründung der Grande Chartreuse bis zur Reise nach Rom und Kalabrien.
Bischof Hugo begrüsst Bruno und seine Gefährten.
Bischof Hugo begrüsst Bruno und seine Gefährten. Schweizerisches Nationalmuseum
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Der Bau der Grande Chartreuse.
Der Bau der Grande Chartreuse. Schweizerisches Nationalmuseum
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Szene aus der Legende des hl. Brunos: Die Ablehnung der bischöflichen Würde durch Bruno.
Szene aus der Legende des hl. Brunos: Die Ablehnung der bischöflichen Würde durch Bruno. Schweizerisches Nationalmuseum
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Bruno begegnet in Kalabrien Graf Roger I. von Hauteville.
Bruno begegnet in Kalabrien Graf Roger I. von Hauteville. Schweizerisches Nationalmuseum
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Vier weitere Szenen befinden sich in den vier Zwickeln in den Ecken, die zum Quadrat der Scheibe überleiten. Oben sind zwei Szenen aus der Vita des heiligen Laurentius dargestellt, des Patrons der Kartause Ittingen: Die Verteilung des Kirchenvermögens unter die Armen und der Märtyrertod auf dem Grill. Die zwei Szenen unten schliesslich sind zwei bedeutenden Figuren der Geschichte des Mönchtums gewidmet: Links ist der heilige Antonius zu sehen, der sich mit Gleichgesinnten in die ägyptische Wüste zurückgezogen hatte, rechts der heilige Benedikt, der Begründer des abendländischen Mönchtums.
Ecke oben links: Verteilung des Kirchenvermögens unter die Armen
Ecke oben links: Verteilung des Kirchenvermögens unter die Armen Schweizerisches Nationalmuseum
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Ecke oben rechts: Märtyrertod auf dem Grill
Ecke oben rechts: Märtyrertod auf dem Grill Schweizerisches Nationalmuseum
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Ecke unten links: Der heilige Antonius zieht sich mit Gleichgesinnten in die ägyptische Wüste zurück.
Ecke unten links: Der heilige Antonius zieht sich mit Gleichgesinnten in die ägyptische Wüste zurück. Schweizerisches Nationalmuseum
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Ecke unten rechts: Heiliger Benedikt, Begründer des abendländischen Mönchtums.
Ecke unten rechts: Heiliger Benedikt, Begründer des abendländischen Mönchtums Schweizerisches Nationalmuseum
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Das Glasgemälde wird im Winterrefektorium im Ittinger Museum gezeigt, im Rahmen einer Präsentation mit anderen Glasgemälden und mit Darstellungen des heiligen Bruno.

Ittinger Museum und Kunstmu­se­um Thurgau

Die Kartause Ittingen hat sich der Weiterführung der klösterlichen Werte verpflichtet und betreibt zu diesem Zweck ein Seminar- und Tagungszentrum, einen Gutsbetrieb mit Käserei und Weinbau, einen Gastwirtschaftsbetrieb, ein betreutes Arbeits- und Wohnangebot und beherbergt das Kunstmuseum Thurgau, das Ittinger Museum sowie das tecum, das evangelische Zentrum für Spiritualität, Bildung und Gemeindebau. Das Kunstmuseum Thurgau setzt mit seiner hochkarätigen Sammlung sowie attraktiven Wechselausstellungen einen attraktiven Gegenpol zur Vergangenheitsidylle des ehemaligen Klosters. International bekannte Künstlerinnen und Künstler haben eigens für den Kontext der Kartause Ittingen neue Werke entwickelt. Das Ittinger Museum gibt einen lebendigen Einblick in die Geschichte der Gebäude und ihrer Bewohner. In den kargen Mönchszellen lässt sich nachempfinden, wie die Kartäuser in Stille und Einsamkeit Gottes Nähe suchten und der reich ausgestattete Essraum sowie die prächtige Rokokokirche präsentieren sich bis heute so, als lebten und beteten die Mönche noch hier. Zu besuchen sind die Museen in der Kartause Ittingen hoffentlich wieder ab dem 1. März 2021. Ein virtueller Besuch ist über konstanz360.de möglich.

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