Verbände und Parteien machten in den 1930er-Jahren Druck, um qualifizierte Berufsfrauen aus dem Arbeitsmarkt zu verdrängen
Verbände und Parteien machten in den 1930er-Jahren Druck, um qualifizierte Berufsfrauen aus dem Arbeitsmarkt zu verdrängen Schweizerisches Nationalmuseum

Das ungleiche Recht auf Arbeit

In den 1930er-Jahren wurde die Berufstätigkeit von Frauen auch in der Schweiz bekämpft. Mit Doppelverdiener-Kampagnen versuchte man die weibliche Konkurrenz loszuwerden.

Erika Hebeisen

Erika Hebeisen

Historikerin und Kuratorin beim Schweizerischen Nationalmuseum.

Messerscharf seziert die Juristin Iris von Roten in ihrer Analyse der Schweizer Geschlechterverhältnisse den «Kampf gegen das Doppelverdienertum». Dieser sei, schreibt sie in ihrem 1958 erschienenen Buch Frauen im Laufgitter, ein Frontalangriff auf die Emanzipation der Frauen. Die «so ungenaue wie grossmäulige Redensart» vom Doppelverdienertum begreift sie als Echo aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Das habe in der Schweiz entsprechende Kampagnen gegen die Berufstätigkeit gut qualifizierter Frauen hervorgerufen.
Porträt von Iris von Roten, um 1950.
Porträt von Iris von Roten, um 1950. Privatarchiv Hortensia von Roten

Qualifi­zier­te Konkurrenz

Für den «Kampf gegen das Doppelverdienertum» ist der Boden in der Schweiz aber schon gut bereitet. Hier existieren bereits Mittel für die Begrenzung weiblicher Berufstätigkeit, als in den 1930er-Jahren vermehrt Postulate und Motionen auftauchen, die das sogenannte Doppelverdienertum abschaffen wollen. Sozialpsychologisch geschickt nutzen die entsprechenden Doppelverdiener-Kampagnen die Weltwirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit. Sie schüren den Neid auf Staatsangestellte mit Kündigungsschutz und guten Löhnen. Dabei schwärzen sie nicht etwa die Zusatzverdienste von Direktoren an. Vielmehr diskreditieren sie erwerbstätige Ehefrauen von Staatsangestellten. Entsprechend alarmiert, stellt der Bund Schweizerischer Frauenvereine 1934 fest: «Es geht um den Angriff gegen die unerwünschte weibliche Konkurrentin, gegen die berufstätige Frau in den höheren Berufen.» Mit den selbsternannten konservativen Kämpfern gegen das «Doppelverdienertum» teilen Gewerkschafter und Sozialdemokraten das traditionelle Ideal vom männlichen Familienernährer. Davon ausgehend, qualifizieren sie den Lohn verheirateter Frauen als Nebenverdienst. Kampagnen gegen das Doppelverdienertum zielen nie auf den berufstätigen Mann. Sie nehmen aber auch nicht die verheiratete Arbeiterin oder Frauenarbeit in Handwerksbetrieben und auf Bauernhöfen ins Visier. Der Lohn einer Arbeiterin und die Mitarbeit von Frauen im Privaten dienen unbestritten der familiären Existenzsicherung. Das Salär einer verheirateten Lehrerin oder Beamtin stilisieren sie hingegen zum Luxus. Sie erachten diese Frauen als versorgt und darum nicht angewiesen auf ein eigenes Einkommen. Kurzum: Sie sollen ihre gut dotierte Staatsstelle einem «Familienernährer» überlassen.
Karikatur aus dem Nebelspalter «Dieser Knoten könnte immerhin gelöst werden!», 1936.
Karikatur aus dem Nebelspalter «Dieser Knoten könnte immerhin gelöst werden!», 1936. Sozialarchiv Zürich

Wirkungs­vol­le Massnahmen

Die Möglichkeit, Frauen wegen einer Heirat aus dem Staatsdienst zu entlassen, hat der Bund rechtlich bereits 1927 geschaffen. Das angepasste Beamtengesetz sieht bei einer Heirat die Kündigung vor, «wenn der Beamte nicht mehr den Erfordernissen seines Amtes entsprechend beschäftigt werden kann». Ebenso ist bei der Post-, Telegrafen- und Telefonverwaltung, wo 1930 nahezu drei Viertel der weiblichen Bundesangestellten arbeiten, bereits vorgesorgt: Hier wird allen heiratswilligen Frauen zwingend gekündigt. Auf gesamtschweizerischer Ebene sind in der Zwischenkriegszeit denn auch keine Gesetzesverschärfungen nötig. Trotzdem zeitigen die Kampagnen gegen das Doppelverdienertum Wirkung. So beteuert der Bundesrat während des Zweiten Weltkriegs, er werde «darüber wachen, dass die Zahl der Fälle immer weiter zurückgeht […] und dass besonders stossende Verhältnisse verschwinden». Schon bald kann er einen rückläufigen Frauenanteil in Bundesbetrieben nachweisen. Auf elf männliche Angestellte kommt nur noch eine weibliche. Unter 32'000 Bundesangestellten können bereits 1933 nur gerade 82 Fälle ausfindig gemacht werden, bei denen beide Ehepartner ihren Lohn vom Bund beziehen. Die rund 500 für die Bundesbahnen tätigen Ehepaare gelten als unproblematisch, da die Frauen mehrheitlich eine schlichte und schlecht bezahlte Aufgabe als Barrierenwärterinnen erfüllen. Auch in der Schweizer Privatwirtschaft sinkt die Erwerbsquote der Frauen zwischen 1920 und 1941 von 44,6 auf 35,5 Prozent.
Briefträgerin beim Verteilen der Post, 1940.
Bei der Post wurde allen heiratswilligen Frauen gekündigt... Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Zölibat im Bildungsbereich

Besonders stark treffen Massnahmen gegen das «Doppelverdienertum» Frauen im Bildungsbereich. In der Schweiz lag – und liegt – die Bildungshoheit bei den Kantonen. Sie regeln auch die Anstellungsbedingungen für Lehrkräfte. Bereits vor der Weltwirtschaftskrise muten sie Lehrerinnen häufig ein Heiratsverbot oder eben das Zölibat zu. Rigid verbietet der Kanton Basel-Stadt verheirateten Lehrerinnen 1926 die Berufsausübung. Zehn Jahre später nehmen die Basler Stimmbürger zudem eine Initiative zur «Bekämpfung des Mehrfachverdienertums» an. Im Wissen darum, dass sich der Gesetzesentwurf juristisch auf dünnem Eis bewegt, untersagt der Kanton den Ehefrauen von Staatsangestellten «Arbeit gegen Entgelt» lediglich provisorisch. Gegen all diese Frauen diskriminierenden Restriktionen hat sich der Internationale Frauenstimmrechtsverband schon 1929 mit einer Resolution gewehrt, und der Bund Schweizerischer Frauenvereine beruft in den 1930er-Jahren eine Studienkommission zum Kampf gegen die Krisenfolgen für die erwerbstätige Frau ein. Deren Studien, Statistiken und Vorträge vermögen jedoch wenig auszurichten, während der orchestrierte politische «Kampf gegen das Doppelverdienertum» nachhaltig Wirkung zeigt. Dieser verdrängt nicht nur kurzfristig gut qualifizierte Frauen vom Arbeitsmarkt, er wirkt sich auch langfristig negativ auf das Berufs- und Erwerbsverhalten von Schweizerinnen aus. Von Polemiken gegen die weibliche Berufsarbeit entmutigt und umgarnt von Idealisierungen der Mutter- und Hausfrauenrolle, passen sich junge Frauen weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus oft an oder verzichten gar von vornherein auf berufliche Ambitionen.

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