«Treffen mit Madame de Staël», Zeichnung von Philibert-Louis Debucourt.
«Treffen mit Madame de Staël», Zeichnung von Philibert-Louis Debucourt. Bibliothèque nationale de France

Madame de Staël – Kampf mit der Feder

Germaine de Staël war eine Schweizer Autorin und Denkerin in der Zeit der Französischen Revolution. Sogar Napoleon fürchtete die starke und bestens vernetzte Persönlichkeit und verbannte sie aus Paris.

James Blake Wiener

James Blake Wiener

James Blake Wiener ist Historiker, Mitbegründer der World History Encyclopedia, Autor und PR-Spezialist, der in Europa und Nordamerika als Dozent tätig ist.

Webseite: worldhistory.org
Anne Louise Germaine de Staël-Holstein (1766–1817), besser bekannt als «Madame de Staël», ist wohl die am meisten gefeierte Autorin und Denkerin der französischsprachigen Schweiz aus der Zeit der Französischen Revolution und der napoleonischen Ära. Mit ihren gemässigten, fortschrittlichen Ansichten und ihren zahlreichen Publikationen stand sie in direktem Gegensatz zu den radikalen Wortführern der Ersten Französischen Republik und später zu Napoleon. Germaine war eine starke Persönlichkeit mit einem wachen Geist, deren Leben von ihrer literarischen Tätigkeit, internationalen Reisen, stürmischen Begegnungen und scharfsinnigen Betrachtungen zum Leben und zur Politik in Europa geprägt war.

Kindheit und Jugend

Germaine wurde in der Blütezeit der Aufklärung als Tochter von Jacques Necker (1732–1804), dem Generaldirektor der Finanzen von König Ludwig XVI., und Suzanne Curchod (1737–1794) geboren. Curchods Salons gehörten zu den gefragtesten und schillerndsten im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Als Schweizer Protestanten im katholischen Frankreich waren Jacques und Suzanne bestrebt, ihrer Tochter eine umfassende Bildung zu ermöglichen, die in der liberalen und toleranten protestantischen Tradition ihres Heimatlandes verwurzelt war. Germaine war gut erzogen und zeigte grosses Interesse an den immer wieder neuen Gästen, die im Salon ihrer Mutter an der Rue de la Chaussée-d’Antin ein und aus gingen. Schon mit dreizehn war sie äusserst sprachgewandt und erwies sich als geistreiche Gesprächspartnerin. Mit neunzehn Jahren verfasste sie zwei Theaterstücke: Sophie und Jeanne Grey. Der britische Staatsmann William Pitt der Jüngere (1759–1806) sowie der französische General und Verfasser militärischer Schriften Jacques Antoine Hippolyte, Graf von Guibert (1742–1790) machten der schönen und lebenslustigen Germaine den Hof, aber sie zögerte, sich auf eine Ehe einzulassen. 1786 beschloss Germaine schliesslich, den schwedischen Diplomaten und Soldaten Erik Magnus Staël von Holstein (1749–1802) zu heiraten. Der neue Ehemann überliess Germaine jedoch meistens sich selbst. Nach der Heirat eröffnete Madame de Staël in der schwedischen Botschaft in Paris ihren eigenen Salon. Dort versammelte sie eine Schar brillanter Köpfe – etwa Charles Maurice de Talleyrand-Périgord, den Marquis de Lafayette, Nicolas de Condorcet und seine Frau Sophie de Grouchy sowie Thomas Jefferson –, die ihre Hinwendung zum Konstitutionalismus und die Befürchtung, dass der Radikalismus die Stabilität Frankreichs immer mehr gefährdete, teilten.
Portrait von Germaine de Staël, um 1802.
Portrait von Germaine de Staël, um 1802. Schweizerisches Nationalmuseum

Drei Grossmäch­te kämpften gegen Napoleon um die Seele Europas – England, Russland und Madame de Staël.

Victorine de Chastenay

Franzö­si­sche Revolu­ti­on und Napoleon

Obwohl ihre Eltern schon 1790 in die Schweiz flohen, blieb Germaine noch bis im September 1792 in Paris. Die Massenhinrichtungen von Gefangenen während der Septembermassaker brachten Germaine dazu, im Schloss der Familie in Coppet (VD) Zuflucht zu suchen. Germaine blieb jedoch eine vielbeschäftigte Frau: Sie reiste nach Grossbritannien und veröffentlichte 1793 die Abhandlung Réflexions sur le procès de la Reine (Überlegungen zum Prozess gegen die Königin), in der sie Marie-Antoinette verteidigte. Im Jahr 1794, nach dem Fall von Robespierre, kehrte Germaine nach Frankreich zurück und blieb dort bis 1803. Sie begann eine Liebesbeziehung mit dem aus der französischsprachigen Schweiz stammenden Politiker Benjamin Constant, die mit Unterbrüchen zwei Jahrzehnte überdauern sollte. Der wachsende politische Einfluss, der von Germaines neuem Salon an der Pariser Rue du Bac ausging, zog auch die Aufmerksamkeit eines jungen korsischen Generals namens Napoleon auf sich. Die beiden begegneten sich Ende Dezember 1797 und konnten einander auf Anhieb nicht leiden. Für eine Frau, die die Ideen Rousseaus, Montesquieus und Voltaires verehrte, stand Napoleon für alles, was sie verabscheute. Germaine war überzeugt, er würde Europa in den Ruin treiben und die neu gewonnenen Freiheiten in Frankreich einschränken. Als Napoleon 1802 zum Ersten Konsul auf Lebenszeit erklärt wurde, wusste sie, dass ihre Feindschaft ein Leben lang halten würde. Im Jahr 1803 traf Germaine Napoleon zum letzten Mal. Er war sich sicher, dass Germaine ihre deutliche Haltung nicht würde verbergen können, und fürchtete ihren einflussreichen Freundeskreis aus Intellektuellen und Politikern. So ordnete er ihre Verbannung aus Paris an. Sie durfte sich der Stadt nur noch bis auf 40 Meilen (fast 200 km) nähern.
Napoleon Bonaparte im Gespräch mit Madame de Staël bei einem Empfang in Paris, Zeichnung von Nicolas-Toussaint Charlet (1792-1845).
Napoleon Bonaparte im Gespräch mit Madame de Staël bei einem Empfang in Paris, Zeichnung von Nicolas-Toussaint Charlet (1792-1845). Bibliothèque nationale de France
Schloss Coppet, Wohnsitz und Grabstätte von Suzanne Necker, ihrem Mann und ihrer Tochter, um 1920.
Schloss Coppet, Wohnsitz und Grabstätte von Madame de Staël und ihrer Eltern, um 1920. ETH-Bibliothek Zürich

Das grösste Glück ist es, seine Gefühle in Taten umzuwandeln.

Madame de Staël

Zweites Exil und Erbe

Germaines zweite Periode des Exils im Schloss Coppet und ihre anschliessenden Reisen durch Italien, Deutschland, Österreich, Schweden, Russland und die Türkei inspirierten sie zu vielen ihrer Schriften, die zu den besten Beispielen der Literatur der Romantik gehören. Ihr Werk behandelt vielfältige Themen, etwa die ausserehelichen Affären und den gesellschaftlichen Status einer Frau im Frankreich der Revolutionszeit (Delphine), Selbstmord (Réflexions sur le suicide), einen Vergleich der Kunst von Grossbritannien und Italien (Corinne), deutsche Kultur und Romantik (De l'Allemagne) und ihre eigenen Jahre im Exil in der lebendigen Autobiografie Dix Années d'Exil. Nach der Wiedererstellung der Bourbonenmonarchie 1814 kehrte Germaine nach Paris zurück. Obwohl sich ihr Gesundheitszustand zusehends verschlechterte, schrieb sie weiterhin und empfing Gäste, etwa Lord Byron und den Duke of Wellington. Durch ihre schwere Krankheit wurde Germaine Ende des Jahres 1816 gelähmt. Ende Juli 1817 verstarb sie in ihrem geliebten Paris. Bis zu ihrem Tod war sie überzeugt gewesen, dass eine Repräsentativdemokratie und Redefreiheit und nicht Armeen oder Autokratie Europa Stabilität bringen würden.
Portrait von Germaine de Staël um 1812. Gemälde von Wladimir Lukitsch Borowikowski.
Portrait von Germaine de Staël um 1812. Gemälde von Wladimir Lukitsch Borowikowski. Wikimedia / Tretjakow-Galerie
Germaines Werk und ihre politischen Ansichten beeinflussten zahlreiche Autoren und Intellektuelle des 19. Jahrhunderts, darunter Heine, Schlegel, Ibsen, Emerson, Melville, Shelley, Leopardi, Brandes, Stendhal und Chateaubriand. Ihre Bücher wurden besonders gelobt von Tolstoy, Pushkin und Vyazemsky und noch heute ist sie in Russland hochgeschätzt. Auch wenn ihre literarischen Werke nicht mehr so verbreitet gelesen werden wie zu ihren Lebzeiten, sind ihre kritischen und historischen Abhandlungen weiterhin populär. Obwohl sie für Frauen nie die Gleichberechtigung im engeren Sinn beanspruchte, lassen sich Madame de Staëls Ansichten und ihr Werk als Vorläufer eines modernen Feminismus deuten. Ihr unverwechselbarer Stil – eine Mischung aus Literatur, Geistesgeschichte und politischen Betrachtungen – zeugt von einer geistreichen und selbstbewussten Persönlichkeit. Sie war fasziniert von der Unbeständigkeit des Lebens und direkt in ihrer Kritik an allen, die Bürgerrechte einschränken wollten, und bewies damit, dass die Feder wirklich mächtiger ist als das Schwert.
De l'Allemagne, 1814.
De l'Allemagne, 1814. Bibliothèque nationale de France

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