Bauern assen im 19. Jahrhundert vor allem Gschwelti, Emmentaler-Käse und tranken Milchkaffee. Fleisch stand in der Regel nicht auf dem Speiseplan.
Bauern assen im 19. Jahrhundert vor allem Gschwelti, Emmentaler-Käse und tranken Milchkaffee. Fleisch stand in der Regel nicht auf dem Speiseplan. Schweizerisches Nationalmuseum

Eine kleine Geschich­te des Vegeta­ris­mus in der Schweiz

Vegane und vegetarische Ernährung gilt als gesund und nachhaltig. Wie der Verzicht auf Fleisch zu einem Zukunftsmarkt wurde, zeigt ein Blick auf die Geschichte des Vegetarismus in der Schweiz.

Hannes Mangold

Hannes Mangold

Hannes Mangold ist Ausstellungskurator und Verantwortlicher Kulturvermittlung bei der Schweizerischen Nationalbibliothek.

Der Trend zur vegetarischen Ernährung ist nicht zu übersehen. In der beliebten Filiale der vegetarischen Fastfoodkette in Bahnhofsnähe, am wachsenden Sortiment von Fleischersatzprodukten im Supermarkt um die Ecke oder in der neuen veganen Bäckerei in der Innenstadt: Der Konsum von fleischlosen Nahrungsmitteln erlebt seit rund 20 Jahren ein starkes Wachstum. Wer heute vegan oder vegetarisch isst, kann sein Profil als reflektierter, umwelt-, gesundheits- und modebewusster Mensch schärfen.
Veganes Ragout
Veganes Ragout. Instagram @vegan.outlawzfood
Die fleischlosen Produkte richten sich nach aktuellen Schätzungen in der Schweiz an rund ein Prozent Veganerinnen und Veganer sowie fünf Prozent Vegetarierinnen und Vegetarier. Zu diesen kommen fast 25 Prozent Flexitarierinnen und Flexitarier dazu, die zwar nicht vollständig auf Fleisch verzichten, ihren Konsum aber bewusst einschränken. Insgesamt ergibt das ein interessantes Geschäftsvolumen. Die typische Person, die heute auf Fleisch verzichtet, ist eher jung, weiblich, gut gebildet und einkommensstark. Nicht zuletzt wegen dieses Profils stehen vegetarische und vegane Produkte für einen trendigen Lebensstil. Die fleischlose Ernährung umweht ein Hauch von Avantgarde. Das hat auch historische Gründe.

Müesli-Avantgar­de

Bewusst und freiwillig auf Fleisch zu verzichten, hat eine lange Tradition. Bis ins 19. Jahrhundert waren vegetarische Lebenszeiten völlig normal. Aus religiösen Gründen wurde im Frühjahr gefastet oder freitags auf Fleisch verzichtet. Die Industrialisierung und die Verstädterung brachten dann einen zunehmend gesundheitlich und ethisch motivierten Vegetarismus. Für die Gesundheit des eigenen Körpers und Geists sei das Töten und Verzehren von Tieren zu unterlassen. Diese Haltung vertrat ab 1801 ein erster europäischer Vegetarierverein in London. Zur gleichen Zeit veränderte sich die Produktion von Fleisch fundamental. Von der Aufzucht des Viehs, über das Schlachten und Ausweiden der Tiere bis zum Verkauf und Verzehr des Fleischs etablierten sich industrielle Massstäbe und Prozesse.
Bircherraffel aus den 1950er-Jahren.
Bircherraffel aus den 1950er-Jahren. Schweizerisches Nationalmuseum
Porträt von Maximilian Bircher-Benner (1867-1939).
Porträt von Maximilian Bircher-Benner (1867-1939). Wikimedia
Während das Fleisch zur Massenware wurde, äusserte eine vegetarische Avantgarde immer stärkere Zweifel an dessen gesundheitlichem und moralischem Wert. Im Rahmen des Rückbezugs auf eine idealisierte Natur verbreitete sich besonders in der Lebensreformbewegung vegetarische und vegane Ernährungsweisen. Der Schweizer Arzt und Unternehmer Maximilian Bircher-Benner übernahm dabei eine prominente Rolle. In seinem Sanatorium in Zürich und mit seinem Wendepunkt-Verlag propagierte Bircher eine fleischlose Kost. In rohen Früchten und in rohem Gemüse sah er die beste, in der toten Materie des Fleischs dagegen die schlechteste Nahrung. Vom Erfolg seiner Arbeit zeugt bis heute seine «Apfel-Diätspeise», die als Birchermüesli international Karriere gemacht hat und als Klassiker der Schweizer Küchengeschichte gelten darf.

Grünspei­se

Zu Doktor Birchers Patienten zählte auch ein gewisser Ambrosius Hiltl. Von der gesundheitsfördernden Wirkung der vegetarischen Ernährung war Hiltl dermassen angetan, dass er ein in Zürich bestehendes vegetarisches Hotel mit Restauration übernahm und ihm seinen Namen gab. Das «Hiltl» befindet sich bis heute in Familienbesitz. Im 21. Jahrhundert hat Hiltl die Idee des vegetarischen Restaurants über eine Beteiligung an der «Tibits»-Kette in der ganzen Schweiz verbreitet.
J.C. Müller AG, Veget. Restaurant, A. Hiltl, Vegetarierheim, Plakat, 1932.
J.C. Müller AG, Veget. Restaurant, A. Hiltl, Vegetarierheim, Plakat, 1932. Schweizerische Nationalbibliothek, © Hiltl AG
Zu den religiösen, gesundheitlichen und ethischen Gründen für den Fleischverzicht trat im 20. Jahrhundert ein steigendes Bewusstsein für die ökologischen Auswirkungen der Fleischproduktion. Die Popularisierung des Klimadiskurses führt seit den 1970er-Jahren dazu, dass sich immer mehr Menschen aufgrund von Umweltbedenken vegetarisch ernähren. Heute steht die industrialisierte und globalisierte Massenproduktion von Fleisch unter anderem in der Verantwortung für den Ausstoss beträchtlicher Mengen an Treibhausgasen und Rodungen südamerikanischer Regenwälder. Das vegetarische und vegane Leben liegt heute auch darum im Trend, weil in der Klimabewegung eine junge avantgardistische Bewegung zusammengefunden hat, die alte Gewohnheiten hinterfragt und verändert. Die fleischlose gilt heute als echte grüne Speise.
Archivperlen: Veganismus in den 1990er-Jahren. SRF

Fleisch – Eine Ausstel­lung zum Innenleben

Fleisch Schweizerische Nationalbibliothek
In der Ausstellung «Fleisch – Eine Ausstellung zum Innenleben» nimmt die Nationalbibliothek die aktuelle Diskussion um fleischliche, vegetarische und vegane Ernährung zum Anlass, um historischen, literarischen und künstlerischen Perspektiven dieses besonderen Stoffs nachzuspüren. Einblicke in die Ausstellung bietet die Webseite www.nationalbibliothek.ch.

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