Das Frauenstimmrecht sei eine Gefahr für die Weiblichkeit, bedrohe die mütterlichen Pflichten und würde die Frauen in die «schmutzige Politik» zerren, argumentierten die Gegnerinnen im Abstimmungskampf. 
Das Frauenstimmrecht sei eine Gefahr für die Weiblichkeit, bedrohe die mütterlichen Pflichten und zerre die Frauen gegen ihren Willen in die «schmutzige Politik», argumentierten die Gegnerinnen im Abstimmungskampf. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Frauen gegen das Frauenstimmrecht

Nicht alle Frauen wollten das Stimmrecht. Einige bekämpften es sogar und gingen dabei bis an die höchste politische Instanz: den Bundespräsidenten.

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz ist Historikerin an der Universität Basel.

Im August 1969 erhält Ludwig von Moos Post vom Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht. Dieser will den Bundespräsidenten mit einer Broschüre davon überzeugen, dass die Einführung des Frauenstimmrechts nicht nur der Demokratie, sondern auch den Frauen schade. Der katholisch-konservative Obwaldner setzt sich mit dem Gesamtbundesrat zwar für die Einführung des Frauenstimmrechts ein, hegt aber grosse Sympathien für die Absenderinnen. Bereits im Mai hat er sie empfangen, kurz nachdem er die Anwältin und Frauenstimmrechtsgegnerin Verena Keller in das Komitee für ein neues Familienrecht berufen hat.
Mit einer Broschüre sollte Ludwig von Moos überzeugt werden, dass die Einführung des Frauenstimmrechts sowohl für die Demokratie als auch für die Frauen schädlich sei. Schweizerisches Bundesarchiv
Verena Keller verkörpert die Widersprüchlichkeit der Frauenstimmrechtsgegnerinnen am deutlichsten. Wie viele ihrer Mitstreiterinnen hat sie studiert, ausserdem doktoriert. Sie ist ledig und finanziell unabhängig. Als Anwältin mit eigener Kanzlei ist sie täglich mit Fragen von Recht und Unrecht konfrontiert. Mit spitzer Feder schreibt sie Zeitungsartikel und Leserbriefe, insbesondere zum Thema Frauenstimmrecht.
Ludwig von Moos (Mitte) während der Bundesratswahl im Dezember 1959.
Ludwig von Moos (Mitte) während der Bundesratswahl im Dezember 1959. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Wie ist es zu erklären, dass sich eigenständige Frauen so vehement gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter auflehnen? Ihr Engagement scheine «auf den ersten Blick paradox», räumt die Präsidentin des Bundes, Ida Monn-Krieger, in einem Interview ein. Aussergewöhnlich ist es indes nicht: Als das Frauenwahlrecht Anfang des 20. Jahrhunderts aufs politische Tapet westlicher Staaten kam, gerieten befürwortende und gegnerische Frauen vielerorts in Konflikt. Sie stritten insbesondere um Vorstellungen des Frau- und Mannseins. «Echte» Frauen lehnten das Wahlrecht ab, argumentierten die Gegnerinnen, die «Weiblichkeit» käme der Welt sonst für immer abhanden. Mit dem Ersten Weltkrieg flauten die Debatten ab, das Frauenwahlrecht wurde in vielen Ländern eingeführt. In der Schweiz aber nahmen die Diskussionen jetzt erst Fahrt auf. Als kantonal über das Frauenstimmrecht abgestimmt wurde, formierten sich erstmals Gegnerinnen, insbesondere in der Romandie. Der Name der 1919 gegründeten Ligue vaudoise féministe antisuffragiste war ebenso widersprüchlich wie ihre Aktivität: Selbsterklärte feministische Frauen setzten sich aktiv und selbstbestimmt dafür ein, in der Welt von Politik und Gesetzgebung passiv und fremdbestimmt zu bleiben.
Postkarte der National League for Opposing Woman Suffrage, London, 1912.
Postkarte der National League for Opposing Woman Suffrage, London, 1912. Museum of London

«Gleich viele Rechte, aber nicht gleiche Rechte»

Nach der ersten nationalen Abstimmung über das Frauenstimmrecht 1959 schliessen sich Gegnerinnen zu einer nationalen Organisation zusammen. Der Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht möchte das Frauenstimmrecht ausgerechnet auf dem Terrain bekämpfen, das den Frauen auch in Zukunft verschlossen bleiben soll: der Politik. Von der Parteipolitik distanzieren sie sich jedoch – trotz teils engen Kontakten zur Konservativ-Christlichsozialen Volkspartei, der späteren CVP. Sie argumentieren dahingehend, nicht gegen «mehr» Rechte für die Frauen zu kämpfen, sondern gegen die «falschen» Rechte und Pflichten. Weil die Männer Militärdienst leisten müssen, dürfen die Frauen politisch benachteiligt sein. Beim Frauenstimmrecht geht es für sie um viel mehr als um das Recht, einen Stimm- oder Wahlzettel auszufüllen. Sie sehen darin den ersten Schritt zur totalen Umwälzung der bestehenden Geschlechterordnung. In dieser Ordnung ist der Mann zwar das alleinige Oberhaupt der Familie, den Frauen kommt als Hüterinnen des Hauses aber eine eminent wichtige, ja sogar staatstragende Rolle zu: Nach aussen vertritt der Mann die Familie in deren bestem Interesse, während die Frau Gleiches innerhalb der Familie tut. Ganz im Sinne Gotthelfs: «Im Hause muss beginnen, was blühen soll im Vaterland.»
TV-Beitrag zum Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht. SRF
In den Schweizer Debatten behält das Argument der «natürlichen» Geschlechterordnung gegenüber Rekursen auf die Menschenrechte lange die Oberhand. Zur Zeit der Gründung des Bundes der Schweizerinnen ist der «Sonderfall Schweiz» fast ausschliesslich positiv besetzt. Als sich der Bundesrat 1957 für das Frauenstimmrecht ausspricht, betont er gleichzeitig, die Schweizerinnen seien gegenüber Frauen anderer Länder rechtlich keineswegs benachteiligt. Diese Position teilen die Gegnerinnen: Die Schweiz ist für sie eine vorbildliche Demokratie, in der jedes Geschlecht seinen klar definierten Ort und seine spezifischen Rechte hat.

«Schmut­zi­ge Politik» ist nichts für Frauen

Diese ideale Demokratie könnte in den Augen der Gegnerinnen nun Schaden nehmen. Würden sie in die «schmutzige Politik» gezerrt, riskierten die Frauen, ihr Wesen zu verlieren und vermännlicht zu werden. Hinzu kommt: Für Politik haben Frauen als Mütter oder als Berufstätige keine Zeit. Auch fehlt den meisten das Talent dazu. Dass einige Frauen durchaus fähig wären, bestreiten die Gegnerinnen nicht. «Diese Minderheit, meistens Akademikerinnen», werde jedoch niemals «die Interessen der Durchschnittsfrau vertreten», argumentiert Gertrud Haldimann, die Ehrenpräsidentin des Bundes. Und Präsidentin Ida Monn- Krieger, angesprochen auf ihr grosses politisches Interesse, doppelt nach: «Natürlich denkt manche Frau wie ich. Aber um wirklich politisieren zu können, sind es zu wenige.» In Misskredit sollen damit die Frauenrechtlerinnen gebracht werden, deren Bildung überdurchschnittlich ist: Sie agierten nicht im Interesse der Schweizer Frauen. Ende der 1960er-Jahre hat sich die Gesellschaft jedoch verändert. Frauen sind jetzt vielerorts selbstverständlicher Teil der Arbeitswelt, sie besuchen Universitäten, die Pille verspricht ihnen die sexuelle Befreiung. Die Exponentinnen des Bundes der Schweizerinnen sind argumentativ zusehends in der Defensive, ihre männlichen Verbündeten springen ab. Selbst die katholisch-konservativen Parlamentarier befürworten nun das Frauenstimmrecht, weil sie das grosse Reservoir an potenziellen Wählerinnen nicht verlieren wollen. Bundesrat von Moos spricht von einer «demokratischen Erfordernis».
Plakat gegen die Einführung des Frauenstimmrechts auf Gemeindeebene im Kanton Bern, 1968.
Plakat gegen die Einführung des Frauenstimmrechts auf Gemeindeebene im Kanton Bern, 1968. Schweizerische Nationalbibliothek
Das Argument der Gerechtigkeit und der Menschenrechte hat jenes der Geschlechterdifferenzen überflügelt. Die Gegnerinnen greifen zwar in die Debatten um die Menschenrechtskonvention ein, die 1968 – im Jubiläumsjahr der Menschenrechte – aufflammen, doch ihre Begründung – die Bundesverfassung und das Zivilrecht schützten «die Rechte des weiblichen Menschen besser als jede noch so gut gemeinte ausländische Deklaration der Menschenrechte» – verfängt nicht. Am 7. Februar 1971 wird das Frauenstimmrecht mit Zweidrittelmehrheit angenommen. Der Bund der Schweizerinnen gibt am folgenden Tag seine Auflösung bekannt.

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