
Italianità für Brienz
Ende des 19. Jahrhunderts wehte ein wenig südliches Flair durch die Werkstuben der Brienzer Schitzlerschule. Die Italianità hatte Schulleiter Hans Kienholz ins Berner Oberland gebracht.
Anders als viele Bildungsreisende der Zeit, die mit dem Cicerone von Jacob Burckhardt (1818-1897) oder dem Baedecker im Gepäck die Kultur Italiens in Musse entdeckten, war die Route des Lehrers aus Brienz minutiös geplant, galt es doch, die Zeit gezielt für «künstlerische[n] Einzelheite[n]» einzusetzen, die «besondere Aussicht auf Verwerthung in didaktischer Richtung boten».
Diese Entwicklung war in der Industrialisierung begründet und der damit verbundenen Massenproduktion von Gebrauchsgütern, deren Gestaltung kritisiert wurde und deren kostengünstige Produktion für die Handwerker eine Konkurrenz darstellte. 1884 hatte der Bundesrat deshalb die Subventionierung der gewerblichen Ausbildung beschlossen wie beispielsweise der Schnitzlerschule in Brienz. Von der ästhetischen Erziehung der Schnitzer erhoffte sich die Region im Berner Oberland zeitgemässe Ware und wirtschaftlichen Erfolg.
Schon über die Weltausstellung von Paris 1878 hatte Johann Abplanalp, Lehrer an der damals in Brienz noch auf den Zeichnungsunterricht ausgerichteten Schule, in der Verwaltungsratssitzung des Oberländer Schnitzlervereins berichtet, dass Frullinis Arbeiten «förmlich weggeschnappt» wurden. Er beklagte sich über die exorbitanten Preise; für «eine Füllung eines Schrankes» hätten 10’000 Franken bezahlt werden müssen und für «kleine Reliefs mit Kindergruppen» 600 bis 1200 Franken. Als Vorbilder im Unterricht würden sie «fast mit Gold aufgewogen» stellte auch Hans Kienholz fest.
Einblicke in die Weltausstellung von Paris, 1878. YouTube
Kritisiert wurde allerdings der «Naturalismus» üppiger Schnitzereien der vor allem für eine wohlhabende Kundschaft bestimmten Arbeiten. So stellte auch Abplanalp fest, dass sich Frullini vermehrt der «naturalistschen Richtung zuwende» und dass «der Schrank nur wegen der Füllung da zu sein» scheine. Es überrascht nicht, dass in Brienz diesem «naturalistische(n) Verzierungseifer» mit einer zwiespältigen Haltung begegnet wurde, sollte eine Neuausrichtung der Ausbildung doch dem Vorwurf der vor allem einer ausländischen Kundschaft geschuldeten erzählerischen Naturimitation entgegenwirken.


